SZ-Europa-Atlas:Offline in der Walachei

Die EU will den Breitbandausbau in Europa massiv vorantreiben, doch Experten zweifeln. Die Politik gehe dabei viel zu zaghaft vor. Noch immer gibt es Regionen, die vom Netz weitgehend abgeschnitten sind - zum Beispiel in Südosteuropa.

Von Pascal Paukner

Die Euphorie ist schon wieder weg, dabei hatte sie noch gar nicht richtig begonnen. Sechs Jahre ist es her, dass Rumänien der Europäischen Union beigetreten ist. Lange Zeit sah es so aus als würde sich die Mitgliedschaft der Rumänen vor allem in Zugang zu schnellem Internet bemerkbar machen. Dort sind die Südosteuropäer spitze. Das Land verfügt dank des Ausbaus der vergangenen Jahre über die fünftschnellste Internet-Infrastruktur der Welt.

Durchschnittliche Internetanschlüsse in dem südosteuropäischen Land sind theoretisch in der Lage, Spitzenleistungen von 37 Megabit pro Sekunde durchzuleiten. Eine vergleichbare Geschwindigkeit erreicht in Europa nur Lettland. Selbst im Vergleich zur Breitbandelite in Asien ist das, was die EU mit ihren Fördergeldern in den vergangenen Jahren erreicht hat, bemerkenswert. Doch die Geschwindkeitsoffensive ist ins Stocken geraten.

Acht Prozent Wachstum ist kaum Fortschritt

Laut der Untersuchung eines amerikanischen Internetdienstleisters wuchs die durchschnittliche Spitzengeschwindigkeit in Rumänien im vergangenen Jahr um acht Prozent. Was sich nach viel anhört, ist in Wahrheit kein wirklicher Fortschritt. Länder wie Großbritannien oder Russland kommen auf Zuwachsraten von mehr als 40 Prozent. 20 bis 30 Prozent Wachstum sind in vielen Ländern inzwischen üblich, so groß ist der Bedarf an schnellen Datentransfers.

Was den digitalen Fortschritt in Rumänien zusätzlich hemmt, sind die gravierenden Unterschiede zwischen Stadt und Land, die in der Fachsprache als Digital Divide bezeichnet werden. "Es gab bislang nur wenige Bestrebungen seitens der Regierung, die Internetabdeckung auf dem Land zu verbessern", sagt der Politikwissenschaftler Sorin Dan Şandor, der an der Babeș-Bolyai-Universität in Cluj den Digital Divide erforscht.

Während in Nord- und Mitteleuropa auch Regionen abseits der Metropolen mit einer Breitbandabdeckung von deutlich über 80 Prozent existieren, kommen manche Regionen im Südwesten Rumäniens noch immer nur auf Werte um die 30 Prozent. Die Städte hingegen stehen sehr gut da.

Schlechte Straßen und dürftige Wasserversorgung

"Die Kommunikationsinfrastruktur auf dem Land ist karg", sagt Şandor. Doch das ist nur eines von vielen Problemen mit denen die Menschen in der rumänischen Provinz kämpfen: Oftmals sind gerade die Regionen vom Internet abgeschnitten, die auch mit schlechten Straßen und dürftiger Wasserversorgung auskommen müssen. Der Ansatz der rumänischen Regierung sei daher, in den betroffenen Regionen die Infrastruktur als Ganzes auszubauen, sagt Şandor.

Dass das nicht so schnell klappt, wie es eigentlich klappen könnte, liegt an den Kommunen. Sie sind es, die aktiv werden müssten, um an die Fördergelder zu gelangen, die zu einem großen Teil aus Brüssel stammen. "Viele Kommunen haben aber gar nicht die Kapazität, um das zu leisten", erklärt Şandor. Das ist ein Versäumnis, das sich Europa nicht länger leisten kann - und auch nicht länger leisten will. Zumindest lautet so die politische Absicht.

30 Megabit pro Sekunde für jeden Haushalt

Die im Jahr 2010 vorgestellte Digitale Agenda sieht vor, bis 2020 jeden Haushalt in der EU mit einer Mindestgeschwindigkeit von 30 Megabit pro Sekunde zu versorgen. Zudem sollen mindestens 50 Prozent der Haushalte mit 100 Megabit pro Sekunde ausgestattet werden. Das sind ambitionierte Ziele. Schon jetzt warnen Experten davor, dass sie mit der derzeitigen Investitionspolitik nicht erreicht werden könnten.

Auf einem Fachkongress der Telekommunikationsindustrie im Februar musste sich die zuständige EU-Kommissarin Neelie Krooes nicht nur vorwerfen lassen, die eigenen Ziele nicht zu erreichen. Der schwedische Europaabgeordnete Gunnar Hökmark kritisierte gar das gesamte Konzept als veraltet. Europa lasse sich von anderen Weltregionen abhängen, sagte der Konservative. Dort denke man längst viel weiter.

In der Tat spricht vieles dafür, dass sich Europa beim Ausbau der Kommunikationsstruktur für die kommenden Jahrzehnte noch deutlich ins Zeug legen wird müssen. Laut Eurostat verfügten 2011 nur 68 Prozent der Haushalte in der Europäischen Union über einen Breitbandzugang. Insgesamt waren lediglich 73 Prozent an das Internet angeschlossen.

Es geht um gesellschaftliche Teilhabe

Wer aber keinen Zugang zum Netz hat, dem fehlt zunehmend auch der Zugang zu Bildung, Dienstleistungen, Jobangeboten und damit gesellschaftlicher Teilhabe. Es gehe dabei um die Möglichkeit, sich "im öffentlichen Leben zu engagieren, zu mobilisieren und zu partizipieren", schrieb die Harvard-Forscherin Pippa Norris schon vor mehr als zehn Jahren im wissenschaftlichen Standardwerk zur digitalen Spaltung der Gesellschaft.

Es sind nicht nur einzelne Personen, die verlieren, wenn das Internet nicht zur Selbstverständlichkeit wird. Es ist auch die gesamte Gesellschaft. Das nach dem amerikanischen Netzwerkwissenschaftler Robert Metcalfe benannte Metcalfe'sche Gesetz besagt, vereinfacht gesagt, dass der Nutzen eines Netzwerks mit steigender Teilnehmerzahl wächst. Das trifft auch auf das wichtigste Netzwerk der Welt, das Internet, zu.

Lange Zeit sah es so aus, als würde das Internet - ähnlich wie etwa das Fernsehen in seinen Anfangszeiten - nach einigen Jahren gleichermaßen allen Bevölkerungsteilen zur Verfügung stehen. Dass die Ausbreitung des Internets aber kein Selbstläufer ist, sondern politisch gefördert werden muss, zeigt die Entwicklung in Rumänien.

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