"Super Mario Odyssey" im Test:Mario, der Held in tausend Gestalten

Super Mario Odyssey 1

Ungewohnt urban: Mario im klassischen Al-Capone-Outfit in den Häuserschluchten von New Donk City.

(Foto: Screenshot: Julian Dörr / Nintendo)

Bei "Super Mario Odyssey" weiß man jede Sekunde, wo man in der nächsten hin soll. Das macht aber nichts, denn Marios neue Fähigkeit eröffnet unendliche Welten.

Von Julian Dörr

Mario ist also doch kein Autodieb. Man muss das gleich vorweg sagen, weil der Trailer ja anderes vermuten ließ, diese ersten Aufnahmen aus "Super Mario Odyssey", dem neuesten Teil der Super-Mario-Reihe für die Nintendo Switch. Mario, der sich in die Schlucht zwischen zwei Wolkenkratzern stürzt. Mario, der über orange-gelbe Taxis hüpft. Mario, der auf einem Roller unter großstädtischer Leuchtreklame entlang düst. Das alles sah sehr nach New York City aus oder zumindest nach einer Nintendo-gerechten Version dieser Stadt. Und nun: Keine Verfolgungsjagden mit der Polizei, kein hit and run, kein Bandenkrieg. "Super Mario Odyssey" ist doch nicht "Grand Theft Auto" (GTA) im Pilzkönigreich geworden. Mario reißt niemanden mit vorgehaltener Waffe aus seinem Wagen. Der Roller, der steht da einfach so rum.

Es war nicht nur die für Super Mario ungewohnt urbane Optik, die einen Schwenk in Richtung GTA erwarten ließ. Zum Starttermin seiner neuen Konsole im März hatte Nintendo "Legend of Zelda: Breath of the Wild" veröffentlicht. Der erste Titel der berühmten Zelda-Reihe, der seine Spielerinnen und Spieler in eine offene und interaktive Spielwelt führte. Jeder Berg am Horizont - erklimmbar. Hinter jedem Baum - ein mögliches Abenteuer. Für diesen Open-World-Ansatz im Stile von GTA wurde "Breath of the Wild" von den Kritikern gefeiert.

Auch deshalb hat man sich gefragt, ob "Super Mario Odyssey", der zweite große und wichtige Titel für die Switch, die gleiche Behandlung wie Link und die Zelda-Reihe erleben würde. Ein neuer Anfang für den italienischen Klempner in einer offenen und nahezu grenzenlosen Welt? Einer Welt, in der Mario mal dieses Rätsel lösen, mal jenes Hindernis überwinden, mal jenen Gegner besiegen kann, auch wenn das die Story nicht vorantreibt? Die Antwort ist eindeutig: nein.

Marios neustes Abenteuer mag linear sein, aber es entwickelt einen mächtigen Sog

"Super Mario Odyssey" ist so linear wie seine Handlung. Nemesis Bowser hat mal wieder Prinzessin Peach entführt, dieses Mal für eine Zwangsheirat in Weiß. Mit seinem neuen Luftschiff, der Odyssey, macht Mario sich auf zu einer Verfolgungsjagd rund um den Globus. Eine Reise, die Mario neben dem Wüstenland, dem Seeland und dem Polarland auch in das Cityland führt, dessen Hauptstadt New Donk City nicht nur dem Namen nach an New York City erinnert. Der erste Besuch in New Donk City aber ist eine herbe Enttäuschung. Was in den Trailern nach einer riesigen, frei erkundbaren Stadt aussah, sind in der Realität des Spiels dreieinhalb Straßenkreuzungen.

"Super Mario Odyssey" ist ein grundklassisches Jump 'n' Run, bei dem man in jeder Sekunde weiß, wo man in der nächsten Sekunde hin soll. Unverständlicherweise bietet das Spiel sogar noch einen Hilfsmodus, bei dem Pfeile auf dem Boden den Weg zum Ziel weisen. So arbeitet man sich in Kleinstschritten von Aufgabe zu Aufgabe. Motor des Spiels ist - wie immer - das Sammeln von leuchtenden Insignien, diesmal in Form von Power-Monden, die das Luftschiff antreiben. Man besiegt Giftschleim spuckende Piranhapflanzen, vertreibt den bösen Götzen, der die Wüste auf Gefriertemperatur runterkühlt oder sucht Musiker für das Jazz-Festival von New Donk City.

Und irgendwann hat es einen dann ganz plötzlich. Marios neuestes Abenteuer entwickelt einen mächtigen Sog. Und das liegt vor allem an Marios Mütze.

Ein einziges Feature trägt die Möglichkeit von unendlichen Welten in sich

Das berühmte Original mit dem großen roten M zerfetzt Bowser nämlich zu Beginn des Spiels. Mario muss aber nicht lange ohne Kopfbedeckung auskommen. Gleich nach der Eröffnungssequenz begegnet er Cappy, einer Art fliegendem Zylinder, dessen Schwester ebenfalls von Bowser entführt wurde und der Mario deshalb auf seiner Odyssee begleitet. Cappy ist die wichtigste Neuerung in "Super Mario Odyssey", ermöglicht er Mario doch das sogenannte "Capern". Wenn Mario seine Kopfbedeckung auf einen Gegner oder einen bestimmten Gegenstand schleudert (was mit der Gestensteuerung der Switch übrigens sehr großen Spaß macht), verwandelt sich Mario in diesen - und erbt auch dessen besondere Fähigkeiten.

Es ist dieser Mechanismus, der einen an "Super Mario Odyssey" fesselt. Der sich im Spiel zwar immer und immer wieder wiederholt, aber schon nach wenigen Minuten irrsinnig kreative Varianten entwickelt. Da ist der gigantische Mario-T-Rex, der durch Felswände stürmen kann. Der Mario-Tausendfüßler, der sich wie eine Ziehharmonika über Abgründe hinwegbiegen kann. Oder Mario-Koopa, der mit Bratpfannen um sich wirft. Das "Capern" ist eine Meisterleistung der Imagination. Ein einziges Feature, das die Möglichkeit von unendlichen Welten in sich trägt.

Und so kämpft sich Mario als Held in tausend Gestalten durch zwar recht überschaubare, aber liebevoll gestaltete Level. Trotz der neuen und untypischen Ästhetik (Hochhäuser, Taxis, Dinosaurier), weiß "Super Mario Odyssey" ganz genau, wann es einen wieder an die lange Geschichte der Reihe erinnern muss. Sei es durch einen Soundfetzen oder einen alten Bekannten. "Super Mario Odyssey" ist zugleich Sprung in die Zukunft und Fest der Tradition. Die finale Versöhnung: Als Mario zur eigens komponierten Swing-Nummer "Jump Up, Super Star!" in alter, zweidimensionaler NES-Optik die Hochhaus-Fassaden von New Donk City hochhüpft, um auf der Spitze den alten Spielautomaten-Affen Donkey Kong zu treffen. Eine Verbeugung vor dem Kino, der Popkultur, der eigenen Vergangenheit. Mario braucht keine gigantische, offene Welt. Er trägt sie schon in sich.

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