Streit um Internet-Piraterie in den USA:Hollywood vs. Silicon Valley

Die Unterhaltungsbranche sieht sich um Milliarden betrogen und hat den Politikern mit ausgefeilter Lobby-Arbeit zwei resolute Gesetzesentwürfe diktiert. Die Internet-Unternehmen wollen diese Gesetze verhindern - dabei geht es ihnen nicht nur um die Informationsfreiheit. Ein Überblick über die Positionen.

Moritz Koch

Die Chamber of Commerce hat die Kunst der politischen Einflüsterung perfektioniert. Kaum eine andere Lobbygruppe versteht sich darauf, ihre Interessen im Washingtoner Politikgeflecht so effektiv durchzusetzen wie die amerikanische Handelskammer.

Senator Chris Dodd unveils his financial reform substitute on Capitol Hill in Washington

Chris Dodd bei der Vorstellung eines Reformvorschlags im März 2010 - zu dieser Zeit war der Politiker der Demokraten noch Senator. Heute setzt er sich vornehmlich für die Interessen der Unterhaltungsindustrie ein.

(Foto: REUTERS)

Insofern sollte es niemanden verwundern, dass es der Chamber in den vergangenen Monaten gelungen ist, dem Kongress Gesetzesvorlagen zu diktieren, die ganz nach dem Geschmack der Musik- und Filmindustrie sind. Der Stop Online Piracy Act des Abgeordnetenhauses, kurz Sopa, und der Protect IP Act des Senats, kurz Pipa, dokumentieren vor allem eines: die Funktionsfähigkeit etablierter Machtstrukturen.

In der Chamber of Commerce bündeln die wichtigsten Konzerne der USA ihre Interessen. Zwar gehören auch einige Internetunternehmen, die sich mit aller Macht gegen die Gesetzesinitiativen stemmen, der Handelskammer an. Doch sie konnten sich nicht gegen die Unterhaltungsbranche durchsetzen. Suchmaschinen-Betreiber Google erwägt daher, seine Mitgliedschaft zu kündigen.

Der Kampf der Musik- und Filmbranche gilt der Anarchie des Internets - und der schleichenden Erosion bewährter Geschäftsmodelle. 12,5 Milliarden Dollar Umsatz gehen der US-Wirtschaft einer Studie aus dem Jahr 2007 zufolge jährlich aufgrund der Umtriebe von Produktpiraten verloren.

Der Diebstahl geistigen Eigentums floriert vor allem auf ausländischen Internetseiten, die sich dem Zugriff amerikanischer Behörden und Gerichte entziehen. Das soll sich nun ändern. Und darum liegt Hollywood im Krieg mit dem Silicon Valley, dem Standort der amerikanischen Internetindustrie.

Verbissener Kampf mit einem Ex-Senator an der Spitze

In vorderster Front kämpft Chris Dodd, ein Haudegen, der mehr als drei Jahrzehnte auf Seiten der Demokraten im Kongress saß und etliche politische Schlachten geschlagen hat, zuletzt gegen die Wall Street. Die große Finanzreform von 2010 trägt Dodds Namen. Die Hollywoodvereinigung Motion Picture Association of America hat die Qualitäten des Ex-Senators erkannt und ihn zu ihrem Chef ernannt. Genau so verbissen wie einst gegen die unregulierten Großbanken, zieht Dodd nun gegen den herrschaftsfreien Raum des Internets zu Felde. Den Widerstand der Firmen aus dem Silicon Valley gegen die Gesetzesinitiativen geißelt er als "Gipfel der Unterverantwortlichkeit".

Ganz ähnlich äußert sich die Handelskammer auf ihrer Website FightOnlineTheft.Com. Und sie fügt hinzu: Es gehe nicht allein um Filme und Musik. Auch Pharmaprodukte würden illegal im Internet verhökert - ein hochlukratives, aber potentiell tödliches Geschäft. Und eines, das Amerika schade: Die Produkt-Piraterie grabe Wirtschaftszweigen, die 19 Millionen Amerikaner beschäftigten und 60 Prozent aller US-Exporte produzierten, das Geschäft ab.

Sopa und Pipa zielen daher darauf ab, den Zugang zu ausländischen Webseiten zu sperren, wenn dort illegale Geschäfte betrieben und Eigentumsrechte verletzt werden. Künftig sollen Unterhaltungskonzerne wie Sony einen Gerichtsbeschluss erwirken können, der Internet-Anbieter und Suchmaschinen dazu zwingt, die Piraterie-Plattformen faktisch unerreichbar zu machen.

Zudem soll Werbefirmen das Geschäft mit zwielichtigen Webseiten verboten werden können. Was die Unterhaltungsindustrie wichtige Schritte gegen den Diebstahl geistigen Eigentums bezeichnet, kommt aus Sicht der Internetbranche einem Angriff auf die Informationsfreiheit gleich.

Internet-Unternehmen wollen ihre Geschäftsinteressen wahren

Während der Lobbyismus in Washington als politische Kunstform gepflegt wird, gilt er im Silicon Valley als schmutziges Geschäft. Die Verschleierung der Machtausübung widerspricht der Philosophie der jungen Internetunternehmer, die Welt freier und offener zu machen. Aus genau diesem Grund zierten sich selbst Großunternehmen wie Google lange, eine effektive Interessensvertretung in Washington aufzubauen.

Doch von nun an ist die Passivität Geschichte. Der 18. Januar 2012 wird nicht nur als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem sich Teile des Internet verdunkelten, an dem die Online-Enzyklopädie Wikipedia ihren Dienst vorübergehend quittierte und Google sein Firmenlogo unter einem Zensurbalken verdeckte. Der 18. Januar markiert auch das politische Erwachen eine apolitischen Branche.

Der Protest gegen die Anti-Piraterie-Gesetze, die im Senat und im Abgeordnetenhaus beraten und von der Handelskammer in enger Absprache mit der Unterhaltungsindustrie promotet werden, schweißt die bunte und unorganisierte Internetbranche zusammen. Die Bloggerplattform Wordpress, der Softwarehersteller Mozilla, der Onlinebasar Ebay, das soziale Netzwerk Facebook und die Spielefirma Zynga: Sie alle, ob groß oder klein, ob profitgetrieben oder gemeinnützig, ob börsennotiert oder in Privatbesitz, sehen in den Gesetzesvorlagen den Versuch, die Freiheit des Internet zu beschneiden und fordern ihre Nutzer auf, Onlinepetitionen an den Kongress zu schicken.

Und der Protest beschränkt sich nicht nur auf den virtuellen Raum. Tausende Online-Aktivisten wollten sich noch am Mittwoch in Manhattan versammeln, um ihre Ablehnung kundzutun.

Die SOPA-Umsetzung wäre Unternehmen zu bürokratisch und kostspielig

Allerdings bleibt in der Debatte nicht verborgen, dass hinter den Anti-Zensur-Parolen handfeste wirtschaftliche Interessen stehen. Die Betreiber von Internetseiten befürchten, einen massiven Anstieg der bürokratischen Lasten, sollten die Gesetzesvorschläge in ihrer derzeitigen Form in Kraft treten. Illegale Internetseiten zu unerreichbar zu machen, so wie es der bisherige Gesetzestext fordert, sei enorm aufwändig und kostspielig.

Es geht also im diesem erbitterten, offen ausgetragenen Streit weniger um hehre Werte, als um handfeste Geschäftsinteressen. Das ist zwar wenig idealistisch, aber es ist eine Sprache, die in Washington verstanden wird. Und so trägt der Protest der Internetunternehmen erste Früchte. Einige Kongressmitglieder signalisierten bereits ihre Bereitschaft, die Sorgen der Internetfirmen auszuräumen.

"Jetzt zahlen sich die Wahlkampfspenden an Obama aus"

Auch das Weiße Haus hat klar gestellt, dass Präsident Barack Obama die Gesetze in ihrer jetzigen Form nicht unterstützen wird. Das zeigt, wie sehr der Einfluss des Silicon Valleys in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Trotz der Übertreibungen der Dot.com-Ära und des Niedergangs der New Economy ist die Internetbranche wohl die einzige Erfolgsstory der USA in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Den Boom der Finanzbranche jedenfalls wagt seit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers niemand mehr, als Errungenschaft anzupreisen.

Angesichts des zunehmenden politischen Gegenwinds werden die Unterstützer der Internet-Regulierung nervös: Das Wall Street Journal, auf seiner Meinungsseite häuft treu an der Seite der Handelskammer, ereifert sich: "Letzten Endes findet Präsident Obama also doch eine Vorschrift, die er nicht mag - was bedeuten muss, dass sich die Wahlkampfspenden von Google und dem Stanford Alumni Club auszahlen."

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