Streit um die E-Mail:Wer hat's erfunden?

In den USA tobt ein Streit darüber, wer der Erfinder der E-Mail ist. Bizarr daran ist nicht nur, dass sich Wissenschaftler einen kleingeistigen Schlagabtausch liefern, sondern auch, dass man bislang recht wenig über die Entstehung der digitalen Welt weiß.

Andrian Kreye

In Amerika ist ein bizarrer Streit darüber ausgebrochen, wer die E-Mail erfunden hat. Bizarr ist der Streit alleine deshalb, weil sich gestandene Wissenschaftler eine nölige "Wer hat's erfunden"-Debatte liefern, bei der es letztlich nur ums Rechthaben geht. Der legendäre Linguist am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Noam Chomsky, der sich gerne als Linksaußen der US-Politdebatte gibt, hat sich nun eingemischt.

Chomsky unterstützt seinen ehemaligen Studenten V. A. Shiva Ayyadurai. Der hatte 1978 als 14-Jähriger in der Highschool ein Nachrichtensystem für Computer erfunden, das er EMAIL nannte. Es war angeblich das erste Programm, das die Struktur traditioneller Nachrichtensysteme in Betrieben und Büros elektronisch imitierte, zu der auch Adressen für Absender und Empfänger sowie Körbe für ein- und ausgehende Post gehörten. 1982 registrierte Shiva EMAIL beim US Copyrights Office.

Gegenargumente gibt es viele. Am MIT selbst wurde schon 1961 ein Nachrichtensystem mit dem Kürzel CTSS entwickelt, über das Akademiker über Einwahlknoten Nachrichten auf einem Zentralcomputer hinterlegen konnten. Die Technologiefirma BBN arbeitete 1965 an einem Projekt mit dem Namen Mercury, das als elektronische Post beschrieben wurde. Shivas Einwand: Auf diesen Systemen bewegten sich Nachrichten nur innerhalb eines Rechners. Doch auf dem Vorläufer des Internets, dem militärischen Computernetzwerk der US-Forschungsbehörde, konnte man seit 1968 über "Mail Box Protocol" Nachrichten von Computer zu Computer schicken.

Das eigentlich Bizarre an der Debatte aber ist, dass man recht wenig über die Entstehungsgeschichte der digitalen Welt weiß. Derzeit gibt es erste Versuche, das zu klären. Der Wissenschaftshistoriker George Dyson hat beispielsweise gerade ein Buch mit dem Titel "Turing's Cathedral" veröffentlicht, in dem er die Genese der Computer als eine Art Schöpfungsmythos beschreibt. Den unterteilt er in ein Altes und ein Neues Testament.

Das Alte Testament finde man in den Werken von Gottfried Wilhelm Leibniz, der im 18. Jahrhundert das Dualsystem definierte. Das Neue Testament beginne mit dem ungarisch-österreichischen Mathematiker John von Neumann, der um 1945 an der Princeton University den ersten speicherprogrammierten Computer konstruierte. Mit diesem Rechner habe die mathematische Formel nicht mehr einen Vorgang beschrieben, sondern ihn auch ausgeführt.

Liest man aber den Technologietheoretiker Kevin Kelly, kommt man schnell zu dem Schluss, dass es für Fragen wie jene nach der Erfindung der E-Mail keine letztgültige Antwort geben wird. Kelly beschreibt die Geschichte der Technologien als Evolution. Da gäbe es wie in der Biologie zwangsläufige Gleichzeitigkeiten. Die Glühbirne hätten beispielsweise 23 verschiedene Forscher zur fast gleichen Zeit erfunden. Doch nur Thomas Alva Edison wurde dafür berühmt.

V. A. Shiva Ayyadurai besteht übrigens nicht auf seine Erfindung, weil er auf das große Geld hofft. Er ist sogar ein erklärter Gegner von Patenten: "Software zu patentieren wäre, als hätte Shakespeare ein Patent auf die Tragödie angemeldet." Er wolle nur beweisen, dass auch 14-Jährige bahnbrechende Erfindungen hervorbringen und so als Vorbild dienen können.

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