Streit über den Staatstrojaner:Kommt endlich im Internet an!

Man muss die Experten des Chaos Computer Clubs dafür loben, dass sie Missstände wie den Staatstrojaner aufdecken. Aber der CCC darf nicht die oberste digitale Instanz Deutschlands werden - das ist die Aufgabe der Politik. Sie muss endlich die Chancen und Risiken der Digitalisierung erkennen.

Helmut Martin-Jung

Die Welt wird nicht von, aber sie wird mit Computern regiert. In welchem Maße, das zeigt sich sehr deutlich immer dann, wenn diese Maschinen einmal ausfallen. Diese Dominanz technischer Systeme, die Abhängigkeit von ihnen, sie hat sich in einer in der menschlichen Entwicklung bis dato nicht gekannten Geschwindigkeit vollzogen. Erst Anfang der achtziger Jahre gab es die ersten Personal-Computer für den Heimgebrauch, erst Mitte der Neunziger erschien ein Programm, das es auch Nichtexperten erlaubte, das World Wide Web zu nutzen. Aus diesem Tempo erklärt sich die große Ratlosigkeit, die angesichts des nun offengelegten Staatstrojaners bei Politik und Behörden herrscht. Sie darf nicht bleiben. Die Regierenden müssen auch in der digitalen Welt ihrer Aufgabe nachkommen.

27. Jahrestagung des Chaos Computer Clubs

Der Chaos Computer Club hat die Späh-Affäre aufgedeckt. Es ist aber nicht seine Aufgabe, zu obersten digitalen Instanz zu werden.

(Foto: dpa)

Das Internet weist heute den Weg, dient dem Einkauf, ist Wissensspeicher und Ratgeber. Die Jugend organisiert ihr Leben in sozialen Netzen. Despoten versuchen vergeblich zu verhindern, dass Nachrichten verbreitet werden. Und die Finanzjongleure nehmen über digitale Verbindungen Einfluss auf das Schicksal ganzer Länder. Die Technik schreitet auch für sich genommen in einem ungeheuren Tempo voran.

Es ist kein Wunder, dass andere Lebensbereiche damit nicht Schritt halten können. Seit beispielsweise Musikaufnahmen digital verlustfrei kopiert werden können, wird darum gerungen, wie man damit rechtlich umgehen soll. Die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen, die ganze Musikbibliotheken von Festplatte zu Festplatte tauschen, steht dabei in einem krassen Gegensatz zu der Haltung von Politikern und Industrielobbyisten.

Bei Politikern besonders in der Union entsteht oft der Eindruck, dass sie nicht verstehen, wovon sie reden. Anstatt sich mit den neuen Gegebenheiten vertraut zu machen, bedienen sie diffuse Ängste gegenüber dem Neuen. Aus dieser Angst heraus werden Maßnahmen erst durchgewinkt und dann auch noch verteidigt, die wie im Falle des Staatstrojaners die Grenzen weit überschreiten, die das Bundesverfassungsgericht klar und deutlich gezogen hatte.

Aufgedeckt wurde die Sache vom Chaos Computer Club (CCC), dessen Expertise das höchste deutsche Gericht, aber auch Datenschützer oder Juristen schon oft herangezogen haben. Der CCC war es übrigens auch, der nachwies, dass Wahlcomputer, die in Deutschland verwendet wurden, manipulierbar sind. Liegt es also in den Händen eines eher lose organisierten Clubs, bei Computerfragen als letzte Instanz zu fungieren, als digitales Gewissen der Republik?

Das sollte es nicht. So sehr man die Experten des CCC dafür loben muss, dass sie Missstände aufdecken, sich im Dialog einbringen: Es kann nicht sein, dass sie die Einzigen sind, die den Staatstrojaner als das erkennen, was er ist - ein zusammengestümperter Verfassungsbruch. Wenn aber die Behörden das schon nicht schaffen, wie sollen sie ihr Land dann vor den Bedrohungen schützen, die mit der neuen Technik einhergehen?

Wie wenig gerade die Jüngeren den etablierten Parteien auf diesem Gebiet zutrauen, zeigen die jüngsten Erfolge der Piratenpartei. Es sollte aber nicht der Hackerethik alleine überlassen bleiben, die rasend fortschreitende Technik mit anderen Lebensbereichen in Einklang zu bringen. Das ist eine Aufgabe für alle.

An allen Ausbildungsstätten muss gelehrt und eingeübt werden, wie man sich in der neuen, digital geprägten Lebenswelt zurechtfindet, ihre Chancen und Risiken richtig einschätzt. Bloß die Technik zu beherrschen, reicht dafür allerdings nicht aus. Bei den Behörden müssen die Besten her, wenn es um das Beste des Landes geht: um die Freiheit einerseits und um Informationen und Infrastruktur andererseits - auch wenn es etwas kostet. Die Politik muss die Chancen der Digitalisierung erkennen und nutzen, ohne aber eine Herrschaft der Technokraten zu errichten.

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