Street-View-Panne:Google gefährdet die Grundwerte

Vertrauen ist ein fundamentaler Baustein der Internetwirtschaft. Durch Schlamperei beschädigt Google sein Grundkapital.

Andrian Kreye

Der Datenschutzskandal um den Internetkonzern Google ist zunächst einmal ein Problem für Google. Bei den Aufnahmen ganzer Straßenzüge für die fotografischen Stadtpläne ihres Street View-Dienstes hat Google nicht nur die Standorte privater drahtloser Internetverbindungen aufgezeichnet, sondern durch einen Fehler auch Teile des privaten Internetverkehrs über diese W-Lan-Netze.

Google Street View Wlan Kamera Datenschutz, dpa

Google Street-View-Kamera: Daten als Funktionsgrundlagen

(Foto: Foto: dpa)

Allerdings benutzt Google die Standortbestimmungen nur als Unterstützung von GPS-Daten. Außerdem sind die Datenmengen so gering und die Daten selbst so bruchstückhaft, dass man sie selbst dann nicht auswerten könnte, wenn man es wollte.

Doch weil es bei dem Skandal nicht um die praktischen Auswirkungen geht, sondern um die Grundwerte der digitalen Wirtschaft und der digitalen Kultur, ist Google aus gutem Grund nervös geworden. Denn die Grundwerte, die der Konzern mit seiner Schlamperei gefährdet hat, sind auch sein Grundkapital.

Diskretion ausgeschlossen

Mindestens so wichtig wie Geld und Waren sind im Wirtschaftskreislauf des Internets Informationen und Daten. Kaufverhalten, Wohnort, Arbeitsplatz, persönliche Angaben - was man im Marketing Kundendaten nannte, ist heute eine Anhäufung persönlicher Detailinformationen, aus denen im Internet so etwas wie eine digitale Persönlichkeit entsteht.

Dieses digitale Alter Ego ist Geld wert, weil man es an Werbekunden oder Umfrageinstitute verkaufen kann. Das ist die Geschäftsgrundlage von Firmen wie Google oder Facebook, denn die Gratiskultur des Internets kann kommerziell nur funktionieren, wenn jeder Nutzer mit persönlichen Daten bezahlt.

Daten sind aber auch Funktionsgrundlagen. Viele der neuesten und zukünftigen Funktionen des Internets basieren darauf, dass das Netz möglichst viel über den einzelnen Nutzer weiß. Gerade im mobilen Netz ist die Bestimmung des jeweiligen Aufenthaltsortes obligatorisch, um dem Nutzer Informationen über sein direktes Umfeld, Wegbeschreibungen oder Warnhinweise zu geben.

Das führt auch dazu, dass der Nutzer jederzeit von anderen geortet werden kann, was hilfreich sein mag, um verlaufene Kinder aufzufinden. Wer Wert auf Diskretion legt, wird das Netz bald nicht mehr nutzen können, denn selbst das Ausklinken würde verdächtig wirken.

Monopolstellung der US-Firmen

Je mehr Daten man preisgeben muss, um die Funktionen des Netzes zu nutzen, desto wichtiger ist das Vertrauen in die Anbieter dieser Dienste. Nachdem sich im Netz mehr als in jedem anderen Medium Monopolisten von globaler Reichweite wie Google, Facebook, Apple oder Microsoft etabliert haben, ist es für diese Firmen lebenswichtig, diesen Vertrauensbonus nicht zu verspielen.

Der Zukunftsmarkt medizinischer und genetischer Informationen, den Dienste wie Google Health oder 123me gerade erobern, wird die Vertrauensfrage noch verschärfen. Weil fast alle digitalen Monopolstellungen von US-Firmen gehalten werden, fehlt es jedoch an Problembewusstsein.

Datenschutz ist in den USA ein sekundärer Grundwert. Das hat einerseits damit zu tun, dass Amerika noch keine Diktatur erlebt hat. Zum anderen hat die Transparenz in der amerikanischen Gesellschaft und Kultur einen ungleich höheren Stellenwert. Das schlägt sich nicht zuletzt in der Gesetzgebung nieder.

Transparenz als Form der Freiheit

Gesetze wie der Freedom of Information Act helfen Wirtschaftsfahndern, die Praktiken von Konzernen und Banken zu durchleuchten, und Journalisten, der Doppelmoral der Politiker auf die Schliche zu kommen. Andererseits ist die Überwachung der Bürger viel umfassender als auf dem europäischen Kontinent.

In den Anfängen des Internets galt die Kultur der Transparenz als Form der Freiheit. Erst seit Konzerne die Offenheit des Netzes kommerziell nutzen, regen sich auch in den USA Zweifel. Die Struktur des Netzes lässt sich jedoch nur noch im Detail ändern.

Mit wachsenden Funktionen und Datenmengen wird es darauf hinauslaufen, dass man sich entscheiden muss, ob man sich seine Privatsphäre bewahrt oder das Internet nutzt. Philosophisch betrachtet mag das eine freie Entscheidung sein. Praktisch gesehen ist sie es nicht.

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