Streaming und Kultur:Radikaldigitalisierung jetzt!

'One Man, Two Guvnors' National Theatre Live - Online Stream

Auch Theater lässt sich gut streamen (im Bild der britische Schauspieler James Corden).

(Foto: Getty Images)

Die Krise hat Theater und Museen ins Netz gezwungen. Sie sollten es nicht wieder verlassen.

Kommentar von Nicolas Freund

Corona bedeutete für viele eine Radikaldigitalisierung, auch für die Kultur. Schnell und pragmatisch haben Theater, Opernhäuser, Museen, Festivals und andere Einrichtungen Möglichkeiten gefunden, ihr Angebot im Netz zu präsentieren. Die Münchner Kammerspiele und das Berliner Theatertreffen streamen jeden Tag ein aufgezeichnetes Stück. Das Münchner Dokfest fand diese Woche digital statt, mit Streams statt Kinobesuchen. Museen wie die Fondation Beyeler in Basel haben ihre Aktivitäten in den sozialen Netzwerken ausgebaut. Literarische Lesungen werden auf Twitch übertragen. Auch die digitalen Plattformen profitieren von einem Zuwachs hochwertiger Inhalte.

Ein Stream ersetzt nicht den Besuch im Theater oder Konzert und die Festivalatmosphäre. Begegnungen und Diskussionen funktionieren über Zoom oder Twitch schlecht bis gar nicht. Doch auch wenn diese Angebote aus der Krise geboren sind und durch das bestechen, was sie nicht bieten können, sollten die Institutionen sie unbedingt beibehalten. Wenn ein normalerer Betrieb wieder möglich ist, wird man die großen Chancen dessen erkennen, was in diesen Wochen als defizitär wahrgenommen wird.

Sehr oft sind digitale Angebote keine Konkurrenz für das Erlebnis einer Theaterinszenierung, eines Konzerts, einer Lesung oder eines Kinobesuchs. Trotz Netflix und anderer Streamingdienste sind im letzten Jahr die Kinobesucherzahlen angestiegen. Man wird sehen, was der harte Einschnitt durch Corona und die Verschiebungen vieler Filme bedeuten, aber das Interesse des Publikums ist groß. Das zeigen die steigenden Zahlen der Streamingdienste.

Alle werben um das junge Publikum. Durch das Netz lässt es sich leichter erreichen

Theater und Festivals, die Teile ihres Angebots - gar nicht unbedingt kostenlos - ins Netz stellen, würden ein größeres Publikum erreichen und ihr subventioniertes Programm mehr Menschen zugänglich machen. Nicht jeder Theaterinteressierte kann zum Theatertreffen nach Berlin fahren. Auf Festivals wie der Berlinale oder dem Münchner Filmfest sind viele Veranstaltungen rasch ausverkauft. Ein Streamingangebot wäre in solchen Fällen keine Gefahr, sondern eine Ergänzung, es könnte die Publikumszahlen vervielfachen. Die "Hamlet"-Inszenierung mit Sandra Hüller wurde beim digitalen Theatertreffen gerade 36 000 Mal aufgerufen.

Im besten Fall finden Kultureinrichtungen so Zuschauer, die sich sonst nie ins Theater und die Oper gewagt hätten. Auch das junge Publikum, das vielen Kulturinstitutionen fehlt, ließe sich auf diese Weise leichter und vor allem zeitgemäß erreichen. Einen Stream aufzurufen ist wesentlich niedrigschwelliger, als Karten für eine Veranstaltung zu kaufen, die selbst bei einem Großteil jüngerer kulturinteressierter Menschen nicht als Option für die Freizeitgestaltung einkalkuliert wird. Ein Millionenpublikum wird auf diese Weise vielleicht nicht erschlossen werden, und das ist auch nicht nötig. Aber viele, die sich für Oper oder Independent-Filme interessieren und das vielleicht gar nicht wussten, könnten so gewonnen werden. Das Theatertreffen möchte sein digitales Angebot beibehalten, was zeigt, dass auch die Kulturschaffenden die Chance erkennen.

Warum nicht Theaterinszenierungen, die zum Teil auf der Bühne, zum Teil digital stattfinden? Warum nicht Filme bei Festivals, für die vielleicht wegen ausgebuchter Säle kein Platz mehr war, wenigstens als Stream anbieten? Das gemeinsame Computerspielen drängt sich schon länger als neue Interviewform auf. Dazu müssten aber digitale und analoge oder andere Ausspielkanäle nicht mehr als Konkurrenz gedacht werden, sondern als Möglichkeiten einer nicht mehr aufzuhaltenden Digitalisierung.

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