Streaming-Dienst Apple Music:Mitschwimmen im Strom

Tim Cook

Tim Cook lässt sich nach der Entwicklerkonferenz feiern.

(Foto: AP)
  • Apple hat den Musik-Streaming-Dienst Apple Music vorgestellt. Er startet in Kürze in 100 Ländern.
  • Für 9,99 Dollar pro Monat können Nutzer den Dienst abonnieren, die ersten drei Monate sind kostenlos.
  • Mit dem Angebot greift Apple den Trend auf, Musik zu abonnieren, statt sie zu kaufen.
  • Mit iTunes ist der Konzern zwar Download-Marktführer. Beim Streaming bestimmen aber Anbieter wie Spotify, Pandora oder Deezer das Tempo.

Von Johannes Kuhn, San Francisco, und Helmut Martin-Jung

Beinahe zwei Stunden hatte das Publikum bereits gewartet, da brach Tim Cook mit der Vergangenheit. "Das nächste Kapitel der Musik", versprach der Apple-Chef seinen Zuhörern und kündigte den Streaming-Dienst Apple Music an. Musik, das bedeutete für Apple bislang eigentlich ausschließlich, MP3s zu verkaufen. Seit 2003 bietet Apple Musikstücke in iTunes an, der dazugehörige iPod es war der erste Schritt in die neue mobile Welt, die den Konzern nun zum Multimilliarden-Dollar-Riesen gemacht hat.

Die Revolution kam damals hübsch daher - bunt, ein bisschen knuffig sogar. Praktisch war sie in jedem Fall: Auf einem tragbaren Abspieler - so klein, dass er locker in die Hemdtasche passte - ließen sich Tausende Musikstücken speichern. Die musste man sich nicht mehr irgendwo auf krummen Wegen besorgen, man konnte sie ganz legal, günstig und in guter Qualität kaufen. Bei Apple. Nicht bei Warner Music, Sony und wie sie alle heißen. Bei Apple.

Doch die Hörgewohnheiten in dieser Welt haben sich verändert, die Einnahmen aus dem MP3-Verkauf gehen zurück, stattdessen heißt das neue Zauberwort Streaming. Die Musikstücke gehören einem nicht mehr, man mietet sich bloß den Zugang dazu übers Netz. Mit Firmen wie Pandora oder Spotify haben längst kleinere Akteure begonnen, diesen Markt zu erobern, der mit einem Volumen von 1,6 Milliarden Euro noch in den Kinderschuhen steckt.

Apple muss mit Musikstreaming zunächst kein großes Geld verdienen

Für die Einführung von Apple Music bot der iPhone-Konzern deshalb eine ganze Armada an Apple-Managern, Künstlern wie dem Nine-Inch-Nails-Frontmann Trent Reznor oder dem Rapper Drake ein - und natürlich die üblichen überdrehten Phrasen. Einen "revolutionären Musik-Dienst" versprach Jimmy Iovine, der zusammen mit der Rapmusik-Legende Dr.Dre das Unternehmen Beats Electronics gegründet hat, das Apple im vergangenen Jahr für drei Milliarden US-Dollar kaufte - und dessen Team hinter Beats steckt.

Was die Kunden ab Ende Juni für knapp zehn Dollar pro Monat erhalten, ist allerdings alles andere als revolutionär und setzt sich kaum von Spotify und Co. ab. Ein eigener Radiosender mit prominenten DJs, besser gepflegte Künstlerseiten und eine Integration mit dem persönlichen Assistenten Siri sollen die Nutzer überzeugen. Anders als die Konkurrenz muss Apple mit Musikstreaming zunächst keine hohen Summen verdienen, sondern vor allem dafür sorgen, dass der iTunes-Musikkatalog nicht verstaubt und man am Puls der Zeit bleibt. Der Elektronik-Konzern mit seinen gigantischen Barreserven von mittlerweile fast 200 Milliarden Dollar könnte es sich sogar leisten, für einige Zeit draufzuzahlen - solange er nur weiter so prächtig verdient mit seinem Zugpferd, dem iPhone.

Für Apple ist ein Streaming-Dienst also ein interessantes Zusatzangebot, keine Frage des Überlebens wie für die reinen Streaming-Anbieter. Diese müssen noch immer kämpfen, um sich behaupten zu können.

Bei Marktführer Spotify hören 60 Millionen Nutzer regelmäßig rein, die meisten allerdings in das kostenlose, durch Werbeeinblendungen finanzierte Angebot. Nur 15 Millionen Spotify-Nutzer haben ein kostenpflichtiges Abonnement abgeschlossen und zahlen monatlich um die zehn Euro.

Apple dagegen hat über seinen iTunes-Laden schon die Zahlungsdaten von 800 Millionen Nutzern. Für sie wäre es nur ein Klick, ein Abonnement für den Apple-Streaming-Dienst abzuschließen. Mit drei kostenlosen Probemonaten sollen sie nun gelockt werden, im Herbst erscheint auch eine Android-App. Dies alles zeigt, dass sogar der strahlende Apple-Konzern etwas von seinem Glanz eingebüßt hat. Nicht mehr er ist es, der mit einem revolutionären Produkt den Markt aufrollt, er versucht nur, auch dort Fuß zu fassen, wo andere bereits vorangegangen sind.

"News"-App als Plattform für Verlage und Sender

Ähnliches lässt sich auch bei anderen Neuheiten vom Montag beobachten: Die Updates des Mobil-Betriebssystems iOS und das Mac-Systems OS X ("El Capitan") erhalten nur kleine Änderungen, unter anderem soll die iPhone-Batterie länger halten. Dass Siri nun den Kontext eines Nutzers besser verstehen kann, erinnert an die jüngst von Google vorgestellten Neuheiten des Android-Assistenten Google Now. Mit der App "News" will der Konzern Verlagen und Sendern eine Plattform für ihre Inhalte auf Smartphones und Tablets eröffnen.

Das Aussehen erinnert an die App Flipboard, das Prinzip ähnelt dem, was jüngst Facebook mit "Instant Articles" ankündigte. Und selbst die neuen Tablet-Funktionen ähneln erstaunlich detailliert der Oberfläche, wie sie Microsoft in sein Windows-System gebaut hat. Und selbst die Navigationsfunktion für die iOS-Karten gibt es beim Konkurrenten Google schon lange.

Auch beim Thema Smart Watch kam Apple mit seinem Produkt vergleichsweise spät auf den Markt. Zumindest in San Francisco lauern an jeder Ecke Tech-Hipster, die auffällig-unauffällig auf ihr neues Gerät am Handgelenk blicken. Verkaufszahlen präsentierte Apple nicht, stattdessen Werkzeuge für Entwickler, um bessere Apps zu programmieren. Ähnlich geht der Konzern bei HomeKit vor, das es Nutzern erlauben soll, den heimischen Haushalt per Telefon zu steuern.

Und das Apple-Auto? Bisher unbestätigte Gerüchte. In Wahrheit deutet sich an, dass sich der Konzern derzeit stabilisiert und seine vorhandenen Produkte langsam ausbaut. Solange sich das iPhone weiter wie geschnitten Brot verkauft, genügt das.

Vielleicht ist die Firma deshalb nicht nur nach diesem Montagabend, sondern auch auf absehbare Zeit vor allem eines: Der iPhone-Konzern, der mit Computern inklusive des Ökosystems drumherum sein Geld verdient und dann auch noch mit elektronischen Mode-Accessoires wie der Watch sein Geschäft erweitert.

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