Start-ups in Afrika:SMS statt Überlandbus

Start-ups in Afrika: Lange kopierten die Afrikaner nur Internetdienste aus dem Ausland. Doch inzwischen gibt es auch Lösungen für die Probleme der Region: M-Pesa etwa.

Lange kopierten die Afrikaner nur Internetdienste aus dem Ausland. Doch inzwischen gibt es auch Lösungen für die Probleme der Region: M-Pesa etwa.

(Foto: Simon Maina/AFP)

Am erfolgreichsten unter den afrikanischen Start-ups sind solche, die die alltäglichen Sorgen der Leute lösen. Doch viele Entwickler wollen keinen Profit machen - und stehen sich damit selbst im Weg.

Von Tobias Zick, Nairobi

Der Webentwickler David Kobia saß gut 13 000 Kilometer von Kenia entfernt im US-Bundesstaat Alabama, als in seinem Heimatland Kenia die Unruhen ausbrachen: Mit Macheten und Speeren fielen die Milizen über Zivilisten her, weil diese den Volksgruppen der politischen Feinde angehörten. Rivalisierende Politiker hatten sie aufgehetzt.

Das war Anfang 2008, die Bürger in Kobias Heimat hatten gerade gewählt. Die Gruppen warfen sich gegenseitig vor, bei der Auszählung der Stimmen betrogen zu haben. Kenia, einst als Insel der Stabilität inmitten der Krisenregion Ostafrika gerühmt, versank in Hass und Blut, als bei Kobia in Alabama das Handy klingelte. Ein Freund erzählte ihm vom Aufruf einer kenianischen Bloggerin, jemand mit dem nötigen Wissen möge doch bitte im Internet eine Google-Karte erstellen, auf der die Übergriffe aktuell verzeichnet werden können.

Selten traf der Spruch "aus der Not geboren" so zu wie auf diese Firmengründung: Kobia machte sich an die Arbeit, zwei Tage später schaltete er ein eigenes Portal frei, das den Anfang seines heutigen Erfolgsgeschäfts begründen sollte: Ushahidi, in Kenias Landessprache Swahili das Wort für Zeugnis. Zeugen der Gewalttaten im ganzen Land konnten über ihr Mobiltelefon mit Orts- und Zeitangabe Meldungen übermitteln, die wurden in Kartendaten umgewandelt, und so entstand nach und nach eine präzise Landkarte der Verbrechen von Politikern gegen ihre eigenen Landsleute. Sie fanden den Weg vorbei an Zensurmaßnahmen und Nachrichtensperren, die die Regierung verhängt hatte.

Interaktive Karten retten Leben

Ushahidi ist inzwischen weltweit als Software für Krisenkommunikation etabliert, die Plattform ist bislang in mehr als 30 Ländern zum Einsatz gekommen. Nach dem Erdbeben in Haiti 2010 etwa nutzten Hilfsorganisationen das System, um sich in dem Chaos zu orientieren, um Verschüttete und Hungernde ausfindig zu machen, eingestürzte Brücken und Flüchtlingslager zu lokalisieren - die Informationen aus etwa 25 000 SMS und viereinhalb Millionen Twitter-Nachrichten hatten sich da bereits zu einem immer detaillierteren Bild der Katastrophe zusammengefügt. Ein Sprecher der US-Marines, die nach dem Erdbeben Rettungsflüge organisierten, schwärmte, die interaktiven Karten hätten "jeden Tag Leben gerettet."

David Kobia, der inzwischen mehrere internationale Gründerpreise bekommen hat, ist heute einer der prominentesten Vertreter von Afrikas junger Start-up-Generation. Der vermeintliche Kontinent des Hungers und der Krisen hat in den vergangenen Jahren immer mehr erfolgreiche Internet-Start-ups hervorgebracht, was auch mit dem enormen Nachholbedarf zu tun hat: Viele Länder Afrikas haben in den vergangenen drei, vier Jahren über Unterseekabel endlich flächendeckend einen Anschluss ans Internet bekommen - früher konnten sich die Menschen vielerorts nur über Satelliten teuer mit dem Netz verbinden.

Zudem ist Afrika südlich der Sahara der am schnellsten wachsende Mobilfunk-Markt. "Und parallel wächst auch das Selbstbewusstsein unter jungen Computerspezialisten", sagt Kobia. Er gibt zu, dass bei der Gründung von Ushahidi sein Aufenthalt in den USA durchaus geholfen hat - weil er dort leichter Investoren überzeugen und eigene Hemmungen überwinden konnte. "In Kenia bekommt man als junger Mensch kaum das Gefühl vermittelt, etwas bewegen zu können", sagt er. "Man muss erst alt werden. In den USA habe ich eine ganz andere Mentalität kennengelernt, das hat sicher geholfen."

Auch wenn Ushahidi als Anwendung für Hilfsorganisationen begann: Kobia sieht sich ausdrücklich als Unternehmer; als einer, der Geld verdienen will. "Einige der besten Programmierer in Kenia arbeiten für Nonprofit-Organisationen", sagt er, "während sie eigentlich die Wirtschaft ihres Landes aufbauen könnten." Diese Organisationen hätten in vielen Fällen "das freie Unternehmertum zerstört und Afrikaner zu Bettlern gemacht."

Deshalb haben Kobia und seine Kollegen in Nairobi das iHub mitgegründet, ein Gründerzentrum für junge Web-Entwickler, das sich inzwischen seinen Ruf in der Welt erarbeitet hat - und die Gründung ähnlicher Einrichtungen in Nigeria, Ghana, Sambia und Südafrika inspirierte. Google-Aufsichtsratschef Eric Schmidt pries nach einem Besuch die kenianische Hauptstadt als "ernst zu nehmenden Technologie-Standort". Ihm sei dort "unglaubliches kreatives Potenzial begegnet."

Erfolgreiche Gründungen

Dabei waren die ersten Innovationen oft eher Imitate bereits bestehender Anwendungen - eine Art afrikanisches Twitter beispielsweise - und verschwanden bald wieder. Die erfolgreichen Gründungen dagegen sind solche, die spezifisch afrikanische Bedürfnisse erfüllen. Prominentestes Beispiel ist M-Pesa, gegründet 2007: ein System, mit dem man Geld per Handy überweisen kann - in Kenia hat es heute mehr als 20 Millionen Nutzer. Vielen hat es geholfen, Schwierigkeiten des kenianischen Alltags aus dem Weg zu räumen.

Familienväter, die in der Großstadt arbeiten, müssen nicht mehr in den Überland-Bus steigen (und Geld für ein Ticket ausgeben), um nach einer langen und ermüdenden Nachtfahrt ins Heimatdorf die Schulgebühren ihrer Kinder zu bezahlen. Sie laden das Geld als Guthaben auf ihr M-Pesa-Konto, schicken es per Handy an die Telefonnummer ihrer Verwandten, und die können es sich an einem Kiosk in ihrem Dorf in bar auszahlen lassen. Ein wichtiger Teil des Erfolgs-Rezepts: M-Pesa funktioniert, wie viele andere afrikanische Digital-Innovationen auch mit alten Billig-Handys.

Dass Kenia heute in ganz Afrika als Start-up-Standort führend ist, liegt unter anderem an der innovationsfreundlichen Politik der Regierung in Nairobi, die den Sektor fördert. Bei M-Pesa hat beispielsweise die Zentralbank darauf verzichtet, eine Banklizenz einzufordern. Darüber hinaus sieht Ushahidi-Gründer Kobia auch historische und soziologische Gründe für den Erfolg: "Kenia hat seit der Unabhängigkeit stark in Bildung investiert", sagt er. In Kenia könnten im afrikanischen Vergleich viele Menschen lesen und schreiben. "Und Nairobi ist als Standort der Vereinten Nationen und vieler weiterer Organisationen eine der internationalsten Hauptstädte Afrikas. Das sorgt für einen ständigen Austausch an Ideen."

Digital-Boom in Kenia

Die kenianische Regierung will den Digital-Boom im Land weitertreiben - mit ehrgeizigen Plänen: Bei Konza, heute noch eine Kleinstadt, etwa 60 Kilometer von Nairobi entfernt, soll auf einem 5000-Hektar-Areal eine völlig neue Stadt entstehen, genannt Konza Technology City, mit Hochschulen, Rechenzentren und Forschungslabors. Ein Spitzname steht auch schon fest: Silicon Savannah, entsprechend dem kalifornischen Silicon Valley. Bis 2030, so die optimistischen Prognosen, sollen in Konza mehr als 200 000 neue Jobs entstehen.

David Kobia und seine Kollegen von Ushahidi haben kürzlich ihrerseits mit einer neuen Erfindung international Aufsehen erregt: BRCK, ein Modem, das wie ein Backstein aussieht und ähnlich robust sein soll. Es kann sich über verschiedene Kanäle mit dem Internet verbinden - Wifi, Handynetz, Breitbandkabel - und wählt jeweils automatisch den verfügbaren Zugang aus.

Hinter der Entwicklung steckt die Erkenntnis, dass zwar in Afrika eine digitale Revolution in Gang ist und Mobiltelefone längst in entlegenste Dörfer vorgedrungen sind, zugleich aber Internetverbindungen oft noch immer instabil und teuer sind. Warum sich also auf eine Technik aus der industrialisierten Welt verlassen - und nicht eine eigene entwickeln, die den Rahmenbedingungen in Afrika angepasst ist?

Im November soll das Modem auf den Markt kommen. David Kobia hofft auf beträchtliche Exportchancen: "Das Modem ist für widrigste Bedingungen konstruiert, für Leute, die in Entwicklungsländern reisen und arbeiten. Wenn es in Afrika funktioniert, dann wird es in vielen Teilen der Welt funktionieren."

Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme: Was Politiker des Kontinents gerne als Floskel verwenden und dann nur sehr selten mit Inhalt füllen, das erweist sich offenbar immer mehr als Erfolgsformel für eine junge Generation von Unternehmern.

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