Start-ups im Silicon Valley:Kiffen ist das nächste große Ding

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Vier US-Staaten haben Kiffen legalisiert, in den kommenden Jahren könnten mehr als ein Dutzend weitere nachziehen - es lockt ein gigantischer Wachstumsmarkt. (Foto: Torsten Leukert/dpa)

Das Silicon Valley entdeckt Marihuana als Geschäftsfeld der Zukunft. Besuch bei einem Start-up-Wettbewerb, wo glorreiche Prophezeiungen auf die triste Realität stoßen.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Wie verlockend die Warnung doch klingt: "Kein Cannabis-Konsum im Twitter-Gebäude. Haltet die Augen offen für Details zur Party danach." Vor der Party - genauer gesagt vor allem anderen - kommt im San Francisco des Jahres 2015 natürlich das Geschäft. Und deshalb richtet sich zitierte Einladung nicht an kiffende Twitter-Mitarbeiter, sondern an jene, die künftig an Gras-Konsumenten verdienen möchten. Der "Weed Club", ein Zusammenschluss von "Cannabis-Geschäftsleuten", veranstaltet einen Wettbewerb für Start-ups.

Vier US-Bundesstaaten haben Marihuana-Konsum bisher freigegeben, 23 erlauben die medizinische Nutzung. In den kommenden Jahren könnten mehr als ein Dutzend Freigaben folgen, ein gigantischer Wachstumsmarkt lockt.

"High Tech" hatte rund um das Silicon Valley bislang eine andere Bedeutung, doch langsam wächst das Interesse - und die Angst, dass Standorte wie Colorado und Washington State wegen der Legalisierung uneinholbar enteilen. Gut 70 Menschen drängen sich deshalb im Co-Working-Space einige Stockwerke unter den Twitter-Büros, vom örtlichen Schokoladen-Hersteller über seriöse und weniger seriöse Investoren bis hin zur üblichen Start-up-Meute.

Ein bisschen Breaking Bad

An den Ständen der Jungfirmen dampft es trotz Rauchverbots heftig, für heiße Luft sorgen die Gründer. "Wir wollen in den Luxus-Markt einsteigen", erzählt Alex Garcia, Chef von "Emerald Vapes", das Marihuana-Liquids für E-Zigaretten herstellen möchte. Natürlich sei sein Produkt biologisch und qualitativ hochwertig, versichert Garcia, als Beweis zieht er eine Tabelle hervor, die den THC-Gehalt der gängigen Liquids auflistet. Einsam an der Spitze liegt mit 73 Prozent THC-Gehalt natürlich Emerald Vapes. Der beste Koch erobert nicht nur in der TV-Serie "Breaking Bad" den Markt, so die Botschaft.

Ty Williams hingegen spricht Laien an, selbst der konservative deutsche Gesundheitsminister Hermann Gröhe würde seine Ausführungen verstehen: Der Dreadlock-Träger mit Cordjacke erklärt zunächst einmal, was eine Wasserpfeife ist ("auch als Bong bekannt"), dann zeigt er sein Produkt, einen elektronischen Zerstäuber-Aufsatz. Seine Firma Vapexhale, die auf ihrer Homepage einen "Vaporgasmus" verspricht, hat den Zerstäuber schon in ausgewählte Headshops gebracht, nun bastelt sie an einer "Killer-App": "Wir arbeiten an einer Anwendung für das Internet der Dinge, dann kannst du unser Gerät mit dem Smartphone steuern", verrät Williams stolz. "Wir wollen Cannabis-Technologie und die Welt der Wearables zusammenbringen."

Diagnose per Webcam

Zwei Tische weiter herrscht leichtes Misstrauen: Die Organisatoren haben ausgerechnet Hello MD und Presto Doctor nur wenige Meter entfernt voneinander platziert. Beide bieten eine Software an, die Cannabis-Nutzern den in Kalifornien notwendigen Arzttermin zur Verschreibung des medizinischen Marihuanas so bequem wie möglich machen soll. Genauer gesagt können die Therapiebedürftigen auf dem Sofa bleiben und ihr Evaluierungsgespräch per Webcam führen.

Optisch gewinnt an diesem Abend Presto Doctor, einer der beiden Gründer hat einen Arztkittel angezogen, um Glaubwürdigkeit zu demonstrieren. Dass beiden Firmen eine kurze Lebensdauer droht, da Kalifornien im November 2016 die komplette Cannabis-Freigabe verabschieden dürfte und Arzt-Gespräche dann unnötig sein werden - geschenkt.

Inzwischen hat Gastgeber Evan Horowitz, Gründer des Weed Clubs, die Bühne betreten. "Gute Nachrichten", verkündet der bestens gelaunte Mann mit den knuffigen Gesichtszügen, "alle Firmen hier können von Risikokapitalgebern finanziert werden." Es ist der Beginn einer Ansprache, in der sich die harzige Botschaft eines Cannabis-Liebhabers mit einer milden Version des gängigen Tech-Größenwahns verbindet.

"Wir bauen eine Branche ganz von unten auf", frohlockt Horowitz. Weitere Höhepunkte: "Investiert jetzt, wenn die Legalisierung kommt, ist es zu spät!" "Gras ist Medizin. Ich liebe es, Gras zu rauchen." Und: "Wir veranstalten jeden Dienstag ein 'Kiffe mit einem Investor'. Ihr müsst dort nicht eure Ideen vorstellen, sondern könnt einfach abhängen."

Der bekannteste Cannabis-Fan der Venture Capitalists genannten Risikokapital-Geber, Peter Thiel, ist nicht vor Ort. Thiels Einstieg in den ersten institutionellen Marihuana-Großinvestor Privateer hat der Branche eine gewisse Glaubwürdigkeit verliehen, immerhin hat der VC bei Firmen wie PayPal, Facebook, Oculus oder Airbnb ein gutes Gespür bewiesen.

Es wird nicht geraucht - aber getrunken

Um diesen Abend zu genießen, müsste Thiel allerdings einen kräftigen Lungenzug nehmen: In schummrigem Licht präsentieren die Gründer ihre Ideen der achtköpfigen Jury, die sich aus Investoren, Branchenberatern und anderen Cannabis-Gründern zusammensetzt. Nicht alles läuft dabei professionell ab. Jury-Chef Max Shapiro (sein Start-up "People Connect" vermittelt Tech-Firmen Mitarbeiter, die drei Monate auf ihr Gehalt verzichten) muss immer wieder von seinem Platz aufstehen und um Ruhe bitten: Zwar gibt es keine Rauchwaren, aber kostenlosen Alkohol, das hintere Drittel des Raumes hat sich längst in eine lärmende Bar verwandelt.

"Toll, wie ihr euer Produkt aus der Perspektive einer kraftvollen Marke denkt", loben die Preisrichter die Gründerinnen von Synchronicity, einem Cannabis-Club für Frauen, der auch Tupperware-Partys für Marihuana-Freundinnen veranstaltet. Der Gründer von Mr. Botanical wiederum kam über einen Umweg auf seine Idee: Weil seine Musik-Suchmaschine floppte, baute er sie um. Nun schlägt die Software für jede Marihuana-Sorte passende Musik, Filme und Mahlzeiten vor. "Das ist ein Game-Changer", schwärmt Gastgeber Horowitz ehrlich begeistert.

"Wo ist der Bedarf?"

Alex Garcia dagegen findet kaum Anklang mit seiner Prognose "Cannabis 3.0 kommt - und damit auch die großen Marken". Statt Emerald Vapes als Coca-Cola des Kiffens zu feiern, haut ihm die Jury Sätze wie "Ich sehe keine Differenzierung, wo ist der Bedarf?" um die Ohren. Auch Presto Doctor erntet eher Zurückhaltung - und das trotz des Arztkittels.

Einige euphorische Phrasen, klirrende Bierflaschen und ermüdende Vorträge später - die Gäste fragen sich langsam, ob die After-Party wirklich stattfindet - steht endlich das Ergebnis fest. Mit Marty Higgins gewinnt ein Außenseiter: Der grau melierte Immobilien-Fachmann gibt zu, erst seit anderthalb Jahren ein "Cannabis-Connaisseur" zu sein.

Seine Idee: Eine Marihuana-Ausgabestelle in einem Stadtteil von San Francisco, der bislang noch als unterversorgt gilt. Das Revolutionäre: ein Raucher-Hinterzimmer.

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