Start-ups:Wenn Algorithmen zu Personalchefs werden

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Beim Lufthansa-Casting warteten 2017 Hunderte auf ihren Termin. Wenn es nach dem Start-up Humu geht, entscheiden bald nicht mehr Menschen, sondern Algorithmen über ihre Eignung. (Foto: Florian Peljak)

Bislang wurden vorwiegend Fertigungsjobs an Maschinen übergeben. Mittlerweile sollen Computerprogramme aber auch andere Aufgaben übernehmen, zum Beispiel die der Personalabteilung.

Von Michael Moorstedt

Wir leben in einer Zeit der Widersprüche. Die Arbeitslosenquote in den USA ist so hoch wie zuletzt während der großen Depression, und doch kann so gut wie jeder, der will, innerhalb von ein paar Tagen einen Job bekommen. Und das, ohne dafür auch nur mit einem einzigen Menschen gesprochen zu haben. Einfach online einen Fragebogen ausgefüllt, ein Video angesehen und ein darauf folgendes Quiz gelöst - schon kann man in einem der vielen Warenhäuser von Amazon anfangen.

Die Automatisierung von Bewerbungsprozessen ist nur die letzte Stufe einer Entwicklung, die Wirtschaftsexperten und Arbeitsmarktforscher noch vor wenigen Jahren komplett umgekehrt vorhergesagt haben. Nicht etwa nur simple physische Tätigkeiten werden automatisiert, sondern auch administrative Aufgaben wie etwa Bewerberauswahl oder Personalsteuerung. Ist die Verdrängungsangst des modernen Beschäftigten also gerechtfertigt? Und stellt es für Arbeitnehmer nicht sogar eine noch größere Gefahr dar, wenn Roboter und Software die Jobs ihrer Vorgesetzten übernehmen?

Am ehesten realisiert ist diese Dystopie in Form der Gig-Economy, deren prekär Beschäftigte von Algorithmen durch die Städte der Welt gesteuert werden, entweder als Uber-Fahrer oder Kurier, der das Abendessen liefert. Stets von der "Deaktivierung" bedroht, sobald die Bewertungen der Kunden schlechter werden. Die Entscheidungen fallen in der Blackbox der Programme, in die man als Arbeitskraft noch weniger Einsicht hat als in den Kopf des Personalchefs.

Einen weiteren, auch nicht gerade kleinen Widerspruch trägt Laszlo Bock vor sich her. Er möchte durch Automatisierung sogar eine menschlichere Arbeitsumgebung ermöglichen. "Es gibt sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten, und Arbeit ist für die meisten von ihnen ein Ärgernis" sagt Bock, Chef des Start-ups Humu und früherer Chefpersonaler bei Google.

Künstliche Intelligenz macht Optimierungsvorschläge für Mitarbeiterperformance

Das hauptsächliche Instrument, mit dem Bock und sein Unternehmen diesem Missstand begegnen wollen, nennt sich Nudge, also sanfter Schubser. Nudging ist ein schon länger bekanntes Konzept in der Verhaltensökonomie. Grob gesagt geht es darum, den Menschen gutes Verhalten zu erleichtern und schlechtes Verhalten etwas zu erschweren, ohne es gleich zu sanktionieren. Neu ist, dass nicht der Betriebspsychologe die Schubser verteilt, sondern ein Computer. Mittels KI und maschinellem Lernen werden von den Arbeitnehmern ausgefüllte Fragebögen nach Verbesserungspotenzialen ausgelotet.

Gegenstand der Nudges kann so gut wie alles sein: Gesünderes Essen in der Kaffeeküche, Treppe statt Aufzug, öfter in einem Meeting das Wort ergreifen oder den sonst immer so stillen Kollegen nach seiner Meinung fragen. Die Angestellten bekommen dann entsprechende Benachrichtigungen auf das Smartphone. Und selbstverständlich arbeitet man auch hier an dem erklärten Ziel, dass der Angestellte zu einem noch perfekteren Zahnrad in einer noch perfekteren Maschine wird.

"Die gleiche analytische Intensität, die man im Fertigungsbereich gesehen hat, passiert jetzt auch im HR-Bereich", sagt Bock. Das klingt freilich nicht minder bevormundend als herkömmliches Nudging, und für die Angestellten wird es wohl nur mäßig tröstend sein, dass die Anweisungen nun von einem Rechner kommen. Den Mechanismus namens Mensch zu analysieren, ist selbstverständlich auch wesentlich schwieriger, als die Arbeitsschritte an einem Werkband effizienter zu gestalten. Und da ist noch das Problem, dass die subtile Manipulation der Belegschaft nur bedingt gut mit Datenschutzregeln einhergeht. Bis das Feld ausgereift ist, "werden eine Menge Leute schlechte Dinge tun, absichtlich oder unabsichtlich", so Lazlo Bock. "Es wird für eine Weile eine ziemliche Sauerei werden." Wenigstens ist er ehrlich.

© SZ vom 20.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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