Süddeutsche Zeitung

Start des Videoportals:Was Netflix für eine TV-Revolution in Deutschland braucht

Jetzt ist Netflix in Deutschland verfügbar - und muss zeigen, ob es so erfolgreich wird wie in den USA. Bisher ist die deutsche Netflix-Story nicht mehr als ein beeindruckender Hype.

Kommentar von Katharina Riehl

Am vergangenen Wochenende hat das deutsche Fernsehen wieder einmal ein paar echte Höhepunkte geboten. Carmen Nebel hieß das ZDF-Publikum willkommen, um gemeinsam auf die Eins und auf die Drei zu klatschen; in der ARD hielt Jörg Pilawa mit dem Schlagerstar Michelle, der Bauernverkupplerin Inka Bause und mit noch mehr Gesang dagegen. Und bei RTL floppte eine Castingshow, von der längst niemand mehr zählen kann, die wievielte es inzwischen eigentlich ist. Samstags zur besten Sendezeit luden die deutschen Sender mal wieder zum Davonlaufen ein.

Man muss sich diese Fernsehrealität vor Augen führen, will man die Aufregung begreifen, die den Deutschlandstart des US-Videodienstes Netflix in dieser Woche begleitet. Seit Dienstagmorgen ist die Plattform nun online.

Es sind vor allem zwei Gruppen von Menschen, die das Unternehmen aus dem kalifornischen Ort Los Gatos als Heilsbringer in dunklen Zeiten begreifen. Da sind die Kreativen des Landes, die auf großartige Serien und bessere Produktionsbedingungen außerhalb der selbstzufriedenen und behäbigen Senderhierarchie hoffen. Und da sind die von lahmen Shows und braven Fernsehfilmen gelangweilten Medienkritiker, die Netflix spätestens seit dem Erfolg der Serie "House of Cards" zum Erlöser erklärt haben.

Die Firma muss in Deutschland viele Abos verkaufen - gar nicht so leicht

Keine Frage, wenn Netflix tatsächlich wie angekündigt deutsche Serien produziert, dann könnte die US-Firma die Fernsehkultur in diesem an hochwertiger Fernsehkultur oft erstaunlich armen Land revolutionieren. Allein: Eine wirtschaftliche Erfolgsgarantie für den deutschen Dienst gibt es nicht. Bisher ist die deutsche Netflix-Story nicht mehr als ein beeindruckender Medienhype. Um Erfolg zu haben, brauchen die Amerikaner viele deutsche Abonnenten - und es ist durchaus fraglich, ob sie die finden. Netflix wird es in Deutschland nicht leicht haben.

In den USA ist die Netflix-Geschichte eine Erfolgsgeschichte: Das 1997 gegründete Unternehmen hat 50 Millionen Kunden und den großen Konkurrenten HBO bei den Abo-Einnahmen überholt. Der Aktienkurs von Netflix stieg seit 2013 um knapp 500 Prozent. Das Unternehmen profitiert davon, dass sich die Sehgewohnheiten der Zuschauer rasant verändern, dass Fernsehen nicht mehr nur das ist, was ein Sender um 21 Uhr zu zeigen gedenkt. Seit einiger Zeit setzt man in Los Gatos auf Expansion: Nach den Vereinigten Staaten soll die Welt erobert werden.

In Deutschland müssen die Menschen Rundfunkgebühr zahlen

Doch der US-Markt ist mit dem deutschen Markt kaum vergleichbar. In den USA bezahlt quasi jeder Fernsehhaushalt für TV-Inhalte, für Kabelkanäle oder eben für Netflix - auch weil das öffentliche US-Fernsehen mit seinen unzähligen Werbeunterbrechungen noch sehr viel schwerer zu ertragen ist als das deutsche.

Bei uns zahlen die Menschen 17,98 Euro Rundfunkgebühr im Monat - und bekommen dafür ein Programm, das zwar viele anspruchsvolle Zuschauer maßlos aufregt, aber auch Gutes bietet und nach wie vor ein sehr breites Publikum findet. Die Geschichte des Senders Sky, der einmal Premiere hieß, zeigt, wie schwer es Pay-TV in Deutschland hat. Erst 2013 machte Sky zum allerersten Mal operativ Gewinn. Zudem gibt es hier ja bereits viele Videoportale, die Serien und Filme auf Abruf bieten. Keines von ihnen ist wirtschaftlich bisher ein großer Erfolg - was aber auch daran liegt, dass man auf die ganz neuen Serien auch dort zu lange warten muss.

Die Seite setzt auf den Massenmarkt

Netflix wird, wie in den USA, vergleichsweise wenig kosten. Abos gibt es ab 7,99 Euro im Monat. Damit sich das rechnet, setzt man nicht auf ein exklusives Publikum, sondern auf den Massenmarkt. Mit anspruchsvollen Serien wie "House of Cards" oder "Fargo" der Coen-Brüder wird Netflix den allerdings nicht erobern können. Wiederholungen deutscher Klassiker wie "Die Sendung mit der Maus" findet man auch in den dritten Programmen, alte US-Serien in den kostenlosen Spartensendern. Die Idee vom besseren Fernsehen, das via Netflix zu uns kommt und den aufgeblasenen Fernsehmachern bei ARD und ZDF mal zeigt, wie es gehen könnte, klingt großartig. Doch Netflix muss Geld verdienen, damit die Idee vom besseren Fernsehen Wirklichkeit werden kann. Bitter daran ist, dass ARD und ZDF das nicht müssen - und das Fernsehen trotzdem nicht revolutionieren.

Die erfolgreichste Sendung des vergangenen Wochenendes war übrigens der gute alte "Tatort". Um die Rechte an der Reihe hat Netflix sich vergebens bemüht. So schnell gibt sich das deutsche Fernsehen nicht geschlagen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2130076
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.09.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.