Staatliche Trojaner:Zugriff auf den Computer

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Politisch ist das Thema höchst umstritten. Nun befasst sich zum ersten Mal das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit den Online-Durchsuchungen.

Helmut Kerscher

Das Bundesverfassungsgericht wird sich an diesem Mittwoch intensiv mit dem Datenschutz beschäftigen. Karlsruhe prüft auf Klagen von drei Rechtsanwälten, zu denen der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) zählt, das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz vom Dezember 2006.

Mit Spannung erwartet: Die Verhandlung über die Online-Durchsuchung beim Bundesverfassungsgericht (Foto: Foto: dpa)

Damit setzt der Erste Senat seine Datenschutz-Tradition fort, die im Jahr 1983 mit den Verhandlungen über das Volkszählungsgesetz begann. Karlsruhe bremste damals wie rund 20 Jahre später beim Prozess gegen den "Großen Lauschangriff" sowie in mehreren anderen Entscheidungen den staatlichen Wunsch nach möglichst vielen Daten.

Es spricht viel dafür, dass auch am Ende dieser Verhandlung ein vorher eher plakativ und schlagwortartig behandeltes Thema, dieses Mal die Online-Durchsuchung, präzise und differenziert aufgefächert sein wird. So wird erst einmal begrifflich klar unterschieden zwischen der Online-Überwachung der Internet-Kommunikation einerseits und der Online-Durchsuchung andererseits.

Erstere meint die teilweise schon heute zulässige Kontrolle von E-Mails, Chats, Webseiten oder Newsgroups. Die eigentliche Online-Durchsuchung zielt auf die einmalige oder fortdauernde, jedenfalls heimliche Überwachung von gespeicherten Dateien. Hinzu kommt der Zugriff auf die Tastatureingaben oder Internet-Telefonate, über deren Rechtmäßigkeit seit dem Wochenende gestritten wird.

Fünf Fachleute sind geladen

Ob und wie das alles funktioniert, werden fünf Sachverständige erläutern: die Professoren Ulrich Sieber (Freiburg), Andres Pfitzmann (Dresden) und Felix Freiling (Mannheim) sowie Andreas Bogk vom Computer Chaos Club und Dirk Fox (Karlsruhe) von der Firma Secorvo Security. Ihnen ist eine mit technischen Argumenten begründete Skepsis gegenüber der Online-Durchsuchung gemeinsam.

So warnte Pfitzmann in der Deutschen Richterzeitung vor den Gefahren eines Trojanischen "Ermittlungspferdes" für den Computer des Verdächtigen, für Unbeteiligte und wegen eines möglichen Gegenangriffs sogar für die Rechner der Ermittler. Die Experten scheinen sich einig zu sein, dass die unbemerkte Infiltration eines "Zielsystems" mit einer als "Bundes-Trojaner" bekannt gewordenen Spionage-Software technisch kaum möglich ist. Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, wird massive technische und juristische Bedenken vortragen.

Demgegenüber sagen Befürworter wie der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, man werde eine geeignete Software entwickeln und diese bei privaten Computern ohnehin nur in etwa zehn Fällen pro Jahr einsetzen. Ziercke wird mit seinem Präsidenten-Kollegen Heinz Fromm vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Innenstaatssekretär August Hanning für die Online-Durchsuchung als unentbehrliches Mittel der Verbrechensbekämpfung plädieren.

Es ist aber nicht zu erwarten, das sich diese drei sonderlich für den eigentlichen Gegenstand des Prozesses, das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz, engagieren werden. Dessen neue Bestimmungen weisen nämlich so viele Schwachstellen auf, dass es in dieser Form von Karlsruhe kaum gebilligt werden kann. Das ist vermutlich auch der schwarz-gelben Koalition in Düsseldorf klar, die keinen prominente Vertreter schickt.

Verstöße gegen Grundrechte

Rechtsanwalt Fredrik Roggan von der Humanistischen Union, der zwei Kläger vertritt, hat eine Fülle von Angriffsflächen gefunden - vom fehlenden Schutz eines Kernbereiches privater Lebensgestaltung über unklare Formulierungen und mangelhafte Benachrichtigungspflichten bis hin zum Verstoß gegen das "Trennungsgebot" zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Roggan sieht Verstöße gegen die Grundrechte auf Unverletzlichkeit der Wohnung und auf informationelle Selbstbestimmung sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Gerhart Baum, der wie im Verfahren gegen den Großen Lauschangriff von seinen FDP-Mitstreitern Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Burkhard Hirsch begleitet wird, warnt schon lange vor der Online-Durchsuchung. Sie sei ein noch schwerwiegendere Einschränkung der Freiheit als der Große Lauschangriff. Computer hätten im Leben der Menschen mittlerweile eine solch zentrale Stellung, dass ihre Funktion als "ausgelagertes Gehirn" beschrieben werden könne.

Einer, der Baums Attacken heftigst widersprechen würde und dessen Namen in dieser Verhandlung oft fallen wird, ist nicht dabei: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Er kommt erst einen Monat später nach Karlsruhe - auf Einladung der Justizpressekonferenz.

© SZ vom 10.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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