Springer: Blog bei Bild:Wer liebt Kai Diekmann?

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Er ist taz-Genosse und hat nun ein Blog: Kai Diekmann, Chefredakteur von Bild. Wie der Aktionist die linke Szene aufmischt, zeigt ein Brief.

Hans-Jürgen Jakobs

Seit Montag ist kai-diekmann.de am Start, das Blog des Bild -Chefredakteurs. Es hat in der Medienszene Aufsehen erregt, vor allem auch bei der linksalternativen taz , zu der Neu-Blogger Kai Diekmann ein besonderes Verhältnis pflegt. Durch eine Indiskretion ist SZ.de in den Besitz eines persönlichen Briefs aus dem Kreis von taz -Genossen gelangt. Wir veröffentlichen ihn mit Formulierungshilfen.

Neu-Blogger Kai Diekmann: "Es geht eher um öffentliche Aberkennung." (Foto: Foto: ddp)

Lieber Kai,

ich muss Dir leider anonym schreiben. Hier bei uns, in der taz-Genossenschaft, sieht man es nicht so gerne, wenn jemand persönlich Kontakt zu Dir hält - oder es sogar gut findet, wie Du Dich in unserem Biotop schlägst. Die Tatsache, dass Du taz-Genosse geworden bist, hat die Vorbehalte gegenüber der Person Kai Diekmann leider nur noch verstärkt.

Einige berichten durch Mittelsmänner aus dem Axel-Springer-Verlag, dass Dich auch dort einige Redakteure für "grenz-originell", ja für ein wenig "heißgelaufen" halten. Ich vermute, das ist der Neid gegenüber dem erfolgreichsten Bild-Chefredakteur aller Zeiten.

Nun hast Du ein Blog eingerichtet, kai-diekmann.de, und Du kannst Dir nicht vorstellen, was da heute morgen bei uns wieder los war. Wie lange das noch gehe, dass sich der größenbewusste Chef einer auflagengefährdeten Boulevardzeitung auf Kosten der taz profiliere, war der Tenor. Hört der denn nie auf!

Die Kritiker spielen auf die Rubrik "meine taz" an, und auf das Stückchen über unseren lieben Mitgründer in der Reihe " Anwalts Liebling", das Du genialerweise "Jony be good" genannt hast, sowie auf Deine Idee, unsere Genossenschaft "Zentralkomitee" zu nennen. Du hast Dich doch neulich, als Du auf unserer Generalversammlung aufgetreten bist, ungehindert - anders als im Sozialismus - frei bewegen können!

Ich habe darauf hingewiesen, dass Du die Provokation genau so brauchst wie die taz ihre Polemik.

"Du bist selbst zum Provo geworden"

Du bist lernfähig wie wenige unter den sogenannten Alpha-Journalisten. Früher haben Du und Deine Gesinnungsgenossen uns noch verklagt, nur weil wir die Satire unserer Spezialseite "Wahrheit" perfide um etwas verlängert haben, das man im Alltag versteckt. Oder die Sache mit unserem schönen Kinospot, der sich über Bild lustig gemacht hat: Dagegen klagte Springer, und das kam hier nicht gut an. Das Bundesverfassungsgericht musste uns helfen. Und dann Deine Klagen gegen das TV-Magazin "Zapp"! Alles inzwischen geschenkt.

Du weißt heute, wie man es macht. Du bist selbst zum Provo geworden, machst Dich mit den Mitteln des Gegners über dieselbigen lustig. Manche sagen, Du seist das Trojanische Pferd Deiner selbst.

Lieber Kai Diekmann, Du weißt heute, dass man echte Themenhoheit nicht im Gerichtssaal bekommt, sondern nur in den Medien selbst. Deshalb machst Du jetzt auch dieses Blog und reizt die Kollegen, sich weiter an Dir abzuarbeiten. Kein Kritiker ist Dir gut genug.

Du nennst das gleich am Anfang Deines Blogs, das drei Fragen Selbstgespräch beinhaltet, "öffentliche Aberkennung" und zeigst Dich so plakativ in einem fotografischen Doppelporträt, dass der Betrachter sofort an "Der große Selbstbetrug" denkt, an Deinen Bestseller über die 68er und alle, die es nicht lassen können.

"Ich bin einfach unheilbar eitel", schreibst Du so offen wie sonst keiner der anderen Chefredakteure Deutschlands. Mindestens 100 Tage willst Du als Blogger wirken, verkündest Du - und da möchte man Dir einfach nur zurufen: Kai, halte durch! Tue meinen missliebigen taz-Genossen nicht den Gefallen, das Ganze mangels Erfolgs oder Substanz wieder einzustellen. kai-diekmann.de ist doch professionell gemacht, wahrscheinlich waren da etliche von Bild zugange. Und was heißt hier schon "Blog"? Das ist eine ganze Homepage, ein kompletter Marken-Auftritt. Kai, Du bist Deine eigene Marke, Deine eigene Welt geworden.

Internet ist ein Bildermedium. Es gibt sehr schöne Bilder zu sehen auf Deinem neuen Bild-Blog. Kai beim Impfen, Kai stehend, Kai sitzend, Kai im 360-Grad-Format, Kai im Irak. Großartig, wie Du die kreative Armut Deiner Gegner vorführst, die auch auf kai-diekmann.de vorkommen, und die im Vergleich doch deutlich abfallen. Du zitierst die Niggemeiers dieser Welt, und lässt sie wie publizistische Goldfischchen aussehen im Vergleich zum großen Weißen Hai.

Das ist offenes Visier, so etwas hat Dir mancher nicht zugetraut, erst recht nicht bei uns, bei der taz. Und doch hören die Angriffe gegen Dich nicht auf.

Wer bloggt denn von den bekannten Journalisten überhaupt? Gut, Dein Welt-Kollege Thomas Schmid kann die Schreib-Manie auch im Digitalen nicht einhalten. Aber ansonsten? Giovanni di Lorenzo von der Zeit oder Frank Schirrmacher von der Frankfurter Allgemeinen? Wer nimmt sich dafür schon die Zeit, die er nicht hat?

"Du hast eine planetare Alleinstellung erreicht"

Keine Ahnung, wie Du das alles so machst. Aber Du hast mit kai-diekmann.de eine planetare Alleinstellung erreicht, und das will in diesem Geschäft etwas heißen. Du warst ja bei einem Bambi-Fest von Hubert Burda, für den Du einst die Bunte frisiert hast, auch schon mal als Video-Journalist unterwegs - aber so ein Blog ist doch gleich eine ganz andere Sache!

Wunderbar auch, wie Du irgendwelche Sweatshirts oder Unterwäsche mit "Kai" im Che-Guevara-Look oder mit "I-love-KD"-Optik anpreist, sehr ironisch, weil jeder sofort an die "Volks-Produkte" des Hauses Springer denken muss, an die "Volks-Bibel" und den "Volkscomputer", die Du sonst promotest.

Jetzt also den "Volks-Kai", das ist überparteilich pfiffig. Wer liebt KD, wer liebt Kai Diekmann? Auch wir machen ein wenig, taz-korrekt, Merchandising. Einen Moment habe ich überlegt, ob Du als Genosse dort auch vertreten sein könntest, aber dann kam mir diese Idee allzu verwegen vor.

Allerdings war es vielleicht wirklich des Guten zu viel, in "Mein Kaufhaus" auf Deinem Blog die Zeitung Bild als "Red Hot Chili Paper" zu preisen.

In internen taz-Debatten habe ich mir erlaubt, auf den Vorbildcharakter solcher Transparenz hinzuweisen. Das hätte ich besser nicht getan. Die Folge: üble Beschimpfungen. Ich musste mir zum Beispiel anhören, dass Dein Lebenslauf ("Ich") doch geschönt sei. Es fehle das abgebrochene Studium, die Reise nach Moskau, und überhaupt, dass Helmut Kohl Dein Trauzeuge war und Du wiederum Trauzeuge für Kohls Freund Leo Kirch, das hätte auch Erwähnung finden sollen. So kleinlich sind die hier. Dabei: Wer ist schon bald neun Jahre Chefredakteur einer solchen Zeitung, ohne gefeuert oder zum Vorstand hochbefördert worden zu sein?

"Endlich ist Selbstironie kein knappes Gut"

Und, schließlich: Mit Deiner Frau Katja Kessler führst Du eine Ehe, über die sie genauso offen wie Du schreibt. Wer ihr neues Buch liest, weiß, wie es bei Euch zu Hause zugeht. "Schatzi!" nennt sie Dich und einen "Masochisten", weil Du wirklich alles liest, was sie schreibt. Selbstironie jedenfalls ist hier endlich einmal kein knappes Gut, und das merkt man sofort an Sätzen wie: "Gestern war einer dieser Tage, an denen ich verstanden habe, warum Frauen ihren Männern Strychnin ins Essen rühren."

Lieber Kai, auch hier bei der taz würden Dir einige am liebsten beim nächsten Genossen-Treff Strychnin in die Cola mixen. Dein Blog hat sie endgültig provoziert. Erst wollten sie Dich ausschließen, jetzt aber gibt es eine neue Idee: Sie wollen Axel Springer unterwandern, vielleicht auch die Hauptversammlung mit subversiven Redebeiträgen aufmischen und womöglich für irgendeine esser-wie-messer-scharfe Aktion Günter Wallraff anheuern. Ich weiß nicht genau, was sie vorhaben, aber es muss etwas Großes sein, ein Aufmacher sozusagen.

Du hast es also mit diesem Blog geschafft, das sei Dir im Vertrauen mitgeteilt. Ich freue mich auf die 100 Tage Blog. Vielleicht werden ja auch 1000 Tage daraus.

Mit solidarischen Grüßen

Dein *

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