Sprache im Internetzeitalter:8ung SMS

Zerstören SMS-Tipper wie Angela Merkel oder Boris Becker unsere Sprache? Der Linguist David Crystal hat die Kurz-Kommunikation untersucht und kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis.

Mirjam Hauck

Angela Merkel traktiert damit ihre Minister, Barack Obama lotst damit Millionen Wähler an die Urnen und Boris Becker macht damit mit seinen Freundinnen Schluss: Die SMS ist ein praktische Kommunikationsform. Doch sie hat auch Nebenwirkungen: So schrieb ein Leitartikler in der britischen Tageszeitung Daily Mail: "SMS-Schreiber sind Vandalen." Zerstören die 160-Zeichen kurzen Texte inklusive Abkürzungen die Sprache?

Sprache im Internetzeitalter: Angela Merkel: begeisterte SMS-Tipperin.

Angela Merkel: begeisterte SMS-Tipperin.

(Foto: Foto: dpa)

Der britische Sprachwissenschaftler David Crystal ist dieser Frage nachgegangen - aufgeschreckt von Zeitungsartikeln, die in der SMS-Kommunikation den Untergang des sprachlichen Abendlandes sehen. "Hätte ich jedes Mal ein Pfund bekommen, wenn jemand den Untergang der Sprache durch technologischen Fortschritt vorhergesagt hätte, wäre ich jetzt ein reicher Mann", schreibt Crystal in "txting, the great db8" erschienen bei Oxford University Press. "Auch im Mittelalter habe man geglaubt, dass der Buchdruck eine Erfindung des Teufels sei."

Viele Kürzel

Die Gegner der SMS führen vor allem die große Zahl an Abkürzungen und die begrenzte Anzahl der Zeichen als Beleg für die Sprachverhunzung ins Feld. In SMS wimmele es nur so von Kürzeln wie 2g4u, lamito oder 3st. Doch nach Crystals Untersuchung, für die er jugendliche und erwachsene SMS-Schreiber befragte und deren Nachrichten auswertete, ist diese Annahme schlicht falsch. 90 Prozent aller in Kurznachrichten verwendeten Wörter sehen aus wie dem Wörterbuch entsprungen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die deutschen Sprachwissenschaftler Jürgen Dittmann, Hedy Siebert und Yvonne Staiger-Anlauf in einer aktuellen Studie. So enthielten zwar 40 Prozent der wissenschaftlich untersuchten SMS Abkürzungen, aber knapp drei viertel beschränken sich auf die Grußformeln lg (liebe Grüße), hdl (hab dich lieb) und mb (mail back).

Zudem sind viele der verwendeten Abkürzungen keine Erfindung der SMS-Tipper: Mfg, uawg oder Gute N8 wurden schon geschrieben, bevor das erste Handy im 20. Jahrhundert das Licht der Welt erblickte.

"Komme heute nicht. Bin krank"

Der SMS wird zudem gerne unterstellt, sie sei der Schreibfähigkeit gerade bei Kindern und Jugendlichen abträglich, weil sie eher der gesprochenen als der Schriftsprache ähnele. Tatsächlich ist es laut Sprachforscher so, dass bei Kurznachrichtensätzen häufig wie im Mündlichen das Subjektpronomen wie "ich" wegfalle und damit das Verb an die erste Stelle rückt: "Komme heute nicht. Bin krank" oder "Bin wach! Melde dich einfach." Die deutschen Sprachforscher werden bei dieser Beobachtung geradezu nostalgisch: Hier habe die Kommunikationsform des Telegramms überlebt.

8ung SMS

Für David Crystal ist die Nähe zur gesprochenen Sprache per se nichts Schlechtes. Noch sei es aber zu früh, um zu entscheiden, in welche Richtung es mit der SMS geht. Schließlich ist die 1992 entwickelte Nachrichtenform gerade mal im Teenager-Alter angekommen. Doch wissen die von Crystal befragten Kinder sehr gut zu unterscheiden, ob sie gerade eine SMS oder einen Schulaufsatz schreiben.

SMS haben vielmehr einen wichtigen Zusatznutzen: Sie sind eine zusätzliche Gelegenheit, um zu schreiben und zu lesen. Je mehr SMS Kinder und Jugendliche schreiben, umso besser werden ihre Lese- und Rechtschreibfähigkeiten.

Neue Form der Lesefähigkeit

Zwar höre er oft das Argument, dass Kinder im 21. Jahrhundert keine Bücher mehr lesen würden. Aber mit der SMS und den neuen Kommunikationsformen im Internet sei eine neue Form der Lesefähigkeit entstanden. Es gebe eben gerade keine Beweise dafür, dass Kinder wegen neuer Technologien weniger lesen - oder gar schreiben. Eher sei das Gegenteil der Fall. Die Jugendlichen schreiben heutzutage viel mehr als ihre Eltern, seien es E-Mails, Blogs oder eben SMS.

Wenn es nicht gerade um kurze Verabredungen geht, werden diese phantasievoll, manchmal geradezu expressiv genutzt. So entstehen auch eigene Gedichte für diese Kommunikationsform: O hart tht sorz/My luv adorz/He mAks me liv/He mAks me giv/Myself 2 him/As my luv porz.

Auch die deutschen Forscher stellen fest, dass viele Schreiber großen Wert auf eine bewusste und individuelle Gestaltung der SMS legen, manchmal sind das dann auch zitierte Verse von Robert Gernhardt: Am Tag, an dem das verschwand/da war die uft vo Kagen/Den Dichtern, ach, verschug es gatt/ihr Singen und ihr Sagen./Nun gut. Sie haben sich gefaßt./Man sieht sie wieder schreiben./Jedoch:/Soang das nicht wiederkeht,/muß aes Fickwerk beiben.

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