Süddeutsche Zeitung

Spider-Man:Super wird der Held erst im Spiel

  • In Superhelden-Erzählungen sind die Rollen klar verteilt: Es gibt Gut und Böse, den Helden und den Schurken.
  • Diese Eindeutigkeit macht die Geschichten erwartbar. Auch moderne Filme erzählen immer wieder dieselben Narrative.
  • Videospiele können den verbrauchten Superhelden-Erzählungen neues Leben einhauchen, weil Spieler zum Teil der Geschichte werden.

Von Matthias Kreienbrink

Superhelden sind absurd, das müssen sie sein. In ihnen verdichtet sich der Wunsch des Menschen, Gut von Böse zu trennen. Sie sollen die Komplexität der Welt in einem Superhelden-Anzug auflösen. Doch das Superhelden-Sujet scheint auserzählt zu sein. Filme wie "Wonder Woman" (DC) oder "Black Panther" (Marvel) erweitern und vervielfältigen das Spektrum der Protagonisten. Aber die Geschichten erzählen sie immer auf die gleiche Weise.

Der Superheld von heute müsste nicht Held der Erzählung sein, sondern dessen, wie erzählt wird. Die Zukunft der Superhelden-Erzählung, sie könnte im Videospiel liegen.

Wenn sich Spider-Man im gleichnamigen Spiel für die Playstation 4 an seinen Spinnenfäden durch New York schwingt, empfinden die Spieler wohl Freiheit. Das Spiel erlaubt es, an Wolkenkratzern vorbeizufliegen, an Wänden emporzulaufen oder die Bösen mit nahezu endlos kombinierbaren Schlägen, Tritten und Spinnennetz-Angriffen zu besiegen. Doch wahrscheinlich werden die Spieler auch eine andere Freiheit erleben. Das Spiel lässt sie die endlosen Verwirrungen unserer Welt vergessen, der Komplexität von Gesellschaft und Politik. Der Superheld hat die Welt einfach gemacht: Das Spiel sagt, wer böse ist und wen sie besiegen müssen. Eine uralte Erzählung.

Helden bevölkern unsere Erzählungen seit jeher. Die Heroen der Antike waren oft Halbgötter von besonderer Herkunft. Im Mittelalter kam der Held meist als Ritter daher, stand dem Artus-Hof nahe und war edler Abstammung. Diese Figuren dienten als strahlende Beispiele für Werte wie Tugend oder Ehre.

Gemein hatten diese Helden auch, dass ihr Heldentum in den Erzählungen reflektiert wurde - die Frage, was sie zu Helden machte. Das geschah nicht nur im Inhalt der Erzählung, sondern auch in der Art und Weise, wie erzählt wurde. Ein Beispiel ist die sogenannte Doppelwegstruktur der Artusromane, etwa bei Iwein von Hartmut von Aue, der um 1200 entstand.

Darin muss der Held zwei Wege gehen. Zunächst macht er alles falsch. Er benimmt sich daneben, tötet wahllos und kann sich bei Hofe nicht benehmen. Erst auf dem zweiten Weg, auf dem er erneut vor die gleichen Herausforderungen gestellt wird, kann er sich bewähren. Dieser Lerneffekt, der Werdegang des Helden, wird dabei auf der Erzähler-Ebene kommentiert. Das Held-Werden des Protagonisten formt die Art, wie erzählt wird. Und da, wo dem Erzähler die Worte fehlen, wird Gott zitiert, um die Herrlichkeit des Helden zu bezeugen.

Spider-Man ist ein Superheld, der ohne Gott auskommt

Der Superheld jedoch braucht keinen Gott, er passt in die Moderne. Der Superheld ist wissenschaftlich erklärbar. Spider-Man etwa wird gebissen von einer radioaktiv verseuchten Spinne. Super wird dieser Held durch ein menschliches Experiment.

In der Welt der Superhelden ist die Welt in ihrer Unordnung in Ordnung. In den Marvel-Filmen werden die Katastrophen immer größer. Zunächst waren es Städte, die davor bewahrt werden, ausgelöscht zu werden. Mittlerweile müssen die Superhelden gleich mehrere Galaxien retten. Auch wenn es stets Superhelden gab, die ambivalent erzählt wurden, die zwischen Gut und Böse changierten wie der mit Freude Schmerzen bereitende Deadpool, fehlt den Superhelden-Geschichten doch das Zweifeln und Austesten, das etwa in der Literatur des Mittelalters die Heldengeschichten lange bestimmte.

In den modernen Superhelden-Geschichten herrscht Eindeutigkeit. Es fehlt das göttliche Element, das letzte bisschen Unerklärbarkeit, das Mythische. In einer Welt, die immer komplexer wird, erscheint die Superheldengeschichte als einfacher Eskapismus. Doch einfach muss nicht simpel sein, auch wenn das oft untergeht, wenn die Zuschauer im Kino Popcorn kauen.

Im Videospiel existiert der ordnende Erzähler noch, in Form der Spieler. Sie lenken ihre Helden durch die Spiele und bestimmen die Abfolge der Abenteuer, die sie bestehen. Sie bauen ihre eigene Doppelwegstruktur, wenn sie denn wollen - und wenn das Spiel es zulässt.

Videospiele können die Superhelden-Geschichten neu erzählen

Die Erzählung in Spider-Man wird vorangetrieben durch Zwischensequenzen. "Filmisch" nennen Kritiker sie gern und erwähnen sie lobend. Doch was sind diese filmischen Sequenzen anderes, als die Verbannung der Spieler in die Passivität? Was mehr als eine Wegnahme dieser Erzähler-Funktion, das Selbstgestalten der Erzählung? Der Held wird erst im interaktiven Spiel super. Wo Superhelden-Filme sich in ihren Erzählstrukturen endlos wiederholen, können Videospiele diese zertrümmern. Die Spieler haben es mit den Controllern selbst in der Hand.

Spider-Man ist ein pompöses, ein gigantisches, ein durchaus intelligentes Spiel. Ein Superheldenspiel ist es da, wo es nicht filmisch erzählt, wo die Spieler die Erzählung selbst formen können. Da, wo sie austesten, zweifeln und reflektieren, das mythische Element wieder ins Spiel bringen und den Superhelden aus seiner Eindeutigkeit befreien. Spider-Man reizt dieses Potenzial nicht aus, aber deutet die Freiheit zumindest an und bricht das Superhelden-Skript auf.

Videospiele sind das Medium, das die Superhelden-Geschichten weiter und neu erzählen kann. Nicht in der Erzählung selbst, sondern darin, wie sie erzählen, in der Narrativität. Die Spieler selbst können zu Superhelden werden, die Erzählung formen und austesten, wo die Grenzen der vermeintlichen Eindeutigkeit von Gut und Böse liegen. Sie sollen die Macht spüren, die Helden in der Erzählung haben. Und die sie selbst besitzen, indem sie entscheiden, wie die Geschichte ihren Lauf nimmt, mit welchen Mitteln, auf welchen Wegen. Und diese Macht - das ist doch die eigentliche Superkraft.

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