Rezension:Fliegende Spinne vor dem Absturz

Spider-Man für die Playstation 4

Das New York im Hintergrund muss aufwendig gestaltet sein - nur so macht Spider-Man im Selfie-Modus seines neuen Playstation-Spiels eine gute Figur.

(Foto: Sony Entertainment)
  • "Marvel's Spider-Man" für die Playstation 4 lebt nicht vom Kampf des einsamen Helden gegen das Böse, sondern von der Inszenierung.
  • Die Stadt New York, die man in diesem Spiel erkundet, ist faszinierend und gruselig zugleich.
  • Das macht viel Freude, das Spiel zeigt trotz seines Hochglanz-Settings auch Abgründe der großen Heldensaga.

Von Bernd Graff

Im Kino läuft "First and Last Day", der Film klingt nach den Abenteuern einer Kurzkarriere, ist aber wohl ein Actionthriller. Nebenan zeigt man "Views from the Veranda", offensichtlich eine Schmachtschmonzette, die als "Instant Classic" ausgewiesen ist. Die Thriller "Reign of Dasher" und "Frosted Halos" kann man sich wohl sparen, denn offenbar gewartet hat der Cinema-District dieses Downtown Manhattan nur auf "Wolfs and Sheeps", immerhin den "Tuney Award Winner" - was immer das auch sein mag. Das Plakat dazu bedeckt eine ganze Häuserfront im New York des Konsolenspiels "Marvel's Spider-Man" für die Playstation 4. Es ist gerade erschienen und ist inmitten all der darin beworbenen Fake-Blockbuster des Jahres der einzig echte, jedenfalls in seinem Metier der Videospiele.

Selbstverständlich lebt auch dieser Spider-Man, der dürre Superheld in der Ganzkörperstrumpfhose, in einem ewigen Kampf des einsamen Helden gegen das organisierte Böse. Aber dieses Spiel lebt nicht davon. Weil das Rechensilikon der Konsolen und ihre Grafikleistung so unfassbar mächtig geworden sind, dass sie fast jedes Detail einer "Open World" in Echtzeit getreu darstellen können, will dieser Spider-Man eine moderne Großstadt widerspiegeln, die der Spieler im Schwung erkundet, indem er "Spidey" wie einen Tarzan durch Straßenschluchten steuert.

Man sieht dann nicht nur die Plakate fürs Kino, sondern auch in die Hinterhöfe hinein. Auf den Dächern der Skyscraper parken Helikopter, es rauchen die Schlote, drehen sich die Lüftungs-Ventilatoren. Wiegesagt: das Spiel führt einen nicht dahin, man stößt selber darauf. Wie auch auf die fassadenhoch beworbene Herbstkollektion von "Haute Unlimited". Das ist wohl ein "H&M"-Klon mit Outfits von pastellfarbener Unauffälligkeit, die Angestellte der Globalisierung hier so tragen.

Obwohl also in diesem herbstlich leuchtenden, aber auch nächtens herrlich verregneten New York atmosphärisch alles passt: Skyline, Straßen, Licht, Ambiente, Geräusche, stimmt hinten und vorne natürlich gar nichts. Völlig unabhängig von der sowieso schon surrealen Superheldenfiktion ist auch an der so naturalistisch gestalteten Stadt immer etwas ein klein wenig falsch, und man weiß zuerst nicht was.

Etwa der Film "Kate & Kevin", auch er läuft hier in den Kinos, man hat nie von ihm gehört, aber die Plakate gleichen "Mr. & Mrs Smith" mit Brad Pitt und Angelina Jolie bis aufs angewinkelte Bein. Und steht am Trump-Tower in sattsam bekannten goldenen Klotzlettern hier nicht "Fisk"?

Es ist nun nicht so, dass der Spieler nur zum Kinoplakategucken oder Panoramagenießen hier wäre, man hat als Superheld Bedeutsames zu leisten. Das internationale Böse in seinem fiesen Erfindungsreichtum zu bekämpfen etwa, aber auch die Wissenschaft zu mehren. Die Wissenschaftsmission gehört tatsächlich zur originalen Spider-Man-Saga, die aber gottlob nicht noch einmal ausgebreitet wird. Sie darf als bekannt und auch als egal vorausgesetzt werden. Der "Amazing Spider-Man" aus Marvels Comic-Universum ist seit 1962 bestens eingeführt, die Figur zählt zu den beliebtesten überhaupt. Das menschliche Spinnentier hat übernatürliche Kräfte, ist aber nicht unverwundbar, es ist wortgewandt, witzig, ein Sprücheklopfer. Mehr muss man nicht wissen.

Die Programmierer des "Insomniac"-Studios, die Macher dieses Spiels, kokettieren denn auch viel mehr damit, dass sie Spider-Mans Biotop, die New Yorker Halb- und Vollwelt, realistisch bis zur Hochauflösung gestaltet haben. Es wurden zahlreiche Nebenschauplätze arrangiert, sie gestatten, die spieletypische "Quest" und die Boss-Fights zu unterbrechen, um niedere Botengänge des Supernaturalen zu erledigen: Obdachlose zu versorgen, Umweltverschmutzung zu protokollieren, im Müll nach einem USB-Stick zu fahnden, Funkantennen zu richten, kleine Gauner im Central Park zu schnappen oder Omas über die Fifth Avenue zu helfen. Der Spieler-Spidey lässt die Super-Fünfe gerne mal gerade sein.

Doch existiert auch dieser Konsolen-Big Apple ja nur in dem Zwischenraum zwischen dem Realen und dem Fiktiven, dieses New York wird, je länger man sich darin tummelt, immer unwirklicher wirklich: es wird "uncanny". Als "uncanny" werden gern Nachbildungen menschlicher Figuren bezeichnet, die fast perfekt sind, aber nicht ganz, und gerade deshalb einen leichten Gruseleffekt auslösen - Computerbastler sprechen vom "uncanny valley", in das man dann eintritt. Doch ist nicht gerade das, dieses unwahr Wahre, auch das hervorstechendste Charakteristikum aller so menschlich übermächtigen Superhelden? Und ist dann nicht Spider-Man der "uncanny" Superheld schlechthin, dessen Schwächen und der fehlende Ernst des Weltenretters das Superheldentum gleich wieder wie seine Parodie wirken lassen?

Denn der Lieblingsarachnide wird auch hier als strauchelnder Peter-Parker-Mensch gezeigt, smart, aber voller Traumata und Selbstzweifel, sein Liebesleben ist eine einzige Katastrophe, das Alter Ego und die ewigen Missionen zehren an ihm, schließlich muss er alles alleine auf seinen Leptosomen-Schultern tragen. Doch weil in der Stadt, die niemals schläft, erst recht das Verbrechen nicht ruht, kommt Spider-Man trotz Spinnen-Power mit Law and Order nicht hinterher.

Kurzum, dieser Superhero in der Akzeptanzlücke ist zuallererst ein tragikomischer Superkrisenheld, dem nicht die physischen, wohl aber irgendwann die psychischen Kräfte zu schwinden drohen. Und sei es aus Frust: Eine der schönsten Szenen zeigt den Spinnenmann im Ganzkörperkostüm mit der mundlosen Maske, der einen Bagel und eine Kaffeetasse hält - und hält und hält und hält. Trinken und Reinbeißen kann er ja nicht.

Der Spieler kann auch etwas über sich selbst lernen

So kommt es, dass das opulente Setting dieser Open World bei aller Pracht nur das stets absturzgefährdete Heldenleben vor glänzenden Fassaden ausleuchtet, einen heiteren Tanz auf dem Vulkan, das drohende Scheitern in 7/24.

Und ist nicht das dann die perfekte Metapher für den Spieler vor dem Bildschirm? Ist nicht er, der "Unbewegte Beweger" jeder Spiele-Handlung, auch nur ein Angelernter, der nach Regeln spielt, die das Spiel diktiert, nicht er selbst? Und ist nicht der scheinbar kontrollierte freie Fall, den Spider-Man an den Werbeplakaten des urbanen Kapitalismus vollführt, die noch treffendere Metapher für ein Konsumentenleben, das ein paar individuelle Akrobatenkunststückchen, aber keine Eskapaden zulässt und kein Außen kennt? Als ginge es darum, diese Analogie der Gefangenenwelten hervorzuheben, gibt es hier einen "Kamera-Mode", den der Spieler nutzen kann, "seinen" Spider-Man überall für Selfies posieren zu lassen, um die geschossenen Bilder dann in sozialen Netzen zu posten.

Am Ende, das auch hier kein Ende ist, denn welcher Mythos hätte ein Ende, besteht Spider-Man die ödipale Herausforderung jedes Superhelden. Aber dies, und das weiß natürlich auch Spider-Man, bedeutet nur einen kurzen Frieden in diesem ewigen Krieg, den man ein Superheldenleben nennt. Oder ein Konsumentenleben.

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