Spam-E-Mails:"Sie haben Müll"

Seit 15 Jahren hat die Pest des Computer-Zeitalters einen Namen: Spam macht heute 90 Prozent aller E-Mails aus. Häufig steckt in ihnen mehr als nur Werbemüll.

C. Schrader/H. Martin-Jung

Vom Mantel der Geschichte, der ihn gerade streifte, hat Joel Furr nichts gespürt. Er saß an seinem Computer, in der Nacht auf den 1. April 1993, und tippte erstmals ein Wort ein, das inzwischen die ganze Welt kennt: Er beklagte die Wirkung eines schlecht geschriebenen Programms, das begonnen habe, ein Nachrichtenforum "mit über 200 Nachrichten zu spammen". Das war, vor 15 Jahren, der erste Gebrauch von "Spam" in seiner heutigen Bedeutung: die massenhafte, unerwünschte Aussendung elektronischer Post an unbekannte Empfänger.

Spam-E-Mails: Namensgeber für wahhllos versandten Werbemüll: das Dosenfleisch Spam

Namensgeber für wahhllos versandten Werbemüll: das Dosenfleisch Spam

(Foto: Foto: Reuters)

Die erste kommerzielle Spam-Mail war ziemlich genau 15 Jahre vorher versandt worden, am 3. Mai 1978 - nur hieß das Phänomen noch nicht so. Damals verschickte Gary Thuerk, ein Vertreter für DEC-Computer, Einladungen zur Vorstellung eines Rechner-Modells in Kalifornien. Weil es eine eingebaute Netzwerk-Software besaß, beschloss Thuerk , alle Benutzer des Netzes anzusprechen, die an der Westküste der USA wohnten.

Dieser Missbrauch ist offenbar eine Konstante von Kommunikationsnetzen. Schon im Mai 1864 hatten die "Messrs Gabriel", Zahnärzte in London, in Telegrammen an ihnen unbekannte Empfänger für ihre Dienste geworben, wie der britische Historiker Matthew Sweet vor kurzem dem Nachrichtenmagazin Economist sagte. Und 1971 nutzte ein Systemverwalter am Massachusetts Institute of Technology seine Stellung aus, um allen Nutzern des Netzes eine Antikriegs-Botschaft zu schicken: "Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg."

Kurz zuvor hatte sich das Wort "Spam" für seine neue Bedeutung qualifiziert. Die britische Komikertruppe Monty Python hatte 1970 einen Sketch gemacht, in dem grölende Wikinger das Gespräch zwischen Kunden und Kellnerin in einem Restaurant übertönen. Auf der Speisekarte des Lokals standen lauter Gerichte mit Spam, einem eingedosten Frühstücksfleisch, und die Nordmänner dröhnten nun lauthals: "Spam, Spam, Spam, wundervoller Spam."

In Computernetzen benutzt wurde "Spam" offenbar zunächst in sogenannten MUDs. Diese "Multi User Dungeons" waren frühe Chaträume, in denen es immer wieder zu Übergriffen kam. Das Online-Lexikon Wikipedia berichtet zum Beispiel, dass Star-Wars-Fans die MUDs von Star-Trek-Anhängern (also der Serie "Raumschiff-Enterprise") überfielen und Müll auf den Bildschirm tippten, bis die Anderen aufgaben. Dabei luden solche Angreifer oft auch den Text des Monty-Python-Sketches auf die MUD-Seiten. Das Verhalten bekam offenbar auch darum den Namen "Spam". Schon 1990 war der Begriff in der Gemeinde verbreitet und akzeptiert. Als Joel Furr 1993 die Bedeutung auf elektronische Post ausweitete, erklärte er weder, was er meinte, noch fragte ein anderer Nutzer nach.

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"Sie haben Müll"

Seitdem ist "Spam" ein feststehender Ausdruck. Höchstens der eigenen Großtante muss man erklären, was Spam ist, wenn sie sich nach einer Woche mit ihrem ersten Computer über die merkwürdige E-Mail wundert. Mehr als 90 Prozent aller E-Mails, so schätzen Experten, sind heute wahllos versandter Werbe-Müll. "Am Wochenende können es auch schon einmal 99 Prozent sein", sagt Bert Ungerer von der Fachzeitschrift iX, der ein eigenes Projekt betreibt, das Spam-Mails von den erwünschten Mails trennen soll.

Etwas Ähnliches macht auch die Non-Profit-Organisation Spamhaus.org. Ihren Erkenntnissen zufolge stammen 80 Prozent des weltweit versendeten Spams von nur etwa hundert Spam-Banden. Jede davon bestehe aus einem bis fünf Werbemüll-Versendern. Um ihnen ihr Geschäft wenigstens zu erschweren, pflegt Spamhaus ein Register bekannter Spammer, genannt Rokso.

Abgezockt mit Billigaktien

Die Betrüger arbeiten mit raffinierten Tricks. Sie geben sich beispielsweise selbst als kleine Internetanbieter aus, über deren Rechner bedauerlicherweise sehr viel Spam versendet werde. Sobald diese Lüge ruchbar wird, ziehen sie einfach weiter zum nächsten Anbieter, der nichts merkt oder nichts merken will. Oder aber sie nutzen sogenannte Botnetze. Sie bestehen aus schlecht gesicherten Rechnern, auf die Internetgangster mit Viren, Würmern und anderer Schadsoftware Zugriff erlangt haben und sie nun fernsteuern können wie Roboter.

Gleichzeitig werden die Spammer professioneller und gehen mit größerer krimineller Energie vor. Auch die Ansprache des Zielpublikums wird genauer. 2006, auf dem Höhepunkt der Hysterie um Tickets für die Fußball-WM in Deutschland, erhielten viele Nutzer die auf Deutsch formulierte, scheinbar freudige Nachricht, sie würden Eintrittskarten bekommen. Tatsächlich handelten sie sich beim Klick auf den Anhang der Mail einen Virus ein. Ein Trick um abzukassieren ist es auch, per Empfehlung durch Massenmails den Kurs billiger Aktien, sogenannter Penny Stocks, hochzutreiben, welche die Spammer vorher gekauft haben und dann verscherbeln.

Spammer können oft auch deswegen relativ frei schalten und walten, weil die nationalen Gesetze unterschiedlich sind und unterschiedlich durchgesetzt werden. Das Netz dagegen hat keine Grenzen. Zwar wurden in jüngerer Zeit einige Spammer vor Gericht gezerrt. Vor gut zwei Wochen etwa bekannte sich der Amerikaner Robert Soloway, 28, schuldig und muss nun mit bis zu 26 Jahren Gefängnis rechnen. Aber er, den die Ermittler als Spamkönig titulierten, ist eher plump aufgetreten - ein kleiner Fisch.

Die unerwünschten von den erwünschten Mails zu trennen, beschäftigt mittlerweile eine ganze Industrie. Keine größere Firma kommt mehr ohne einen teuren Spam-Filter aus, und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben. Abhilfe dürfte weniger die auch schon diskutierte Gebühr für E-Mails bringen als eine Änderung des betagten E-Mail-Protokolls. Der vorgeschlagene neue Standard DKIM erlaubt es wenigstens festzustellen, ob eine Mail tatsächlich von dem Server kommt, den sie als Absender nennt.

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