Soziales Netzwerk vor dem Börsengang:Facebooks erdichtete Weltanschauung

Facebooks geplanter Börsengang weckt historische Erwartungen. Das Unternehmen hat daher mit der Timeline und neuen Sharing-Funktionen den Grundstein für die bessere Auswertung der Nutzerinformationen gelegt. Doch Facebook geht noch weiter: Um die Menschen zu noch mehr öffentlichen Daten zu bewegen, verklärt es das Konsumverhalten zur Ideologie.

Andrian Kreye

Der FC Bayern München hat seinen Spielern gerade strenge Regeln für die Verwendung sozialer Medien wie Facebook und Twitter auferlegt. So dürfen sie keine Bilder aus der Umkleidekabine mehr in Umlauf bringen, so wie der Mittelfeldspieler Anatoli Timoschtschuk vor der Partie bei Borussia Mönchengladbach, und schon gar keine Pöbeleien, wie der Verteidiger Breno, der über Twitter die "Sauerei" beklagte, in der zweiten Mannschaft des Vereins antreten zu sollen. Nun sind Bundesligaspieler ein Risikokapital, deswegen darf ein Verein seinen Stars auch solche Vorschriften machen. Der Normalbürger ist mit solchen Fragen auf sich selbst gestellt.

Facebook-Logo auf einem Monitor.

Facebook will die authentische Identität seiner Nutzer sein. Doch weil die Firma ihr Produkt oft ändert, ohne die Nutzer ausreichend zu informieren, ist das Vertrauen schon erschüttert.

(Foto: Bloomberg)

Die Mehrheit der Deutschen hat trotz der beeindruckenden 22 Millionen Facebook-Mitglieder hierzulande noch nie ein solches soziales Netzwerk benutzt. Doch auch wer nicht im Netz ist, wird davon betroffen sein, dass Facebook nun bald an die Börse gehen will.

An der Wall Street wird bereits gemunkelt, dass dies der höchstnotierte Börsengang aller Zeiten werden könnte. Denn Facebook und Twitter sind heute entscheidende Bestandteile der globalen Infrastruktur, ähnlich wie das Fernsehen, das Telefon oder eben das Internet selbst.

Historische Erwartungen an Facebook

Der Unterhaltungswert dieser Netze ist dabei nur noch ein Aspekt - wenn etwa Leute veröffentlichen, was sie gerade zum Frühstück essen oder über welches Video einer tollpatschigen Katze sie gerade lachen. Man muss auch nicht gleich eine Revolution anzetteln, wie die Internetjugend in Tunesien und Ägypten, um zu verstehen, dass ein solches Netzwerk sehr hilfreich sein kann. Es reicht schon, wenn man kurzfristig einen Babysitter braucht, ein Quartier sucht oder eine FC-Bayern-Karte abzugeben hat.

Wenn Facebook wirklich einen historischen Börsengang hinbekommt, wird die Firma auch historische Erwartungen erfüllen müssen. Das aber kann Facebook nur, wenn es das Kapital effizienter einsetzt, auf dem sein Geschäftsmodell beruht. Und das sind nun mal die Nutzer und all die Dinge, die sie so auf Facebook hinaufladen - ihre Vorlieben und Neigungen, ihre Frühstücksgewohnheiten und Katzenvideos, damit man ihnen zum Beispiel Frühstücksflocken und Katzenfutter verkaufen kann. Denn das Geschäftsmodell ist ganz einfach: Für den Gratisservice des Netzwerks stellt man Facebook seine Daten zur Verfügung.

Konsumverhalten zur Ideologie verklärt

Wie bringt man die Menschen also dazu, noch mehr Daten von sich zu veröffentlichen, die sich vermarkten lassen? Man dichtet eine Weltanschauung ums Produkt herum. Die Facebook-Co-Chefin Sheryl Sandberg hat den neuen Begriff gerade verkündet: authentische Identität. Will heißen, nur wer sich im Netz profiliert, ist wirklich echt.

Da aber wird ein Konsumverhalten zur Ideologie verklärt. Wer sich auf Facebook oder Twitter selbst betrachtet, der erkennt schnell, dass das Persönlichkeitsbild dort nicht unbedingt authentisch, sondern ungefähr so aufschlussreich ist wie das Verhalten vor den Regalen mit Quengelware an der Supermarktkasse. In beiden Situationen werden Impulse abgerufen, bei Facebook über Klickfunktionen.

Die Nutzer werden unruhig

Im sozialen Netz sind die Hemmschwellen noch geringer als im Supermarkt, denn es ist ein Trugschluss, dass der Bildschirm Intimität garantiert. Das mag im 20. Jahrhundert so gewesen sein, als vor der Mattscheibe des Rechners oder Fernsehers nur Empfänger saßen. Heute aber werden alle Äußerungen und Impulse in den Datenstrom eingespeist.

Derzeit gibt es eine heftige Debatte darum, ob und wie Facebook und die Suchmaschine Google die Internetnutzer auch auf anderen Webseiten beobachten - mit Hilfe von Software, ohne dass es die Nutzer selbst merken. Der Programmierer und Internetaktivist Richard Stallman beschimpfte Facebook deswegen als "Massenüberwachungsdienst".

Die Netzwerknutzer werden deswegen zunehmend unruhig. Vor allem, wenn die Netzwerke ihre Regeln ändern. Google will sämtliche seiner Angebote wie E-Mail, Bloggen, Youtube-Videos und das Netz Google+ vereinen. Twitter verkündete,es werde sich an die Zensurgesetze einzelner Länder halten.

Transparenz und Kontrolle

Facebook will nun die Gestaltung jener Profile ändern, in denen die Benutzer angeben, wo sie arbeiten, ob sie verheiratet sind, welche Musik sie hören und dergleichen. Das wird auf die Inhalte keinen großen Einfluss haben. Doch weil die Firma ihr Produkt oft ändert, ohne die Nutzer ausreichend zu informieren, ist das Vertrauen schon erschüttert.

Die Europäische Kommission hat ein umfangreiches Gesetzespaket zum Schutz von Daten angekündigt. Sheryl Sandberg von Facebook spöttelte, Europa solle sich vielleicht weniger um den Datenschutz als um seine Wirtschaft sorgen. Letztlich aber formuliert die Europäische Kommission nur eine von zwei Forderungen, die im Raum stehen. Die sozialen Netzwerke müssen Vertrauen schaffen, indem sie ihre Datensammlungen transparent machen und den Nutzern Kontrolle über diese Daten geben.

Die Normalbürger im Netz aber müssen selbst lernen, mit den neuen Medien umzugehen. Dafür reicht meistens eine einzige Regel: Man sollte sich im Netz so vernünftig verhalten wie im richtigen Leben hoffentlich auch. Sogar, wenn man Star beim FC Bayern ist.

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