Soziales Netzwerk Pinterest:Zwischen Kürbissuppenrezept und Gartenarbeit

Gerade hat sich die Euphorie um Facebook gelegt, da umgarnen Investoren schon wieder ein Netzwerk: Pinterest verspricht viel, hat aber bislang noch keinen Cent verdient. Das muss nicht so bleiben: Genutzt wird die digitale Foto-Pinnwand überwiegend von Frauen, die auf dem Land wohnen. Die verfügen über viel Geld.

Sophie Crocoll

Es sollte der Börsengang des Jahrhunderts werden. Und dann verbrannte Facebook, das zuvor als Liebling der Investoren galt, in nur einer Woche 15 Milliarden Dollar. Die Euphorie ist vorbei. Erst mal.

Pinterest

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(Foto: Screenshot)

Der nächste Liebling steht schon bereit. Pinterest, ein Netzwerk, das in einem garagengroßen Büro sitzt, mit gerade mal 31 Mitarbeitern - und einem Wert von angeblich 1,5 Milliarden Dollar. Die Geschichte klingt bekannt? Ist sie. Und trotzdem ist Pinterest auch ganz anders.

Pinterest soll ein digitales Notizbuch sein: Ähnlich wie bei Facebook legen sich Mitglieder eine Seite an, dort sammeln sie Familienfotos und Rezepte, aber auch Bilder, die sie im Internet finden; T-Shirts beispielsweise, die ihnen gefallen, und Orte, an die sie reisen wollen. Die Fundstücke sehen dann aus wie an einer Pinnwand. Andere Mitglieder können Fotos und Texte kommentieren und auf ihre eigene Pinnwand übernehmen. Anders als bei Facebook verbinden sich nicht vor allem Freunde und Kollegen, die sich auch im echten Leben kennen. Auf Pinterest findet Gleichgesinnte, wer sich für Gartenarbeit oder selbstgeschöpftes Papier interessiert.

Pinterest wächst am schnellsten

Das Ganze ist recht banal. In den USA ist Pinterest trotzdem das am schnellsten wachsende Netzwerk überhaupt: In nur neun Monaten, zwischen Juni 2011 und Februar 2012, stieg die Mitgliederzahl von 50 000 auf 17 Millionen Nutzer, so die Marktforscher von Comscore. Bei Facebook hatte das 16 Monate, beim Nachrichtendienst Twitter 22 Monate gedauert. Und auch in Europa nimmt die Beliebtheit des Portals zu.

Damit entwickelt sich Pinterest durchaus zu einem Konkurrenten der bekannten Netzwerke. Facebook hat in den USA knapp 170 Millionen Nutzer, mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Will das Netzwerk wachsen, geht das auf dem Heimatmarkt kaum noch über neue Mitglieder - vielmehr muss es seine Mitglieder dazu bringen, mehr Zeit auf Facebook zu verbringen. Und das wird schwer, wenn die noch ihre digitale Pinnwand gestalten: Im Durchschnitt verbringen Besucher im Monat schon 89 Minuten bei Pinterest. Zum Vergleich: Bei Facebook sind es laut Comscore 405 Minuten, bei Twitter 21 Minuten und bei Google+ gerade mal drei Minuten.

Auch Investoren, Händler und Werber interessieren sich deshalb für Pinterest: Während Menschen bei Twitter und Facebook vor allem Privates austauschen, sprechen sie bei Pinterest häufiger über Produkte, über neue Sonnenbrillenmodelle beispielsweise, aber auch darüber, wo es die besten Cupcakes gibt. Soziales Shopping sozusagen.

Geschäftsmodell nicht in Sicht

In keinem anderen Netzwerk ist es für Werbeagenturen so leicht zu erkennen, welche Vorlieben ein Mitglied hat - und Anzeigen darauf zuzuschneiden. Online-Händler setzen darauf, dass Mitglieder auch eher einen Rock bestellen, wenn sie bereits die Pinnwand "Sommerkleider" mit Fotos bestückt haben. Im Februar sind mehr Menschen über Pinterest auf andere Webseiten gelangt als über Twitter, Google+, LinkedIn und YouTube zusammen.

Diese Aussichten locken Investoren. Die Risikokapitalgeber Andreessen Horowitz, Bessemer Venture Partners und First-Mark Capital sind an Pinterest beteiligt, im Mai sammelte das Netzwerk 100 Millionen Dollar ein, seitdem gehört auch der japanische Online-Händler Rakuten zu den Investoren. Insgesamt, schätzen Insider, ist Pinterest 1,5 Milliarden Dollar wert.

Es gibt allerdings ein Problem: Pinterest verdient bislang kaum Geld. Und hat sich auch noch nicht überlegt, wie ein Geschäftsmodell aussehen könnte, so sagt es zumindest Mitgründer Ben Silbermann im Videomitschnitt einer Start-up-Konferenz.

Also doch nur eine Blase? Die Gartner-Analystin Jenny Sussin sieht dafür einige Anzeichen. Sie hält Netzwerke derzeit generell für zu hoch bewertet. "Wir sollten realistisch sein, sonst werden wir einen Facebook-Hype nach dem anderen erleben", sagt sie. Pinterest werde sein rasantes Wachstum kaum langfristig beibehalten können. Dafür seien die Zielgruppe und die Möglichkeiten des Zeitvertreibs auf der Seite zu eingeschränkt.

Pinterest-Gründer Silbermann teilt die Start-up-Welt dagegen in zwei Gruppen: "Es kann Leute antreiben, Märkte aufzumischen, die sie für ineffizient halten. Das sind die einen. Die anderen wollen einfach nur etwas Schönes schaffen." Natürlich zählt sich Silbermann zu Letzteren. Der 29-Jährige kommt aus Iowa, angeblich ist er seit seiner Kindheit eifriger Sammler, damals hatten es ihm besonders Insekten angetan. Und anders als viele andere Gründer ist er kein Computerspezialist, sondern Politikwissenschaftler.

Vom Silicon Valley hat er eine geradezu romantisch verklärte Vorstellung. In dem Video sagt er: "Ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte meiner Zeit in Kalifornien geschrieben wird - und ich wollte dabei sein." Er zog ins Valley und nahm bei Google einen Job als Kundenbetreuer an. 2008 setzte er sich dann mit zwei Freunden zusammen, um eine eigene Firma zu gründen. Silbermann sammelte immer noch gerne - so entstand die Idee zu Pinterest. An Thanksgiving, beim Abendessen, schlug Silbermanns Frau den Namen vor: Jeder sollte an die digitale Wand pinnen, was ihn interessierte.

Mehr als zwei Drittel der Mitglieder weiblich

Vor zwei Jahren luden die Gründer Bekannte ein, Pinterest auszuprobieren, ohne besonderen Erfolg. Nach vier Monaten hatten sich gerade mal ein paar hundert Leute angemeldet, so dümpelte das Netzwerk weitere Monate dahin.

Und dann stiegen die Mitgliedszahlen plötzlich: Nicht die technikaffinen Nerds aus Kalifornien und New York kamen zuerst, wie bei Twitter oder Facebook, sondern Frauen aus dem ländlichen Iowa und Utah, die sich über Hochzeitsfeiern und Inneneinrichtung austauschten. Noch immer sind über zwei Drittel der Mitglieder Frauen. Auch Ann Romney, die Ehefrau des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt, ordnet auf Pinterest die Familienfotos mit den zahlreichen Enkeln und verweist auf das Kürbissuppenrezept der Schwiegertochter.

Frauen gelten als kaufkräftig und vor allem kauffreudig. Kein Wunder also, dass sich gerade Onlineshops und Modelabels eine Seite auf Pinterest zulegen. Mango präsentiert die neuen Modelle und Videos von Fotoshootings. "Wir konnten nicht länger ignorieren, wie viele Menschen über Pinterest auf Seiten von Online-Händlern kommen", heißt es aus dem Unternehmen. Der Vorteil gegenüber Facebook: "Bei Facebook erwarten die Menschen, dass du ihnen eine Geschichte erzählst. Bei Pinterest geht das viel direkter: Du hast ein Produkt, und du zeigst es."

Selbst Onlineshops, die noch nicht bei Pinterest zu finden sind, profitieren von dem Netzwerk: Über einen Knopf, den sie auf ihrer Webseite integrieren, können Pinterest-Mitglieder Fotos von T-Shirt und Bikini direkt an die eigene Pinnwand heften - das bedeutet kostenlose Werbung für den Verkäufer. Ob es sich für Händler wirklich lohnt, sich bei Pinterest zu engagieren, ist, ähnlich wie bei Facebook, bislang nicht zu belegen. Zumindest aber macht Pinterest dem Netzwerk auch hier Konkurrenz. Werbekunden klagen bereits, Anzeigen auf Facebook brächten nichts. Sie werden nach Alternativen suchen - und vielleicht zu Pinterest finden.

Und doch gibt es einen Haken: Wer Fotos und Grafiken aus dem Internet an seine Pinnwand heftet, verletzt schnell das Urheberrecht anderer. Pinterest fordert seine Mitglieder zwar auf, das nicht zu tun. Kontrollieren kann das Netzwerk sie aber kaum. Die Investoren schreckt das nicht: "Die wollen nichts Böses. Pinterest zeigt Marken in positivem Licht. Die Jungs lieben ihren Dienst", schwärmte Rakuten-Chef Hiroshi Mikitani in der Financial Times.

Dem neuen Liebling kann man eben alles verzeihen. Noch.

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