Soziale Netzwerke:Wenn Facebook-Verweigerer zu Soziophobikern erklärt werden

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Soziales Netzwerk Facebook: Macht sich verdächtig, wer nicht Mitglied ist?

(Foto: Bloomberg)

Nach Amokläufen erklären Laien die Täter vorschnell zu pathologischen Fällen. Das typische Narrativ lautet: Der Amokläufer sei Autist. Nun findet sich ein zweites in den Medien. Weder James Holmes noch Adam Lanza waren bei Facebook aktiv.

Von Christoph David Piorkowski

Es ist inzwischen medialer Usus, im Anschluss an einen Amoklauf die Frage nach dem Geisteszustand des Täters aufzuwerfen. Stark Konjunktur hat das individualpsychologische Narrativ vom Autisten, das den Attentäter aus dem gesellschaftlichen Kontext und dem Normalmenschlichen herausnimmt.

Sowohl der Kino-Amokläufer James Eagan Holmes, der vor nicht mal einem halben Jahr bei der mitternächtlichen Premiere von Christopher Nolans letztem Batman-Film ein Dutzend Menschen tötete als auch der Grundschulmörder Adam Lanza wurden von Laien zu pathologischen Fällen erklärt, ehe es ein professionelles Psychogramm gab.

Amerikaner ohne Facebook-Profil sind "verdächtig"

Mit der Diskussion über die psychische Störung verschränkt sich neuerdings ein Dispositiv, das neben der Diskriminierung von Aspergern, deren Krankheit inzwischen fast schon pauschal mit dem Thema Amoklauf assoziiert wird, eine schleichende Pathologisierung des Social-Network-Abstinenzlers insinuiert. Weder James Holmes noch Adam Lanza waren bei Facebook aktiv. Dieser Umstand war etlichen Berichterstattern der Erwähnung wert.

Nach dem Batman-Amoklauf wurde der Nonliner als solcher in einem Artikel der Autorin Katrin Schulze im Berliner Tagesspiegel in der Nähe des Sozialkretins verortet. James Eagan Holmes hätte seine Tat nicht, wie andere Attentäter vor ihm, im Netz angekündigt. Ein 24-jähriger US-Amerikaner ohne Facebook-Profil sei nicht nur selten, sondern komme einigen doch "ziemlich verdächtig vor".

Facebook-Profil als Kriterium für soziale Teilhabe

Nach einer nicht näher benannten Studie des Wissenschaftlers Richard E. Bélanger - deren Datenmaterial wohl aus dem Jahr 2002 herrührt und sich auf heranwachsende Schweizer beschränkt - könne Netzabstinenz auf eine ernsthafte psychische Störung hinweisen. Auch der Massenmörder von Utøya, Anders Behring Breivik, sei vor seiner Tat im Netz weitgehend unsichtbar geblieben (was erwiesenermaßen nicht stimmt).

Der Social-Network-Abstinenzler macht sich heute zusehends verdächtig. Vor allem in den USA ist das fehlende Facebook-Profil nicht selten ein Ausschlusskriterium für den Zugang zu manchem Berufsfeld, weil die Chefs der Personalabteilungen anscheinend verborgene Abgründe vermuten. Laut der Nachrichtenagentur AP forderten dort diverse Unternehmen und Behörden von ihren Bewerbern Zugangsdaten zu sozialen Netzwerken.

Auch in Deutschland erkundigen sich, so der Hannoveraner Psychologe Christoph Möller, zwei Drittel der Personaler nach ihren Bewerbern im Netz. Und einer Umfrage des Branchenverbandes Bitkom zufolge, ist für viele Firmen die fehlende Webpräsenz ein Manko.

Nun besitzen immer noch 6 von 7 Milliarden Menschen keinen Facebook-Account. Viele dieser Personen sind wohl keine Soziophobiker, auch wenn sie Zugang zum Netz hätten, sondern verweigern sich lediglich dem Transparenzgebot und der allumfassenden Like-It-Kultur. Freilich ist es völlig absurd, von der Netzabstinenz auf die pathologische Struktur eines Menschen zu schließen (was man besagten Firmen zwar nicht unterstellen kann, aber immerhin droht aufgrund von unbefriedigter Neugier die Gefahr der Ablehnung).

Viel eher, als dass die Facebookabstinenz auf soziale Inkompetenz hinweist, könnte man mutmaßen, dass das Soziale sich im digitalen Netzwerk auf einem Niveau bewegt, das als Substitut für ein fehlendes soziales Gefüge schlicht unzureichend ist. Noch ist der Nonliner im gesellschaftlichen Diskurs nicht endgültig mit dem Soziophobiker verlinkt. Aber der Zugang zu Klassentreffen, Webdiensten und Arbeitsplätzen bleibt häufig jenen verschlossen, die sich für ein mehr oder weniger analoges Leben entscheiden. Die Frage nach dem Facebook-Profil sollte aber kein Kriterium für soziale Teilhabe sein und erst recht kein normativer oder psychologischer Gradmesser.

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