Soziale Medien:Zehn Jahre Twitter in zehn Tweets

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Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger schießen im Stadion von Rio eins der bekanntesten deutschen Selfies.

(Foto: AFP)

Notlandung im Wasser, Weltmeister-Selfie und Piraten, die einander dissen: Das sind die prägendsten Tweets aus einem Twitter-Jahrzehnt.

Von Jessica Binsch

Vor zehn Jahren wurde der erste Tweet verschickt. Seitdem haben Nutzer Revolutionen, Wahlen und Unglücke in Echtzeit begleitet. Ein Überblick über zehn herausragende Tweets zum Geburtstag des Netzwerkes.

Wie alles begann (2006)

"just setting up my twttr" ("ich richte mein twttr ein"), lautete der erste Tweet. Getippt hat ihn am 21. März 2006 Jack Dorsey, einer der Mitgründer des Unternehmens. Dorsey und die anderen beiden Gründer Evan Williams und Biz Stone arbeiteten eigentlich in einem anderen Unternehmen, als ihnen die Idee für das Netzwerk kam. Die Nachrichten durften nicht länger als 140 Zeichen sein. Mit der Beschränkung sollten Nutzer per SMS twittern können. Eine SMS hat 160 Zeichen, und neben dem Text sollte noch Platz für Informationen wie den Nutzernamen sein.

Notlandung in Echtzeit (2009)

Twitter entwickelte sich zum Echtzeit-Nachrichtenmedium. Einer größeren Öffentlichkeit wurde das zum ersten Mal 2009 wirklich bewusst. Ein Flugzeug musste wegen eines Triebwerkschadens kurz nach dem Start notlanden. Dem erfahrenen Piloten gelang eine Notwasserlandung mitten auf dem New Yorker Hudson River, alle Insassen überlebten. Die erste Nachricht der spektakulären Aktion verbreitete sich über Twitter. "Da ist ein Flugzeug im Hudson", schrieb ein Passagier einer Fähre verblüfft und postete ein Foto des Fliegers auf dem Wasser. "Ich bin auf der Fähre, die die Menschen abholt. Verrückt."

Die Revolution wird getwittert (2011)

Die Aufstände des "Arabischen Frühlings" wurden durch Twitter und Facebook beschleunigt. Dort organisierten sich Menschen, machten ihrer Wut gegen die Herrscher Luft, planten Proteste. Für den 25. Januar 2011 riefen ägyptische Aktivisten einen "Tag des Zorns" aus, es kam zur ersten Massendemonstration gegen das Regime. Die Regierung schlug hart zurück: "Gummigeschosse und Tränengas auf dem Tahrir-Platz", twitterte einer der Protestierenden am 25. Januar. Und: "Die Menge wird größer." Das Schlagwort zu den Demonstrationen, #Jan25, blieb auch nach dem "Tag des Zorns" eine wichtige virtuelle Anlaufstelle für Protestierende.

Fünf Jahre später steht der Erfolg der Revolution in Frage. Die Ägypter verjagten zwar den Präsidenten Hosni Mubarak, doch jetzt regiert der Autokrat Abdel Fattah al-Sisi.

Auch die Rolle der Online-Netzwerke sehen einige Aktivisten von damals inzwischen kritisch. Der ägyptische Aktivist Wael Ghonim sagte Ende 2015, soziale Netzwerke trügen zur Polarisierung bei: "Dasselbe Werkzeug, das uns verbunden hat, um einen Diktator zu stürzen, reißt uns auseinander."

Bin Laden getötet (2011)

Für US-Präsident Barack Obama war es ein umstrittener Meilenstein seiner Amtszeit: Eine Eliteeinheit der Marine tötete Terrorchef Osama bin Laden in einem nächtlichen Angriff auf dessen Versteck in Pakistan. Obama wollte die Nachricht am 2. Mai 2011 selbst verkünden. Doch er wurde von einem Insider via Twitter überholt. Keith Urbahn, der Büroleiter des ehemaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, bestätigte die Nachricht noch vor der offiziellen Bekanntgabe. "Mir wurde von einer verlässlichen Person mitgeteilt, dass sie Osama bin Laden getötet haben", twitterte Urbahn. Und fügte an: "Krasse Sache".

Auch der Angriff auf das Versteck selbst war via Twitter zu beobachten. Ein Nachbar hatte darüber live berichtet - ohne zu wissen, dass der Einsatz Bin Laden gegolten hatte.

Obama wiedergewählt (2012)

Obama verkündete seine Wiederwahl am 6. November 2012 per Twitter. "Vier weitere Jahre" betexteten seine Mitarbeiter das Foto, das Obama in inniger Umarmung mit seiner Frau Michelle zeigt. Das Bild verbreitete sich rasant: Es wurde zum Tweet mit den bis dato meisten Retweets.

"Wie verstrahlt bist du denn?"

Die Piratenpartei war in Deutschland Vorreiter beim Twittern. Die neuen Polit-Aktivisten berichteten live von ihren Parteitagen und führten viele Diskussionen ganz selbstverständlich öffentlich. Der Nachteil solcher schonungslosen Kommunikation: Auch Streit schaukelt sich für alle sichtbar hoch.

Einen Tiefpunkt erreichte die öffentliche Auseinandersetzung Anfang 2013. Der Berliner Piratenpolitiker Christopher Lauer schickte wüste Beschimpfungen in Richtung des damaligen politischen Geschäftsführers Johannes Ponader.

Lauer soll Ponader per SMS gedroht haben: "Lieber Johannes, wenn Du bis morgen 12.00 nicht zurückgetreten bist, knallt es ganz gewaltig." Auf die Fragen Ponaders nach einem Treffen soll Lauer geantwortet haben: "Alter, wie verstrahlt bist Du denn?" Ponader veröffentlichte die SMS, twitterte dazu: "eine Drohung öffentlich zu machen, ist das einzige, was hilft".

Die hingebungsvolle Twitter-Nutzung der Partei wirkte in die traditionelle Politik hinein. Politiker anderer Parteien entdeckten den Dienst für sich. Heute finden die wichtigsten politischen Debatten auch auf Twitter statt.

#Aufschrei rückt Sexismus in den Fokus (2013)

Sexismus im Alltag spielte in der öffentlichen Diskussion lange Zeit kaum eine Rolle. Das änderte sich Anfang 2013 schlagartig. Ausgelöst durch einen Stern-Artikel über das aufdringliche Verhalten des FDP-Politikers Rainer Brüderle begannen Frauen, auf Twitter von persönlichen Erfahrungen mit Sexismus zu berichten. Das Hashtag dazu schlug Anne Wizorek vor: #Aufschrei.

Noch nie hatte ein Hashtag in Deutschland eine so breite Debatte angestoßen. Hunderte Frauen schilderten ihre Erfahrungen, Medien griffen das Thema auf, Wizorek saß in Fernseh-Talkshows und hielt Vorträge. Die #Aufschrei-Initiatorinnen gelten mittlerweile als Vorkämpferinnen eines neuen, nicht unumstrittenen Feminismus. #Aufschrei wird noch heute als Hashtag benutzt.

Das beliebteste Selfie - es war PR (2014)

Dieses Selfie stellte alle anderen in den Schatten. Jennifer Lawrence, Meryl Streep und Brad Pitt zählen zu den Promis, die sich auf dem Bild drängten. Moderatorin Ellen DeGeneres versammelte sie auf der Oscar-Verleihung 2014 vor ihrem Handy. Schauspieler Bradley Cooper drückte auf den Auslöser. "Wenn doch Bradleys Arm etwas länger wäre", twitterte DeGeneres. Bis heute wurde das Bild 3,3 Millionen Mal geteilt. Damit stellten die Berühmtheiten des Showbiz den vorigen Rekord der Obamas für das meistgeteilte Bild ein.

Kurz darauf stellte sich heraus: Das Selfie war eine geschickte Werbeaktion des Handyherstellers Samsung. Der hatte das Handy von DeGeneres gestellt.

WM in Brasilien: Direkt vom Spielfeld (2014)

Beim Sieg der deutschen Nationalmannschaft in Brasilien 2014 hatte auch Twitter einiges zu feiern. Die Nationalmannschaft twitterte aus der Kabine, Spieler verbreiteten Fotos aus Brasilien über den Dienst. Lukas Podolski schickte nach dem WM-Sieg noch vom Spielfeld ein Jubelfoto ins Netz. Darauf ist Twitter so stolz, dass das Bild Nutzer noch Jahre später beim Einloggen begrüßt.

Flüchtlinge willkommen (2015)

Die Debatte um den Umgang mit Flüchtlingen ist wohl das wichtigste Thema dieser Tage. Das spiegelt sich auch auf Twitter wider. Dort sind die Vertreter einer Willkommenskultur in der Mehrzahl: #RefugeesWelcome lautet ihr Schlagwort. Mehr als 400 000 Mal wurde das Hashtag in Deutschland verwendet. International schickten Nutzer 2,1 Millionen Tweets mit dem Schlagwort, wie Twitter mitteilte.

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