Soziale Medien:Auf Facebook endet die gemeinsame Wahrheit

File picture illustration shows a woman looking at the Facebook website on a computer in Munich

Soziale Netzwerke galten einst als großes demokratisches Versprechen - doch von Völkerverständigung kann keine Rede sein.

(Foto: REUTERS)

Die sozialen Medien haben sich zu Echokammern entwickelt. Ideal für Autokraten, die diese Netzwerke hemmungslos befeuern.

Von Andreas Zielcke

Seit dem Votum für den Brexit und dem Sieg Trumps ist die Rolle, die soziale Medien für Populisten spielen, kaum noch zu überschätzen. Wie immer die Wahlen im nächsten Jahr in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland ausgehen werden - Geert Wilders, Marine Le Pen und die AfD können sich auf die enormen Chancen freuen, die vor allem Facebook ihnen bietet.

Schon nach der philippinischen Präsidentschaftswahl im letzten Mai beschrieb die südostasiatische Zeitung New Mandala, "wie Duterte die Wahl auf Facebook gewann". In Deutschland folgen zur Zeit rund 305 000 Menschen der AfD-Seite auf Facebook, während es die CDU nur auf 123 000 Nutzer, die SPD auf 120 000 bringt. Etwa um das Zehnfache überragt die Zahl der Fans, die in Frankreich Marine Le Pen folgen, die Anzahl der Facebookfans des Präsidenten François Hollande.

"Facebook", sagt der Politikwissenschaftler Richard Heydarian, "verhalf nicht den Durchschnittsbürgern zu mehr Macht, sondern professionellen Propagandisten, Leuten an den politischen Rändern und Verschwörungstheoretikern. Stimmen, die sich bisher im Verborgenen hielten, tönen jetzt im Zentrum des öffentlichen Diskurses." Dabei ist es nur wenige Jahre her, dass soziale Medien als demokratisches Versprechen galten. 2012 goss Mark Zuckerberg in seinem "Letter to Investors" Zweck und Prinzipien seines Netzwerkes in diese erhabenen Sätze:

"Facebook wurde als soziale Mission gegründet - um die Welt offener und vernetzter zu machen."

"Wenn Leute mehr miteinander teilen, entsteht eine offenere Kultur und ein besseres Verständnis für das Leben und die Sichtweisen anderer."

"Wir glauben, dass die Hilfestellung, die wir Leuten bieten, um ihre Interessen zu teilen, zu einem aufrichtigeren und transparenteren Dialog über die Regierung führt und damit zu direkterer Handlungsmacht (empowerment) der Leute, zu erhöhter Rechenschaft der Hoheitsträger und zu besseren Lösungen der größten Problem unserer Zeit."

Zuckerbergs Motive spielen keine Rolle mehr

Vier Jahre später wissen wir, dass es gar nicht mehr darauf ankommt, ob Zuckerberg tatsächlich je von dieser Idee der Weltoffenheit beflügelt wurde oder primär von profaneren unternehmerischen Zielen. Entscheidend ist nicht die Motivation des Gründers, entscheidend ist die strukturelle Dynamik des Netzwerkes selbst.

Und diese Struktur ist, bei aller Komplexität der eingesetzten Algorithmen, denkbar einfach und gradlinig: Mag das Netzwerk inzwischen 1,8 Milliarden Mitglieder umfassen, so sind die Linien der Vernetzung primär auf überschaubare Freundeskreise und Geistesverwandtschaft eingestellt, auf Personalisierung, auf private Definition des Kommunikationsumfelds, auf Sympathiezuordnung und Andocken an Nutzer ähnlicher Sinnesart.

Nichts könnte dieser Eingrenzungslogik ferner liegen als menschheitsübergreifende Foren für die "größten Probleme unserer Zeit". In dem Maße, in dem die Kommunikationsangebote auf Vertrautheit, Einverständnis und Gruppenbildung setzen und damit alternative oder gar konträre Weltsichten von einander fernhalten, erledigen sich nicht nur alle Ideen von Weltbürgertum oder Völkerverständigung, sondern auch alle Ideen von einer wenigstens die jeweilige Nation übergreifenden Verständigung.

"Jeder sieht nur, was er sehen will"

In diesem Sommer hat Facebook den Algorithmus seiner Newsfeeds noch einmal gruppenspezifisch drastisch verschärft. Hatte man zunächst Zeitungshäuser damit umworben, sich auf das Netzwerk einzulassen, um dort ihre Leserschaft zu finden und zu erweitern, zieht der erneuerte Algorithmus bei den einzelnen Nutzern hauptsächlich solche Posts und News nach vorne, die von Freunden und Familienmitgliedern eingestellt werden. Damit haben herkömmliche Medien das Nachsehen, vor allem aber verengt sich der Horizont der Nutzer weiter. Tucholskys Sentenz, "jeder sieht nur, was er sehen will", könnte der Leitspruch von Facebook sein.

Der von vielen beklagte Effekt sozialer Filterblasen war daher nie eine ungewollte Nebenwirkung, sondern von Anfang an einkalkuliert. Neu ist allenfalls, dass er von Jahr zu Jahr deutlicher sichtbar wird. Nicht dass es an Stimmen mangeln würde, die den Filtereffekt der sozialen Medien in Frage stellen. Als Beleg führt man vor allem zwei prominente Analysen von britischen und amerikanischen Statistikern an, nämlich die Studie "Filter Bubbles, Echo Chambers, and Online News Consumption" von Seth Flaxman und Kollegen (April 2016) und die Studie der Gruppe um Eytan Bakshy: "Exposure to ideologically diverse news and opinion on Facebook" (Juni 2015). Tatsächlich aber widerlegen beide Studien den "Echokammer-Effekt" in sozialen Netzwerken nicht, im Gegenteil.

"Wir finden starke Beweise dafür", konstatieren Flaxman und seine Kollegen, "dass Individuen nur solche Publikationen lesen, die einander ideologisch ähneln, kaum aber solche mit konträren Perspektiven." Und dieses Fazit gilt, obwohl das Datenmaterial der Flaxman-Studie bereits von 2013 stammt, das der anderen von 2014. Dass Facebook inzwischen die Algorithmen für die Nachrichtenauswahl noch sehr viel restriktiver auf den Umkreis der Nutzer zugeschnitten hat, ist also noch gar nicht berücksichtigt.

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