Software als Service:Illusion von Kontrolle

Wer heute Software kaufen will, kann sie meistens nur noch als "Service im Netz" mieten. Für Datenschutz und die Rechte der Kunden ein großes Risiko. Aber wem gehören eigentlich digitale Güter?

Von Johannes Boie

Kanye West, Multimillionär und Rapper, hat es nicht leicht. Unter anderem, weil seine kleine Tochter North West, 2, eine App heruntergeladen hat, und diese App enthält sogenannte In-App-Käufe, also die Möglichkeit, nach dem Herunterladen noch mehr Geld auszugeben, um die App interessanter, bunter, schneller oder sonst was zu machen. Das Konzept ist, zumal in Spielen, die man dann nicht mehr spielen kann ohne zusätzliches Geld auszugeben, bei den Herstellern beliebt.

West findet das Konzept nicht so gut. Er twitterte: "Fuck any game company that puts in-app purchases on kids games!!!" Etwa: Zum Teufel mit Kinder-Apps, die zu weiteren Käufen animieren. 39 000 Retweets und unzählige Favoriten-Sternchen sprechen dafür, dass ein paar Menschen Wests Meinung teilen.

Abgesehen von der Kinderabzocke deutet der Rapper-Tweet auf einen weit größeren Trend hin. Software ist kein abgeschlossenes Produkt mehr. Um das zu verstehen, muss man einen Blick zurück wagen.

Früher war es so: Software wurde gekauft, auf DVD oder CD und installiert. Zwischen dem Handelsort und dem Installationsort war eine physische Barriere. Mit immer schnelleren Leitungen und Flatrates war es nur ein logischer Schritt, dass Software heruntergeladen werden kann. Zunächst kleinere Programme, seit ein paar Jahren auch ganze Betriebssysteme. Heute ist Software in aller Regel online. Von den Servern der Hersteller oder Anbieter kann sie entweder heruntergeladen werden oder direkt auf ihnen verwendet werden.

Apps und Cloud-Computing sind mittlerweile etabliert

Die Grenzen dazwischen sind fließend. Da ist einerseits Cloud-Computing, bei dem Daten - etwa eine Textdatei -, auch Anwendungen - etwa ein Schreibprogramm - auf einem Server, der "Cloud", liegen, statt lokal auf dem Rechner installiert zu sein. Dann gibt es die Welt der Apps, über die sich Kanye West so aufgeregt.

Das sind Programme, die lokal, also auf dem Handy oder Computer des Nutzers gespeichert sind, die aber ständig mit dem Netz in Verbindung sind, um sich - oft gegen Geld - mit neuen Softwarebestandteilen zu versorgen. Apps und Cloud-Computing sind mittlerweile so etabliert, dass viele Nutzer nur noch kleine Miniprogramme nutzen oder ihren Webbrowser, in dem sie Cloud-Anwendungen aufrufen können. Eine Gerätegeneration ist aus dieser Erkenntnis hervorgegangen: die leichten, tragbaren Notebooks, die nicht viel mehr können, als einen Browser zu starten, in dem der Nutzer eben dann seine Arbeit erledigt.

Doch selbst die Software, die aufgrund ihrer Komplexität weiterhin auf dem Rechner des Nutzers installiert werden muss, steht heute permanent mit den Servern der Herstellers in Verbindung. Zum Beispiel, um zu prüfen, ob der Nutzer überhaupt berechtigt ist, das Programm zu verwenden. Diese Berechtigung kann dann auch jederzeit entzogen werden.

Die Veränderung ist ökonomisch überlegen - und unaufhaltsam

Das ist die ökonomische Dimension der Entwicklung: Die Vertriebsstrategen der Softwarehersteller haben erkannt, dass sich mit der dauerhaften Verbindung der Software ganz neue Bezahlmodelle umsetzen lassen. Früher haben sich Grafikprofis das teure, sehr gute Bildbearbeitungsprogramm Photoshop einmal gekauft und konnten es dann verwenden, bis der technologische Fortschritt nach einer neueren Version verlangt hat. Heute kann man das Programm nur noch mieten. Es wird zwar auf dem Rechner des Nutzers installiert, aber nur, wer regelmäßig zahlt, kann es auch beliebig benutzen.

Das Modell, Software als Service bereitzustellen, verändert die Softwareindustrie derzeit stark, jeder Konzern hat das Ziel, so oft wie möglich mit dem Kunden in Kontakt zu treten und ihm so oft wie möglich eine Rechnung zu stellen. Preisstrategien, die mit psychologischem Fingerspitzengefühl erstellt wurden, maximieren durch immer wieder anstehende Zahlungen die Summe dessen, was ein Softwarehersteller einem Kunden abverlangen kann.

Einer, der diese Strategien für den Computerspiele-Giganten Valve mitentwickelt hat, war übrigens Griechenlands Ex-Finanzminister Yannis Varoufakis - bevor er mit geringerem psychologischen Fingerspitzengefühl aus der Troika maximale Zahlungen herauszukitzeln versuchte.

Die Raubkopiererszene beißt sich die Zähne aus

Die Veränderung ist ökonomisch überlegen und darum unaufhaltsam. Große Konzerne wie Autodesk, weltweit Marktführer für 3D-Software, stellen derzeit ihren gesamten Vertrieb von Software-Verkauf auf -Vermietung um. Das Stichwort der Betriebswirtschaftler lautet "SaaS", das steht für "Software as a Service", Software als Dienstleistung. Selbst Microsoft lässt sein neues Betriebssystem "Windows 10" nun unter dieser Rubrik laufen.

Die Raubkopiererszene beißt sich an diesen Konzepten die Zähne aus. Wer Software illegal nutzen möchte, muss ihr den Zugang ins Netz versagen. Das aber schränkt in aller Regel Funktion und Sicherheit der Programme massiv ein.

Man hat als Nutzer keine Wahl. Das ist bedenklich. Denn die neuen Modelle bieten zwar einerseits Vorteile, etwa, dass die Hersteller Software automatisiert updaten können oder dass man gemeinsam mit anderen Nutzern an demselben Dokument arbeiten kann. Andererseits wird der Nutzer in seinen digitalen Rechten weiter entmündigt. Der Kontrollverlust desjenigen, der glaubt, er bediene seinen Computer noch selbst, wird weiter vorangetrieben.

Wem gehören digitale Güter?

Cloud-Computing, Apps und Software as a Service sind Begriffe, die sich nur begrenzt nebeneinanderstellen lassen. Sie sind nicht klar definiert, man läuft Gefahr, ökonomische und inhaltliche Eigenschaften zu vermischen. Sie stehen aber für einen Trend, der typisch ist in der derzeitigen Entwicklung: technologisch sinnvoll, ökonomisch optimiert, von Politik und Gesellschaft kaum beachtet - und Teil einer ethisch diskussionswürdigen Veränderung.

Die Vermietungsmodelle werfen ja Fragen auf nach dem Besitz digitaler Güter: Wem gehört die Software eigentlich? Dem, der sie vermietet? Warum sind dann, wie bei Photoshop, Teile auf dem Rechner des Nutzers gespeichert? Andererseits müssen zentrale Speicherorte, wie es sie im Cloud Computing gibt, als Teil der Debatte über globalen Datenschutz und das eben gekippte Datenabkommen Safe Harbor diskutiert werden. Die Grenze zwischen Inhalten und Anwendungen verschwimmt, und die Möglichkeiten, den Nutzer auszuspionieren, steigen für alle, die Zugriff auf den Software-Server haben, ins Unendliche.

Noch ist das Bewusstsein dafür kaum vorhanden, und es bildet sich auch nur langsam heraus, weil die Vorteile für alle Beteiligten offensichtlich sind, die Nachteile aber nicht. Vielleicht helfen noch ein paar öffentlichkeitswirksame Probleme mit Promikindern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: