Smartphone:Das iPhone X - nur für Liebhaber mit viel Geld

Lesezeit: 4 min

Gesichtserkennung, Riesen-Display und animierte Emojis: Das neue iPhone beeindruckt im Test. Und ist trotzdem nur etwas für absolute Fans.

Von Hakan Tanriverdi

Die Zukunft des Smartphones, wie Apple sie sich vorstellt, beginnt mit einer kreisenden Bewegung des Kopfes, zweimal im Uhrzeigersinn. Danach steht "Face ID done" auf dem Bildschirm. Die Gesichtsverifikation ist eingerichtet - von nun an wird das Smartphone entriegelt, wenn der Nutzer es in die Hand nimmt und sich von der Infrarotkamera tief ins Gesicht blicken lässt.

Vorneweg sei gesagt: Natürlich ist das neue iPhone X (sprich: "zehn", nicht "x") hervorragend. Natürlich ist es absurd teuer. Aber ist es auch ein Smartphone, das man heute schon kaufen sollte? Es kostet 1149 Euro mit 64 Gigabyte Speicher und 1319 Euro mit 256 Gigabyte. Und da wir von einem Gerät sprechen, das ersten Tests zufolge sehr leicht zu zersplittern scheint, entscheidet man sich für Extra-Schutz. Das Programm Apple Care kostet 229 Euro, eine Hülle deutlich weniger.

Apple hat das Design runderneuert, ein fast randloses Smartphone gebaut und es mit rechenstarken Chips und Sensoren ausgestattet. Das Display des iPhone X ist mit 5,8 Zoll sehr groß. Zum Vergleich: Das Display des deutlich größeren und unhandlicheren iPhone 8 Plus kommt nur auf 5,5 Zoll. Der Akku hält knapp einen Tag - ohne acht Stunden Nachtruhe.

Erstmals hat Apple ein OLED-Display eingebaut, in dem schwarze Pixel auch wirklich dunkel bleiben und nicht angeleuchtet werden. Dadurch entstehen stärkere Kontraste, was vor allem bei Filmen positiv auffällt, und der Akku hält länger. Fachleuten zufolge hat Apple das beste Display, das derzeit in einem Smartphone verbaut ist.

Auch die Kamera ist eine der besten, die es derzeit gibt. Im Selfie-Modus lassen sich nun Porträts mit Bokeh-Effekt schießen, bei dem der Hintergrund leicht verschwimmt. Die Lichtverhältnisse werden in Echtzeit analysiert. So ist es möglich, das Gesicht theatralisch zu beleuchten, gleichzeitig wird der Hintergrund komplett geschwärzt. Das wirkt beeindruckend - wenn es denn klappt: Als ob man auf einer Bühne steht und von einem Scheinwerfer angestrahlt wird. Allerdings funktioniert das im Test nur bedingt. Teilweise wird zu viel abgeschnitten, teilweise zu wenig.

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Ein Gerät, das nicht mit Passwörtern nervt

Am interessantesten ist aber die Gesichtserkennung. Jede Person, die das iPhone X der SZ im Testzeitraum gesehen hat, wollte es in die Hand nehmen und die Face-ID-Technik in Aktion sehen. Ein Grinsen konnte sich keiner verkneifen.

Face ID eignet sich am besten, um Apples Vision zu verstehen. Die Technik funktioniert, weil die verbauten Infrarotsensoren sowohl 2-D-Bilder als auch ein 3-D-Modell des Gesichts erstellen. Letzteres anhand von 30 000 Infrarot-Punkten, die auf die Haut des Nutzers projiziert werden. Dieses Bild wird in einen Zahlenwert übersetzt und lokal auf dem Gerät gespeichert, in einem speziell abgesichertem Bereich.

Vielen Nutzern dürften die technischen Details aber egal sein. Wichtiger für sie ist: Wie fühlt es sich an? Die Antwort: Ganz so, als ob es keine Passwörter mehr gebe. Die Technik selbst rückt in den Hintergrund, komfortabler geht es derzeit nicht. Endlich ein Gerät, das gut gesichert ist, aber alles daran setzt, seinen Nutzer nicht mit der Eingabe von Passwörtern zu nerven.

Das Gerät ist nun beinahe randlos. Denn Apple hat den Home Button entfernt, über den viele Aktionen im Smartphone gesteuert wurden, zum Beispiel das Entsperren über den Fingerabdruck-Scanner. Die neu eingeführten, zum Teil schwungvolleren Wischbewegungen zur Navigation sind schnell erlernt (Apple erklärt sie in diesem Video).

Kommt eine Push-Mitteilung an, wird sie auf herkömmlichen Smartphones automatisch angezeigt, zumindest in der Grundeinstellung. Beim iPhone X hingegen wird die Botschaft zunächst blockiert. "Mitteilung" steht auf dem Bildschirm, mehr nicht. Erst wenn Besitzer das Gerät per Face ID entsperren, können sie die Nachrichten auch lesen. Eine gute Standardeinstellung für Menschen, die Wert auf ihre Privatsphäre legen.

Im Test funktioniert Face ID zuverlässig. Das Gerät entsperrt, ehe man mit der Hand über das Display wischt, um auf den Bildschirm zuzugreifen. Mit Brille, ohne Brille, einem Auge mit der Hand verdeckt, in der Nacht. Problematisch wird es kurz nach dem Aufstehen, wenn man die Augen noch zukneifen muss, weil das Displaylicht zu grell ist.

Das eigentliche Highlight ist die Kamera, die Apple TrueDepth nennt und die 50 verschiedene Muskelbewegungen erkennen können soll. Was die Kamera kann, zeigt Apple mit seinen Animojis - Einhorn, Roboter, Hase und einem Kackhaufen: Wer in die Selfie-Kamera spricht und Grimassen zieht, sieht sich selbst als sprechendes Emoji. Unnütz, aber lustig.

Es gibt bereits erste Apps, die die neuen Möglichkeiten der Kamera ausnutzen. Snapchat zum Beispiel bietet Filter, die wirken wie aufgemalt, wenn man nicht allzu genau hinschaut. Das iPhone wurde erst durch den App Store zu einem Gerät, das für Menschen auch im Alltag unersetzlich wurde. Entwickler kreierten Apps, da sie das iPhone begeisterte. Das iPhone X wird Entwickler brauchen, die ähnlich begeistert sind von der neuen Kamera und dem, was durch sie möglich wird.

Wer braucht dieses Smartphone?

Dass Apple selbst noch nicht fertig ist mit der Perfektionierung des Smartphones, zeigt sich am deutlichsten daran, dass das Gerät nicht ganz randlos ist. Wegen der Aussparung für die Kameralinse ist der Bildschirm kein komplettes Rechteck. Wer Filme displayfüllend schauen will, sieht nicht alles, weil der oberste Rand durch die Aussparung, notch genannt, verborgen wird. Apple-Mitarbeiter versuchen das Problem kleinzureden, indem sie darauf hinweisen, dass man das Bild durch Berührung verkleinern könne. Doch dann ist ein dicker, schwarzer Rand um das Bild zu sehen. Beide Möglichkeiten sind nicht ideal. Viele Apps - wie Google Maps oder die Chat-App Signal - bieten gleich ein kleineres sichtbares Feld an. Für künftige Modelle sollte sich das ändern.

Zurück zur Eingangsfrage: Wer braucht dieses iPhone? Zu diesem Preis ist es für alle geeignet, die von Anfang an mitfiebern. Menschen, die nicht nur ein großes Display wollen, eine tolle Kamera, Animoji - sondern die als Erste erfahren müssen, wie die Zukunft bei Apple aussieht. Alle anderen können getrost warten, bis das Gerät komplett fertig, die Technik ausgereift ist. Bis dahin sind sie erst einmal mit einer früheren Version gut bedient.

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