Süddeutsche Zeitung

Smartphone-Benachrichtigungen:Mein Handy soll endlich die Klappe halten

Ständiges Klingeln, Vibrieren, Blinken: Smartphone-Benachrichtigungen nerven. Vom Versuch, sich davon freizumachen.

Von Sara Weber

Ich liebe mein Smartphone. Und zugleich hasse ich es. Ständig will es etwas von mir: Bei jedem neuem Kommentar, jeder neuen Nachricht, jedem neuen Follower macht es mit einem Pling oder einer Vibration auf sich aufmerksam. Selbst, wenn der Ton aus ist, ist da noch das kleine, grüne Lämpchen, das fordert: Schau mich an! Nimm mich wahr!

Die Flut von Benachrichtigungen treibt mich in den Wahnsinn. Denn jede einzelne suggeriert mir, dass etwas Wichtiges passiert sei. Auf das ich sofort reagieren müsste. Dabei bestehen meine Notifications meistens aus Banalitäten, die mich völlig umsonst aus meinen Gedanken reißen.

Warum sind Notifications so dumm?

Mein Leben wäre viel einfacher, wenn Notifications schlauer wären. Wenn alles, was nicht zeitkritisch wäre, mir alle paar Stunden gebündelt überbracht würde. Wenn ich in einzelnen Apps genauer auswählen könnte, welche Benachrichtigungen ich will: Facebook, bitte schicke mir nur Push-Nachrichten, wenn jemand Geburtstag hat, mit dem ich regelmäßig in Kontakt bin. Twitter, bitte sag nur Bescheid, wenn mir jemand folgt, den ich cool finde.

In manchen Fällen werden Notifications bereits schlauer, aber das zeigt mir erst recht, wie schlecht alle anderen sind. Ich bin froh, wenn Google Now mich erinnert, dass ich gleich das Haus verlassen muss, um pünktlich zu meinem Termin zu kommen, oder wenn ich abends darauf aufmerksam gemacht werde, dass es am nächsten Tag regnen wird. Doch dieser Mehrwert ist die Ausnahme, nicht die Regel. Deshalb habe ich vor einigen Wochen einen für mich revolutionären Schritt gewagt: Ich habe mein Smartphone umorganisiert. Einige Apps sind jetzt komplett weg, andere vom Start-Screen verbannt - und ich habe fast all meine Benachrichtigungen abgestellt.

Facebook: gelöscht, Instagram-Notifications: aus

Wie das genau aussieht? Ich habe keine Facebook-App mehr auf dem Handy und auch keine Handyspiele (Tschüss, Candy Crush!). Mein Start-Screen ist Social-Media-frei. Bei Instagram und Twitter sind die Notifications deaktiviert. Eilmeldungen bekomme ich nur noch von einer Nachrichtenseite. Bei meinen E-Mails sind Benachrichtigungen nur noch bei der wichtigsten Adresse (der für Arbeitsmails und Urlaubsbuchungen) aktiviert, am Wochenende stelle ich auch hier die Notifications ab.

Dass ich so rigoros durchgegriffen habe, hat viel mit zwei Menschen zu tun: Tristan Harris und Kati Krause. Harris ist ein Design-Ethiker, der bis vor kurzem bei Google gearbeitet hat. Er sagt, dass Technologie die Schwächen unseres Geistes ausnutze und unsere Telefone wie Spielautomaten funktionieren. Jede Interaktion sei ein Glücksspiel und weil wir belohnt werden wollen, würden wir immer wieder auf unser Telefon schauen. Das Design der Apps und Geräte, die wir den ganzen Tag nutzen, sei darauf ausgerichtet, uns so lange wie möglich in diesem Teufelskreis zu halten. Kein Wunder also, dass ständig Notifications auf meinem Telefon aufploppen.

Die zweite Person, Kati Krause, ist Journalistin. Sie erzählte mir, dass sie während ihrer Depression aus sozialen Medien ausgestiegen sei, alle Social-Media-Apps von ihrem Handy gelöscht und Filter für Facebook und Instagram eingestellt habe. Nach zehn Minuten pro Tag sperrt ihr Computer die Seiten. Sobald sie Social Media aus ihrem Alltag verbannt hatte, habe sich ihr Leben schlagartig verbessert, sagte sie mir, "weil dieser Teufelskreis, der sich extrem schädlich angefühlt hat, weg war". Und sie wiederholte einen Satz ihrer Therapeutin, der mir - wie unser gesamtes Gespräch - bis heute im Gedächtnis geblieben ist: "Wer depressiv ist, ist wahnsinnig stressanfällig und ständige Erreichbarkeit ist ein Stressfaktor."

Der halbe Freundeskreis will weniger am Handy hängen

Also nahm ich mir Krause zum Vorbild, und warf Facebook auch von meinem Handy - eine der besten Entscheidungen des Jahres. Denn genau dieses Stressgefühl, von dem Krause sprach, kannte ich auch. Und jede neue Notification erinnerte mich daran.

Ich bin nicht die Einzige, der es so geht. Auch in meinem Freundeskreis stören sich einige Leute am Benachrichtigungswahn: Eine Freundin stellt immer wieder für Stunden oder sogar Tage den Internetzugang ihres Smartphones aus. Wer sie dann erreichen will, muss anrufen oder eine SMS schicken. Eine Bekannte deaktiviert regelmäßig ihren Facebook-Account, um ein wenig Abstand von allem zu bekommen. Ein Freund, dessen Bildschirm immer überquoll vor Notifications, hat vor kurzem Facebook gelöscht und seine Twitter-Benachrichtigungen ausgestellt. Er sagt, er fühlt sich seitdem viel freier.

Der nächste Schritt: Ein richtiger Wecker?

Dass mein Handy jetzt seltener klingelt, fühlt sich gut an. Ich nehme es nicht mehr so viel in die Hand und nutze Facebook, Twitter und Instagram deutlich weniger. Stattdessen arbeite ich konzentrierter. Ich habe mehr Zeit zum Nachdenken, und - Achtung, Klischee - ich lese mehr. Aber selbst jetzt ploppen noch zu viele unnötige Benachrichtigungen auf meinem Telefon auf.

Deshalb hoffe ich weiterhin darauf, dass Notifications endlich besser und schlauer werden und ich nur noch das angezeigt bekomme, was mich zu diesem Zeitpunkt interessiert. Bis das passiert, versuche ich mich unabhängiger von meinem Telefon zu machen: ich benutze Apps, die mir Benachrichtigungen vom Hals halten, schalte das Telefon nachts in den Do-not-disturb-Modus und denke sogar darüber nach, mir wieder einen richtigen Wecker zu kaufen. Denn wer will morgens schon als Erstes alle verpassten Benachrichtigungen sehen?

Apps und Dienste, die gegen den Notifications-Wahn helfen

  • Mit Offtime kann der Zugriff auf ausgewählte Apps für einen bestimmten Zeitraum beschränkt werden. Auch die Personen, deren Anrufe durchgestellt werden, können festgelegt werden. Statistiken zeigen, wie lange man trotzdem am Handy hängt - und wie viele Benachrichtigungen dank der App nicht aufgeploppt sind. Erhältlich für Android und in einer Light-Version für iOS. Die Schlaf- und Meeting-Funktionen der App Agent für Android bieten ähnliche Vorteile.
  • Die Browser-Extention Stay Focusd ermöglicht es, entweder alle oder nur bestimmte Webseiten für eine gewisse Zeit zu blockieren. Dabei gibt es zwei Varianten: für einen gewählten Zeitraum den Zugang begrenzen (etwa eine Stunde lang gar kein Internet oder kein Facebook) oder eine tägliche Obergrenze einstellen (etwa maximal zehn Minuten pro Tag auf Facebook). Erhältlich für Chrome. Self Control für den Mac und Freedom für iOS, Mac und Windows funktionieren ähnlich.
  • Die meisten Smartphones lassen sich in den Do-not-disturb-Modus versetzen. Das bedeutet, dass für eine gewisse Zeit das Telefon auf stumm geschaltet wird und etwa nur Anrufe von ausgewählten Personen durchgelassen werden. Hier gibt es mehr Informationen dazu für Apple-Nutzer und Besitzer von Android-Smartphones.

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