Süddeutsche Zeitung

Smart Home "Apartimentum":Diese Baustelle ist ein Intelligenztest

  • Xing-Gründer Lars Hinrichs baut in Hamburg einen Altbau zum vernetzten Haus um.
  • Das "Apartimentum" bietet Mietern jede Menge technischen Schnickschnack: vom intelligenten Kühlschrank bis zur sich selbst befüllenden Badewanne.
  • Hinrichs' Zielgruppe: Topverdiener, die nicht lange bleiben wollen.

Von Angela Gruber, Hamburg

Einen Schlüssel braucht Lars Hinrichs nicht. Sein Haus hat noch keine Türen. Hinter der eingerüsteten Gründerzeitfassade ist alles noch Baustelle. Und auch wenn Hinrichs' Bauprojekt fertig ist, sollen seine Mieter nicht nach dem Schlüsselbund kramen müssen. Ihre Smartphones werden der Tür über Bluetooth Low Energy sagen, dass sie jetzt aufgehen soll. Besucher melden sich per Touchscreen an. "Klingeln mit Knöpfen, das machen wir nicht", sagt Hinrichs, als er unter unverputztem Backstein über die Türschwelle tritt.

Hinrichs baut hier im Hamburger Viertel Rotherbaum am wohl ambitioniertesten Smart Home Deutschlands. "Apartimentum" hat er sein Projekt eines vernetzten Hauses genannt. In den Altbau von 1907 will er alles packen, was es im Jahr 2015 für ein ans Internet angeschlossenes Zuhause zu kaufen gibt, vom intelligenten Briefkasten bis zur ferngesteuerten Badewanne - und nebenbei gleich noch das "Produkt Miete", wie er es nennt, neu erfinden.

Hinrichs hat als Gründer des Karriereportals Xing viel Geld gemacht, eine Immobilie schien ihm eine gute Wertanlage. Vor fünf Jahren kaufte er den Bau, wollte ein bisschen sanieren und dann vermieten. Dann kam der Hamburger Denkmalschutz ins Spiel. Ohne den gäbe es das "Apartimentum" wohl nicht. Seinetwegen verstrickte sich Hinrichs in eine lange Auseinandersetzung, Bewahrer gegen Erneuerer. Später gab es Ärger mit dem Restaurant nebenan, einem bei Promis beliebten Italiener. "Das Zweitschlimmste für einen Bauherren nach dem Denkmalschutz sind die Nachbarn", sagt Hinrichs über den Streit, der vor Gericht in einem Vergleich endete. Er zahlte und konnte weiterbauen.

In den vier Jahren des Hin und Hers kam aber der Unternehmer durch: Hinrichs fasste den Entschluss, auch als Immobilienbesitzer größer zu denken und die Vernetzung zum Geschäftsmodell zu erheben. "Wenn eine Wohnung zwei Informationen hat, kann sie schon intelligent sein: Sie muss wissen, wie viel Uhr es ist und ob jemand daheim ist." Mit diesen Daten können sich zum Beispiel Heizung und Licht automatisch einstellen und timen lassen, um Energie zu sparen. In Hinrichs Projektplänen sind das aber nur Kinkerlitzchen.

Google Nest überwacht das Treppenhaus

Im Eingangsbereich mit den fast vier Meter hohen Decken zeigt Hinrichs auf eine Betonwand. Dort sollen bald vernetzte Briefkästen melden, dass Post gekommen ist. Daneben will Hinrichs für Bestellungen eine DHL-Packstation anbringen lassen. Bald soll es auch eine Kühlfunktion geben, für Lebensmittellieferungen, die Bewohner im Netz bestellen. Beim Einzug bekommen Mieter eine Liste mit Anwendungen, die sie sich zulegen sollten, um ihr Haus zu kontrollieren. "Für die Hersteller ist mein Projekt die Chance, endlich einmal zu zeigen, was vernetztes Wohnen eigentlich bedeuten könnte", sagt Hinrichs.

Kameras des Herstellers Google Nest überwachen die Gänge und das Treppenhaus, ein LED-Lichtband an der Treppe soll die Bewohner zu ihren Wohnungen geleiten. Wer nicht über die Treppe laufen will, kann per App den Fahrstuhl rufen. Der Fahrstuhl ist aber noch nicht eingebaut. Also Treppe.

Für all die Technik, die Hinrichs in das alte Gemäuer bringt, gibt es in jeder der 20 Wohnungen einen kleinen Technikraum. Die Wände in einem solchen Raum im ersten Stock sind gerade noch über und über mit Kabeln bedeckt. Neben dem dicken Stromkabel rollt sich ein gelbes Ethernet-Kabel von der Wand, und auch Glasfaserkabel sind bis in die Wohnungen verlegt. "Ein Internetanschluss ist heute genauso wichtig wie Strom und Wasser", findet Hinrichs.

In den Wohnungen können Mieter sich per App die Badewanne ferngesteuert einlaufen lassen und per Bluetooth unter Wasser Musik hören. Die Dunstabzugshaube kommuniziert mit dem Herd, der Kühlschrank führt eine Liste mit seinem Inhalt und den Haltbarkeitsdaten. Was viele bisher nur von Elektronikmessen kennen, bei Hinrichs ist es im Einsatz. Der Flatscreen gehört zur Standardausstattung, genau wie schnelles LTE-Internet. Sonst noch was? "In der Tiefgarage haben wir eine der größten Elektrotankstellen Deutschlands," sagt Hinrichs.

Alle Hightech-Einrichtungsgegenstände sind in der Miete inbegriffen wie klassische Nebenkosten. "Flatrate Wohnen" nennt Hinrichs sein Konzept. Warum soll es das, was er aus dem Internet kennt, nicht auch auf dem Mietmarkt geben? "Als Mieter zieht man heute in leere Wohnungen, in denen eine Glühbirne von der Decke hängt und muss sich um Strom, Wasser, Internet selbst kümmern", so Hinrichs. Viel zu kompliziert für den Kundenkreis, der ihm vorschwebt. Hinrichs will ihnen "Kubikmeter Lebensqualität" verkaufen, ein schlüsselfertiges Wohnerlebnis. "Jeder, der ein Smartphone bedienen kann, ist für mich ein geeigneter Mieter."

Wie viele Wohnungen vermietet sind, sagt Hinrichs nicht

Geld sollte dieser Mieter viel haben. Hinrichs zielt auf Topverdiener, die mal hier, mal dort anheuern. Sie können sich zwischen sechs Monaten und vier Jahren im "Apartimentum" einmieten. An den Baugerüsten draußen hängen Werbebanner. "Sofort kochen", "Sofort baden", "Sofort frei sein", steht darauf. Für die Maisonettewohnung mit Dachterrasse veranschlagt Hinrichs knapp 10 000 Euro in der Flatrate.

Um diesen Preis zu zahlen, muss man wohl genauso viel Technikliebe wie Hinrichs mitbringen. Er hat als Mieter Menschen vor Augen, die genau so sind wie er, die seine Begeisterung für technischen Fortschritt teilen und sich das etwas kosten lassen. Ob es davon in Hamburg genügend gibt, muss sich erst noch zeigen. Studien wie jene von Deloitte haben zwar gezeigt, dass die Deutschen dem vernetzten Zuhause prinzipiell offen gegenüberstehen. Sie haben aber auch noch Vorbehalte hinsichtlich des tatsächlichen Nutzens und der Komplexität der Anwendungen. Nicht jeder fühlt sich wohl bei dem Gedanken, dass sein Zuhause von Sensoren kontrolliert wird, üppiger Gehaltsscheck hin oder her.

Einige der Wohnungen sind schon vermietet. Wie viele genau, sagt Hinrichs nicht. Eigentlich war als Eröffnungstermin der September angepeilt, dann der Oktober. Beide Termine ließen sich nicht halten. Die Regeln der Baubranche lassen sich nicht mal schnell per App ändern. Jetzt will er im Februar 2016 fertig sein, ein straffer Zeitplan. Ein Anbau für 25 weitere Wohnungen soll noch dieses Jahr beginnen, und wenn Hinrichs Konzept aufgeht, will er in andere Städte expandieren. Er selbst wird nicht ins "Apartimentum" ziehen, hat daheim aber auch einiges verbaut. Smart-Home-Geräte der ersten Generation, sagt er fast ein bisschen entschuldigend.

Das "Apartimentum" ist eine durchdesignte Luxusimmobilie. Aber die Technik, die Hinrichs implantieren lässt, wird auch den Massenmarkt erobern, glaubt er zumindest. "Wir haben bei Smart-Home-Anwendungen einen starken Preisverfall, alles wird immer günstiger. Wer einmal eine smarte Haustür hatte, will nie wieder zurück zum Schlüsselbund." Wie sicher aber sind alle die Daten der Bewohner? Wenn Nutzer endlich lernen würden, sichere Passwörter zu vergeben, sei die größte Gefahr gebannt, sagt Hinrichs. Die Cloud sei sicherer als lokale Home-Server.

Nur ein Mal erzählt Hinrichs, dass er sich gegen eine Technik entschieden hat: "Ein Kupferkabel für ein normales Telefon habe ich gar nicht erst verlegen lassen." Eine so rückständige Technik passe einfach nicht in sein Haus.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2684787
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/jab/dd
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.