Silicon Valley:Liebe Menschheit, es tut uns leid

Der Erfinder des Like-Buttons meidet Facebook, Apple-Chef Tim Cook hält seinen Neffen von sozialen Medien fern. Immer mehr Tech-Manager hinterfragen ihr Werk. Ein Überblick in Bildern.

Von Simon Hurtz

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Center for Humane Technology

November 15 2017 Bydgoszcz Poland A Facebook logo is seen on a smartphone in this photo illust

Quelle: imago/ZUMA Press

In seinem Song "Ten Crack Commandments" stellt Rapper Notorious B.I.G. zehn Regeln für Drogendealer auf. Tipp Nummer vier: "Never get high on your own supply!" Lass ja die Finger von dem Zeug, das du verkaufst! Diese Erkenntnis hat sich auch in der Tabakindustrie durchgesetzt. "Wir rauchen den Mist nicht, wir verkaufen ihn bloß", zitierte David Goerlitz, der zuvor als "Winston Man" Werbung für die Zigaretten der Firma gemacht hatte, einen Manager des Milliardenkonzerns R. J. Reynolds.

Es braucht kein Medizinstudium, um zu erkennen, dass Crack, Heroin und Zigaretten ungesund sind. Risiken und Nebenwirkungen von Smartphones und sozialen Medien sind weniger offensichtlich. Doch ausgerechnet im Silicon Valley regt sich Widerstand, und er wird immer stärker. Anfang des Jahres riefen etliche prominente Tech-Entwickler das Center for Humane Technology ins Leben . "Technologie nimmt unseren Verstand und die Gesellschaft in Geiselhaft", warnen die Gründer. Sie wollen Nutzern helfen, moderne Technik zu verwenden, ohne zu Sklaven ihrer Geräte zu werden.

Tatsächlich beherzigen viele führende Köpfe der Branche den Rat von Notorious B.I.G. Das dank Digitalem reich gewordene Silicon Valley lebt privat erstaunlich analog. Bereits vor Jahren begannen hochrangige Tech-Mitarbeiter, ihre Kinder auf Waldorf-Schulen zu schicken, an denen es keine Computer gibt. Vielleicht wissen sie es besser als die Menschen, die ihre Apps nutzen.

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Kevin Systrom

Kevin Systrom, CEO von Instagram

Quelle: AP

Ganz auf der Seite der reuigen Sünder ist Instagram-Co-Founder Kevin Systrom noch nicht angekommen. In einem Interview mit dem Tech-Portal "The Information" ließ er allerdings durchblicken, dass er mit der ein oder anderen aktuellen Entscheidung seines ehemaligen Unternehmens nicht ganz glücklich ist. Seine Branche sei immer in Versuchung, den Leuten mit mehr Werbung oder mehr Benachrichtigungen auf den Geist zu gehen, um mehr Geld zu verdienen. Er halte das allerdings für "grundsätzlich ungesund", sagte Systrom.

Systrom und sein Co-Gründer Mike Krieger hatten dem Instagram-Mutterkonzern Facebook Ende September überraschend verlassen. Berichten zufolge sollen Differenzen mit Facebook-CEO Zuckerberg zum Ausstieg der beiden geführt haben.

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Tristan Harris

Bill Maher, Tristan Harris

Quelle: Janet Van Ham / AP Photo

Wenn das Silicon Valley überhaupt ein Gewissen habe, dann sei das Tristan Harris (rechts im Bild), schrieb der Atlantic über den früheren Google-Angestellten. 2013 schickte Harris zehn Kollegen bei Google eine Präsentation mit 144 Folien: "Ein Aufruf, Ablenkung zu vermeiden und die Aufmerksamkeit der Nutzer zu respektieren" Der Appell zog Kreise, und Google-Chef Larry Page beförderte den Produkt-Manager Harris zum "Produkt-Philosophen".

Zwei Jahre später war der Aufruf vergessen, und nichts hatte sich geändert. Harris kündigte und setzte sich ein großes Ziel: dem Silicon Valley Moral beibringen. Er gründete die Organisation Time Well Spent und später das Center for Human Technology, um Unternehmen zu überzeugen, Apps zu entwickeln, die nicht ständig um die Wette blinken, vibrieren und klingeln.

Harris spart nicht an drastischen Vergleichen: Moderne Technologien seien genauso gefährlich wie Zigaretten, ein Smartphone mit Facebook, Youtube und Snapchat löse eine "Erosion menschlichen Denkens" aus. Die Abhängigkeit der Nutzer von ihren Geräten und Apps sei das "drängendste Problem der Gegenwart", das zwischenmenschliche Beziehungen und sogar die Demokratie schädige.

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Sean Parker

Sean Parker

Quelle: Jordan Strauss / AP

Sean Parker ist dank Facebook reich geworden. Seine Anteile haben dem Gründungspräsidenten des Unternehmens Milliarden eingebracht. Heute bezeichnet er sich selbst als "gewissenhaften Verweigerer" sozialer Medien. Längst hat Parker die Firma verlassen und warnt vor Facebook. "Nur Gott weiß, was es mit den Hirnen unserer Kinder anstellt", sagte er im vergangenen Herbst.

Facebook und Instagram nutzten die Verletzlichkeit der menschlichen Psyche gezielt aus. Mark Zuckerberg und Instagram-Chef Kevin Systrom wüssten genau, wie sie Nutzer abhängig machen könnten. Die Entwickler der Netzwerke fragten sich Parker zufolge: "Wie bringen wir sie dazu, so viel Zeit und Aufmerksamkeit wie möglich zu investieren?"

Am Ende der Veranstaltung sagte Parker, dass Zuckerberg seinen Facebook-Account vermutlich sperren werde. Die Sorge war unbegründet. Besonders aktiv nutzt Parker Facebook aber ohnehin nicht: In den vergangenen zwölf Monaten hat er lediglich fünf öffentlich Beiträge abgesetzt.

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Justin Rosenstein

Justin Rosenstein

Quelle: AFP

Justin Rosenstein nutzt Apps, die seinen Zugang zu Reddit und Facebook begrenzen, vergleicht Snapchat mit Heroin und hat auf seinem iPhone eine Kindersicherung aktiviert, damit er keine neuen Apps installieren kann. Das sehnsüchtige Warten auf Facebook-Likes nennt er ein "Pseudo-Vergnügen", ebenso oberflächlich wie verführerisch.

Das ist bemerkenswert, denn Rosenstein hat den Like-Button 2007 miterfunden. "Es kommt oft vor, dass Menschen mit den besten Absichten Dinge erfinden, die später negative Auswirkungen haben", sagte er dem Guardian.

Seine frühere Kollegin Leah Perlman, ebenfalls an der Entwicklung des Like-Buttons beteiligt, nutzt mittlerweile eine Browser-Erweiterung, die den Facebook-Newsfeed blockiert. Die Illustratorin beschäftigt eine Social-Media-Managerin, um ihre Comics auf Facebook zu bewerben. Sie selbst will den Newsfeed nicht mehr anschauen. Sie sagt: "Ich checke [Facebook] und fühle mich schlecht."

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Roger McNamee

Tom Farley, Roger McNamee, Douglas Silliman & Sheik Al Sabah Visit 'Opening Bell With Maria Bartiromo' On The FOX Business Network

Quelle: Rob Kim / AFP

Er sei stolz, Mark Zuckerbergs Mentor gewesen zu sein, sagt Roger McNamee. Und er steht dazu, dass er selbst zu Facebooks Aufstieg beigetragen hat. "Ich habe in Facebook und Google investiert, lange bevor sie Gewinne abgeworfen haben, und ich habe davon enorm profitiert", schrieb McNamee im vergangenen Sommer. "Ich habe Facebooks Team beraten, und ich bin entsetzt vom Schaden, den diese Internet-Monopole anrichten."

Seitdem hat sich der Risikoinvestor immer wieder öffentlich zu Wort gemeldet, um vor Facebook zu warnen. Ein Gastkommentar bei USA Today im Oktober, ein Brandbrief im Guardian im November, Anfang des Jahres ein 6000-Wörter-Essay gefolgt von einem weiteren Guardian-Gastbeitrag.

McNamee ist auf einer Mission. Facebook müsse den kurzfristigen Profit opfern, um langfristigen Schaden zu verhindern. Das Geschäftsmodell des sozialen Netzwerks, die algorithmisch befeuerte Aufmerksamkeitsökonomie gepaart mit fragwürdigen politischen Werbebotschaften mache Milliarden Nutzer krank und gefährde die Demokratie. Investoren und Nutzer könnten die Tech-Giganten gemeinsam zur Räson bringen, indem sie ihnen Geld und Aufmerksamkeit entziehen.

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Chamath Palihapitiya

Chamath Palihapitiya

Quelle: Brian Ach / AFP

Der ehemalige Facebook-Manager Chamath Palihapitiya fühlt "ungeheure Schuld", weil er mitgeholfen habe, Werkzeuge zu entwickeln, die den sozialen Zusammenhalt zerstörten. Facebooks "Dopamin-getriebene Feedback-Loops zerstören die Grundlagen unserer Gesellschaft", sagte Palihapitiya auf einer Stanford-Veranstaltung im vergangenen November.

Zwischen 2007 und 2011 war Palihapitiya bei Facebook für Nutzerwachstum zuständig. "Insgeheim ahnten wir, dass etwas Schlechtes passieren konnte", sagt Palihapitiya. Aber die aktuelle Entwicklung habe er damals nicht vorausgesehen. Das Geld, das er damals mit Facebook verdient habe, wolle er nun einsetzen, um Gutes zu tun. "Ich kann sie nicht kontrollieren", sagt er über seinen ehemaligen Arbeitgeber. "Aber ich kann meine Entscheidung kontrollieren: Ich nutze diesen Mist nicht."

Normalerweise ignoriert Facebook solche Kritik. Diese drastischen Aussagen des Ex-Angestellten erforderten jedoch eine Reaktion. "Als Chamath bei Facebook arbeitete, waren wir ein komplett anderes Unternehmen", sagte ein Sprecher. "Je weiter wir gewachsen sind, desto deutlicher haben wir gemerkt, dass auch unsere Verantwortung wächst. Wir nehmen unsere Aufgabe sehr ernst und arbeiten hart daran, uns zu verbessern."

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Die Schöpfer des iPhone

Tim Cook Steve Jobs Apple

Quelle: Marcio Jose Sanchez / AP

Bücher, Comics, Radio, Fernsehen: Jede neue Technologie versetzt Eltern in Sorge um ihre Kinder. Das Muster wiederholt sich bei Smartphones und Tablets und macht auch vor denjenigen nicht halt, die diese Produkte erfunden haben. 2010 wollte ein New-York-Times-Journalist wissen, ob Steve Jobs' Kinder das iPad liebten. Der damalige Apple Chef antwortete: "Sie haben es noch nicht benutzt. Wir begrenzen die Zeit, die unsere Kinder zuhause mit Technologie verbringen." Seine jüngsten Töchter waren bereits im Teenager-Alter.

Jobs' Nachfolger Tim Cook (klein im Bild vor dem Antlitz des verstorbenen Steve Jobs) hat keine eigenen Kinder, aber einen Neffen. "Ich lege ihm Grenzen auf", sagte Cook im Januar, als er ein britisches College besuchte. "Es gibt einige Dinge, die ich ihm nicht erlauben werde. Ich will nicht, dass er soziale Netzwerke nutzt." Im März 2015 war Cooks Neffe zehn Jahre alt. Zum Zeitpunkt von Cooks Aussagen müsste er also zwölf oder 13 gewesen sein.

Im Gegensatz zu Cook hat Tony Fadell Apple längst verlassen. Er gilt als Erfinder des iPod und hat auch maßgeblich zur Entwicklung des iPhone beigetragen. Heute sieht er sein Werk kritisch. Der kalte Schweiß breche ihm aus, wenn er darüber nachdenke, was er und seine Kollegen da in die Welt gesetzt hätten, sagte Fadell im Juli.

Noch deutlicher wurde er Anfang des Jahres. Kurz zuvor hatten zwei wichtige Apple-Investoren das Unternehmen aufgefordert, insbesondere Kinder besser vor den angeblich schädlichen Auswirkungen von Smartphones zu schützen. In einer Serie aus zehn Tweets schloss sich Fadell dem Appell an. "Apple Watches, Google Phones, Facebook, Twitter - sie haben es perfektioniert, uns noch einen Klick abzuringen, noch einen Dopamin-Kick", schrieb er. Jetzt liege es in ihrer Verantwortung, uns zu helfen, unsere "digitalen Süchte" in den Griff zu bekommen.

© SZ.de/jab
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