Mit ihrer Standardstrategie des moving fast and breaking things - sich also schnell zu bewegen und Dinge kaputt zu machen, wie Mark Zuckerberg es einmal anschaulich formulierte, werden sie in der Werbung nichts Schlimmes anrichten. In anderen Bereichen könnte eine solche Strategie jedoch tödlich sein. Der spektakuläre Niedergang von Theranos, einem der Top-Start-ups im Medizinsektor, das einst auf neun Milliarden Dollar geschätzt wurde, zeigt, dass die Verheißung von Neuerungen nicht notwendigerweise zu tatsächlichen Neuerungen führt.
Das Transportwesen ist möglicherweise ein Bereich, in dem sich die Technikbranche noch behaupten könnte - hauptsächlich, weil sie nun festgestellt hat, dass die Datenschätze, die sie besitzt, für die Entwicklung von autonomen Fahrzeugen genutzt werden können. Auch hier schließen die Technikunternehmen Allianzen mit etablierten Größen. Sogar Google, das hier führend ist, hat sich mit Fiat Chrysler zusammengetan, um selbstfahrende Minivans zu entwickeln.
Größen der Automobilindustrie investieren momentan enorm in künstliche Intelligenz. Ein Beispiel ist die Ankündigung von Toyota, in den nächsten fünf Jahren eine Milliarde Dollar in selbstfahrende Autos zu investieren. Die deutschen Autohersteller haben ein paar Jahre hinter dem Lenkrad verschlafen, aber nun die Wichtigkeit von Daten und Zusammenschlüssen erkannt - und die Überreste des Landkartenzweigs von Nokia gekauft.
So oft wie das Silicon Valley trotz gegenteiliger Versprechungen daran gescheitert ist, eine Branche zu sprengen, ist es ziemlich verwunderlich, warum es immer noch die Aura der Revolution für sich reklamiert. Die Nest Labs von Google mögen zwar als Revolution im Bereich des "Smart Living" angekündigt worden sein, aber schickes Design und eine datenintensive Ausstattung konnten die Verbraucher bislang nicht überzeugen.
Technikfirmen als Einfallstore
Wenn jedoch das Narrativ von der Sprengung des alten Kapitalismus nicht mehr haltbar ist, werden die Firmen im Silicon Valley sich mit einer unangenehmen Wahrheit konfrontiert sehen: Anstatt eine neue Form des Kapitalismus zu schaffen, die keine riesigen, verschwenderischen und hierarchisch strukturierten Firmen mehr kennt, könnten gerade sie es am Ende sein, die jenen alten Kapitalismus, den sie angeblich so verachten, widerstandsfähiger, dynamischer und - welche Ironie! - unzerstörbar zu machen.
Technikfirmen sind die Einfallstore, durch die der alte Kapitalismus zu jenen Bereichen unseres Lebens vordringen kann, die bisher aus ethischen und politischen Gründen tabu waren. Wir mögen uns davor scheuen, Sensoren von Pfizer oder GSK zu schlucken, aber wenn wir sie von Google kostenlos bekommen - warum nicht? Indem der Kapitalismus zur Informationstechnologie wird, vermag er sich zu entpolitisieren, da er jede Opposition gegen sich als Widerstand gegen Wissenschaft und Technologie darstellt.
Im besten Falle sind Technikunternehmer nur rationale Zyniker, die Geld verdienen wollen, egal, wie es dem Rest der Welt geht. Im schlimmsten Falle sind sie jedoch funktionale Idioten, die wirklich davon überzeugt sind, dass sie fest verwurzelte Machtstrukturen unterlaufen und dem Einzelnen mehr Macht geben. Das mag ein erhebender Glaube sein, an den man sich klammern kann - doch genau diese Machtstrukturen haben leider andere Pläne.
Evgeny Morozov gilt als einer der schärfsten Kritiker des Silicon Valley. Sein Buch "The Net Delusion" war ein internationaler Bestseller. Derzeit forscht er an der Harvard University. Aus dem Englischen von Sofia Glasl.