Sicherheitstechnik:Wie Apps gegen das Angstgefühl helfen

General Views of the Medieval Italian Town of Perugia

Eine dunkle Straße in der italienischen Stadt Perugia.

(Foto: Oli Scarff/Getty Images)

Wer nicht allein unterwegs sein möchte, kann sich digital begleiten lassen. Spezielle Apps erfassen den Standort und setzen bei Bedarf einen Notruf ab.

Von Katharina Kutsche

Schlecht ausgeleuchteter Fußweg, Rascheln im Gebüsch, keine Menschenseele zu sehen - das sind die Momente, in denen es einem abends beim Joggen oder nachts auf dem Heimweg schon mal mulmig werden kann. An dieser Stelle setzen Begleit-Apps an. Sie geben Nutzern das Gefühl, nicht allein auf weiter Flur zu sein. Einmal gestartet, registrieren sie die Geo-Daten eines Smartphones, während dessen Besitzer auf dem Weg nach Hause ist. Sollte er oder sie dabei wirklich in Gefahr geraten, kann die Position an die Polizei übermittelt werden.

Der größte Anbieter solch einer Begleit-App ist der Versicherungskonzern Axa, seine Anwendung heißt Wayguard. Registrierte Nutzer bitten entweder einen ebenfalls registrierten Kontakt, Freunde, Bekannte, Familienangehörige, mit ihnen virtuell nach Hause zu gehen. Der Begleiter sieht dann den Standort im Verlauf, beide können miteinander chatten und telefonieren. Oder man lässt sich vom Wayguard-Team begleiten. Die Mitarbeiter sitzen in der Leitstelle des Versicherers und sind rund um die Uhr erreichbar. Neben dem Axa-Produkt gibt es noch Komm Gut Heim, Vivatar und My Bodyguards. Was allerdings für sie alle gilt: Ist der Handyakku platt, das Datenvolumen verbraucht oder die Netzabdeckung schlecht, nutzen die Apps nichts.

Meist wird das Angebot nachts und am Wochenende genutzt - vor allem von Frauen

Axa möchte mit der App auch im Alltag als Sicherheitspartner wahrgenommen werden, heißt es im Konzern. Seit Oktober 2016 ist die Anwendung auf dem Markt, die Idee dazu war schon ein Jahr zuvor entstanden, betont Albert Dahmen, Leiter der Axa-Innovationseinheit und Mitentwickler der App: Wayguard sei keine Reaktion auf die Silvesternacht 2015/2016, in der zahlreiche Frauen auf dem Bahnhofsvorplatz und der Domplatte in Köln sexuell belästigt, genötigt und bestohlen wurden. Aktuell sind bei Wayguard rund 200 000 Menschen registriert, die Mehrzahl ist zwischen 18 und 35 Jahre alt und weiblich, immerhin 20 Prozent sind Männer.

Am intensivsten wird das Angebot von Freitag bis Sonntag zwischen 17 Uhr und 2 Uhr morgens genutzt, eher zur Party- und Nachtzeit also. Dabei ist nicht die Dunkelheit das Problem, "sondern das, was sie verbergen könnte", sagt die Hamburger Psychologin Alissa von Malachowski: zwielichtige Gestalten, potenzielle Angreifer, aber auch ein Loch im Boden oder ein Tier. Angst vor solchen Gefahren ist nichts Schlechtes, sie schärft evolutionsbedingt unsere Sinne. Sie ist aber belastend und negativ, "wenn sie ins Übermäßige schlägt, das klare Denken hemmt", so Malachowski. Wenn eine Begleit-App ihrer Nutzerin so viel Sicherheit vermittelt, dass sie sich weniger belastet fühlt, ist viel erreicht.

Gefahren entstehen natürlich nicht nur nachts. 2017 wurde der Fall einer 17-Jährigen aus Bayreuth bekannt, die im Ostsee-Urlaub bei einem Spaziergang zwar noch merkte, dass sie das Bewusstsein verlor, aber nicht mehr selbst Hilfe holen konnte. Sie schaffte es jedoch, über den Wayguard den Notruf zu aktivieren. Mithilfe der Geo-Daten fanden Rettungskräfte die junge Frau in einem Waldstück, die sich danach in einem Krankenhaus erholte.

Doch trotz der Notruf-Funktion, für die es auch viele andere Apps gibt, zeigen die Erfahrungen, dass die Nutzer vor allem nicht allein sein wollen. "Die Hauptmotivation für Wayguard ist nicht der Notruf, sondern das Bedürfnis von Menschen, sich begleiten zu lassen", sagt Dahmen. Ungefähr 20 000 Begleitungen macht sein Team im Monat. Doch in den zwei Jahren, in denen die App auf dem Markt ist, gingen nur 1000 Notrufe ein. Und dabei handelte es sich etwa zur Hälfte um Testnotrufe, mit denen sich Nutzer vergewissern wollen, dass die Funktion arbeitet wie versprochen. "Rund 200 Notrufe mussten wir bisher aufgrund der Gefahrenlage von der Leitstelle an die Polizei weitergeben", so Dahmen. Ein Feedback bekommen die Mitarbeiter danach nicht, sie erfahren eher, wie im Fall der Bayreutherin, aus Zeitungsveröffentlichungen und Kommentaren auf ihrer Facebook-Seite, ob sie helfen konnten.

Wayguard enthält zusätzlich Verhaltenshinweise, die in einer Kooperation mit dem Polizeipräsidium Köln erarbeitet wurden. "Wir haben das als Plattform gesehen, unsere Präventionstipps an die Frau und den Mann zu bringen", sagt Nina Bockheiser. Die Kriminalhauptkommissarin aus dem Polizeipräventionsteam betont, "eine App wie Wayguard kann das Sicherheitsgefühl einer Frau stärken. Aber sie stellt keine Sicherheit her." Trotzdem: Wenn sich jemand durch die digitalen Begleiter sicher fühle, strahle sie oder er das auch aus. Das nehmen potenzielle Angreifer wahr: "Täter suchen Opfer und keine Gegner. Sie möchten möglichst ohne Gegenwehr und ohne Zeugen ans Ziel gelangen."

Axa trägt die Kosten für den Dienst und entwickelt ihn weiter. Für Menschen mit Sehbehinderungen etwa gibt es eine Voice-Over-Funktion. Außerdem zeigt die App 19 000 sogenannte Notinseln in Deutschland, eine Kooperation mit der Stiftung Hänsel + Gretel, die Anlaufstellen für Kinder in Gefahrensituationen schafft, etwa bei Einzelhändlern. Damit bedient Wayguard eine Zielgruppe, die sich nachträglich ergeben hat: Kinder, deren Eltern sie auf dem Heimweg von Schule, Sportverein oder Spielverabredung virtuell begleiten.

Zu sehr sollte sich jedoch niemand auf die digitale Begleitung verlassen, der ständige Blick aufs Smartphone lenkt schließlich auch ab. "Eine Tat bahnt sich sehr häufig in irgendeiner Form an", sagt Kriminalbeamtin Bockheiser. Daher gelte so oder so: aufmerksam bleiben, sich immer wieder umsehen. Und im Zweifel einen Umweg gehen, der besser beleuchtet und mit friedlichen Menschen belebt ist.

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