Süddeutsche Zeitung

Sicherer Datenspeicher:Die alpine Firewall

Das Schweizer Gegenstück zu Fort Knox: Wie in einem einstigen Atombunker riesige Mengen Bits und Bytes gesichert werden.

Klaus C. Koch

Für seine Erfinder ist Mount 10 so etwas wie das Schweizer Gegenstück zu Fort Knox - jenem Militärstützpunkt im US-Bundesstaat Kentucky, in dem das Schatzamt der Vereinigten Staaten von Amerika seine angeblich 147,4 Millionen Feinunzen Gold lagert. Für Flo Schweri, Geschäftsführer des Unternehmens Mount 10, berechnen sich geldwerte Leistungen freilich längst nicht mehr in Feinunzen, der Masse-Einheit für Edelmetalle, sondern in den Bits und Bytes des digitalen Informationszeitalters. Grund genug, auch Letztere sicherzustellen.

Firmen jeder Art, gleich ob Kreditinstitute oder Konzerne wie das Schweizer Bauunternehmen Implenia, sind mit von der Partie. Das Unternehmen koordiniert Projekte an 70 Standorten zwar auf eigenen Servern mit einem Speichervolumen von rund 20 Terabyte, bunkert bei Mount 10 aber die wertvollen Datenbestände und wickelt die tägliche Datensicherung online ab, anstatt eigene Back-ups anzufertigen.

Auf den ersten Blick wirken die zwei Bunkeranlagen der Schweizer Armee, die einst eingerichtet wurden, um auch einem Nuklearangriff noch standhalten zu können, wie ein Ausflug in die Vergangenheit. Vorhang auf also für eine Neuauflage des Katz- und Mausspiels des ewig Guten und des allzeit Bösen, eine Szenerie wie geschaffen für Agent 007, Dr. No und Goldfinger.

Schon seit 1996 betreibt der Mutterkonzern Siag seine unterirdischen Rechenzentren im Berner Oberland. Dort wurden zu Zeiten des Kalten Krieges für Atombunker Hunderte von Meter, vielerorts sogar Kilometer an Gängen und eindrucksvolle Kavernen in den Fels getrieben. Hier, wie auch an anderen Orten in den Schweizer Alpen, sind die Anlagen teilweise noch einsatzbereit - oder könnten zumindest innerhalb kürzerer Zeit wieder in Betrieb genommen werden.

Die Schweizer Armee hatte die Bunker aufgegeben, weil Kampfjets nicht nahe genug starten und landen konnten und sah sich so gezwungen, nach anderen Nutzungen Ausschau zu halten. Manche der Bergfestungen wurden deshalb zur Besichtigung freigegeben und dienen heute quasi touristischen Zwecken; in anderen wird Material auf Beschussfestigkeit getestet, und mitunter, wie am Grimsel, wird der Fels auch auf seine Eignung zur End- oder Zwischenlagerung von radioaktiven Substanzen geprüft.

Hoher Sicherheitsstandard

Bei Mount 10 geht es ruhiger zu, hier summen lediglich Lüftungsanlagen und leistungsfähige Server. Wo früher Waffen und Notfallausrüstungen für den Ernstfall lagerten, werden heute Daten gehortet. Klimaanlagen und eine eigene unabhängige Stromversorgung samt Notstromaggregaten sind selbstverständlich. Vorteil der einstigen militärischen Nutzung ist die hohe Resistenz gegen jede militärische und zivile Bedrohung - gegen Unwetter, Hochwasser, Erdbeben und elektromagnetische Impulse, die nach der Explosion von nuklearen Sprengsätzen elektronische Systeme lahm legen könnten. Das Wachpersonal arbeitet in drei Schichten im 24-Stunden-Betrieb und überwacht den Zutritt über eine Reihe von Schleusen. "Verschiedene Bereiche sind nur für ausgewählte Mitarbeiter zugänglich", erklärt Schweri, "sämtliche Betriebsprozesse unterliegen dem Vier-Augen Prinzip".

Großfirmen können im Schweizer Fort Knox komplette Etagen mieten und dort ihre eigenen Server betreiben. Neben reinen Datensicherungslösungen werden auch ganze Rechenzentren in den Berg verlegt. "Der physische Schutz unserer Anlagen sowie die politische Stabilität der Schweiz machen unser Angebot auch für ausländische Firmen attraktiv", erklärt Siag-Geschäftsführer Christoph Oschwald. Interessant ist allemal der Hintergrund, vor dem Mount 10 um Kundschaft wirbt.

Ein Datenklau zur Enttarnung von deutschen Steuerflüchtlingen in der Schweiz etwa, wie er bei der Treuhandgesellschaft LGT in Liechtenstein durch die Entwendung einer Bandaufzeichnung geschah, wäre in der Alpenfestung angeblich nicht möglich. Schweri führt den Fall nicht deshalb ins Feld, weil er selbst etwa Millionen hätte, die er am liebsten dem Zugriff des Fiskus entziehen möchte. Er will zeigen, dass das System, nach dem Mount 10 arbeitet, sicher ist. Denn ein Magnetband, auf dem heute noch immer in zahlreichen Unternehmen die Vorgänge des Tages gespeichert werden, um sie über Nacht nicht verloren gehen zu lassen, gibt es in diesem Bunker nicht mehr.

Auch kein leeres Band, wie es in Vaduz, dem Machtzentrum des verstorbenen Fürsten Hans Adam, ein Mann mit dem Decknamen David hinterlegte, um über den Diebstahl des Originals hinwegzutäuschen. Dafür jede Menge an Speichern in Terabyte-Größe.

Aber ist sein Konzept deshalb auch wirklich zuverlässiger? Immerhin werden bei Mount 10 die tagesaktuellen Daten via Internet übertragen. Und das gilt im Zeitalter von Hackern, selbsternannten Hütern der Gerechtigkeit und anderen Störenfrieden nicht gerade als sicher vor Fremdzugriffen.

Dass die Datenanbindung über das Internet erfolgt, könnte tatsächlich ein zentraler Schwachpunkt sein. Andererseits hat das den Betreibern aber erlaubt, ihr Geschäftsmodell zu erweitern und mittels eines automatisch arbeitenden Programms auch kleineren Unternehmen und Privatleuten die tägliche Datensicherung anzubieten. Schweri: "Bis vor wenigen Jahren waren die Übertragungsraten per Internet noch viel zu gering. Die rasante Entwicklung der jüngeren Zeit hat diese Hürde inzwischen aus der Welt geschafft".

"Das sicherste Datenzentrum Europas"

Ein als zuverlässig erachtetes Verschlüsselungsprogramm und der per Passwort gesicherte Zugang sorgen nach Auffassung der Geschäftsleitung für ausreichende Sicherheit. Ein doppelt besetztes Kontrollzentrum kontrolliert den 24-Stunden-Betrieb. Tunneleingänge und Schleusen werden per Video überwacht, zu guter Letzt gibt es noch eine aufmerksame Sichtkontrolle der Eintretenden durch das Wachpersonal. Die beiden rund zehn Kilometer voneinander entfernten Privatdatenbanken sind durch Glasfaserkabel ans Internet angeschlossen, wie auch untereinander verbunden.

Die gesamte Anlage lässt sich verstehen als alpine Firewall, die auch dazu dienen könnte, Daten vor international agierenden Ermittlern zu schützen. Die könnten darauf dringen, dass steuerrelevante Informationen bei Verdacht auf Hinterziehung auch ausländischen Fahndern zugänglich gemacht werden. Und so ist es wohl kaum ein Zufall, dass Mount 10 darauf hinweist, dass ein eigenes Back-up, also eigene Bandaufzeichnungen am Standort der betreuten Firmen, nicht mehr erforderlich sind.

Wer sich dennoch Zugriff verschaffen wollte, müsste erst noch die Bergfestung an sich überwinden, die so gut gesichert ist, wie es einst die Schweizer Armee für notwendig hielt, um Eindringlingen von draußen das Leben so schwer wie nur irgend möglich zu machen.

Obendrein gehören Diskretion und Privatsphäre zu den wichtigsten Geschäftsgrundlagen der Arbeit von Mount 10. Und so hält sich die Bescheidenheit von Geschäftsführer Christoph Oschwald dann auch in engen Grenzen: "Wir gelten als das sicherste Datenzentrum in Europa".

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Quelle:
SZ vom 22.11.2010/mri
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