Süddeutsche Zeitung

Sensible Daten:Nur Snowden macht noch Mut

In den Münchner Kammerspielen streiten Whistleblower mit Journalisten, Aktivisten warnen vor Überwachung, und "Ed" Snowden erweist sich als Charismatiker.

Von Jörg Häntzschel

Als die Münchner Kammerspiele vor Monaten beschlossen, eine Konferenz zum Thema Überwachung zu veranstalten, waren die Kuratoren, der Journalist Tobi Müller und Sarah Harrison von Wikileaks, etwas unsicher. Wie könnten sie dem Thema, über das seit Edward Snowdens Enthüllungen vor vier Jahren unablässig diskutiert wird, neue Dringlichkeit geben? Sie hofften auf die Mittel der Künste. "Damit können wir hoffentlich ein ganz anderes Publikum erreichen, es anders berühren", so Harrison, die nach Julian Assange der wichtigste Kopf von Wikileaks ist und half, Snowden aus Hongkong nach Moskau zu bringen (siehe Interview).

Harrison und Müller wussten damals nicht, in welche historische Konstellation ihre Konferenz fallen würde. In den letzten Tagen im Amt hatte Barack Obama die Haftzeit der Whistleblowerin Chelsea Manning von 35 auf sieben Jahre verkürzt, sie kommt im Mai aus dem Gefängnis; kurz zuvor wurden die Befugnisse des Auslandsgeheimdienstes NSA erweitert; Russland verlängerte die Aufenthaltserlaubnis von Edward Snowden; und zwei Stunden vor Beginn der Konferenz wurde Donald Trump als neuer Präsident vereidigt, was - so glauben zumindest viele - nur möglich war, weil Wikileaks vor der Wahl interne Dokumente des Nationalkomitees der Demokraten (DNC) veröffentlicht hatte.

Trump hatte Wikileaks dafür gefeiert und war dann auf einen Kreuzzug gegen die US-Geheimdienste gegangen, denen er vorwarf, sie stünden hinter einem ebenfalls kurz vor der Wahl veröffentlichten Dossier über seine angeblichen Kontakte nach Russland.

Die Situation ist undurchsichtig

Es war also mehr zusammengekommen, als man eigentlich an einem Wochenende behandeln konnte. Die künstlerischen "Interventionen" erwiesen sich denn auch als entbehrlich. Man fand sich in den Kammerspielen mitten in einer Debatte wieder, deren Frontverläufe, Gewichte und ideologische Tektonik sich gerade auf schwindelerregende Weise verschieben.

Sogar die Werbeflyer wurden noch einmal angepasst. Angesichts der Kontroverse um die Rolle von Wikileaks bei den Wahlen ließen die Kammerspiele und die Mitveranstalter Goethe-Institut und Bundeszentrale für Politische Bildung den Hinweis auf Wikileaks hinter Sarah Harrisons Namen verschwinden und erklärten, sie habe die Konferenz als Privatperson kuratiert.

Wie undurchsichtig die Situation ist, wurde am offenkundigsten bei dem Streitgespräch zwischen Sarah Harrison, dem französischen Philosophen Geoffroy de Lagasnerie und Frederik Obermaier, einem der beiden SZ-Journalisten hinter der Veröffentlichung der Panama Papers. Harrison und de Lagasnerie griffen unter Beifall des Publikums den Journalisten als "gatekeeper" an und bezichtigten ihn der "Zensur", weil die SZ die ihr zugespielten Dokumente erst nach einjähriger Prüfung veröffentlicht hatte, und dann nur die Teile, die im öffentlichen Interesse waren.

De Lagasnerie bezeichnete sich als linksradikal, doch seine Attacken gegen das Establishment waren vom Sound der Rechtspopulisten ebenso wenig zu unterscheiden wie von den Transparenzparolen in Dave Eggers' Daten-Dystopie "The Circle". Die Kategorie "öffentliches Interesse", so der Philosoph, sei ein falsches Konstrukt. Wie solle der Journalist darüber entscheiden? Ohnehin sei nichts geheim, alles öffentlich, die Frage sei nur, wie öffentlich. Wenn immer der Öffentlichkeit etwas vorenthalten werde, versage die Demokratie.

Dass Geheimnisse auch in dieser ihren Platz hätten, so Obermaier, wischte de Lagasnerie weg. Es habe nur noch nie ein Staat den Mut gehabt zu totaler Transparenz. In glühenden Worten verteidigte er darum auch die DNC-Leaks. Dass Trump ein "Schwein" sei, ändere nichts daran, dass es richtig war, gegen Clinton zu kämpfen.

Der Moderator ließ aus diesem hochtrabenden Diskurs dann listig die Luft heraus. Als Harrison seine Fragen nach dem Zustand von Wikileaks abblockte, konterte er: "Sie arbeiten für Transparenz, wollen aber selbst intransparent bleiben?" - "Wir arbeiten für die Machtlosen, deshalb bleiben wir lieber anonym", entgegnete sie.

Schwellenländer geben ganze Städte in die Hände von Technologiekonzernen

Weniger hitzig ging es auf den anderen Panels zu. Aktivisten von Tactical Tech und Black Lives Matter stellten ihre Methoden der "Gegenüberwachung" vor. Eva Blum-Dumontet von Privacy International berichtete von der Lage in Ländern wie Indien, wo im Zuge des "National Identity Project" die gesamte Bevölkerung biometrisch erfasst werden soll, oder in Nigeria, wo man ein ähnliches Projekt an die Firma Mastercard outgesourct hat.

Yvonne Hofstetter und Evgeny Morozov diskutierten, wie in Schwellenländern ganze Städte in die Hände von Technologiekonzernen gegeben werden, die daraus nicht nur Smart Cities machen, sondern Profitmaschinen auf Kosten der Bürger, ein Trend, der sich nun auch im Westen durchsetze. Vergeblich versuchte Hofstetter, Morozov auf die Menschenwürde hinzuweisen, die zumindest in Deutschland noch geschützt sei. Oder war sie da etwas zu blauäugig?

Nur Edward Snowden wirkt abgeklärt

Keine Illusionen machten sich Wolfgang Kaleck, der deutsche Anwalt Snowdens, und sein Kollege Ben Wizner von der American Civil Liberties Union. Wir müssten uns klar darüber werden, in welcher Situation wir lebten: "Es ist, als hätten Sie Kameras in Ihrem Schlafzimmer, als würde den ganzen Tag jemand jeden Ihrer Schritte verfolgen", so Wizner. Und wir müssten uns wie erwachsene Menschen mit unserer irrationalen Angst vor der statistisch gegen null tendierenden Gefahr des Terrorismus beschäftigen. "Wie viel Sicherheit wollen wir eigentlich noch?"

Völlig abgeklärt wirkte hier nur Edward Snowden, der per Video zugeschaltet war. Er ist vom Geek zum Charismatiker geworden. Er wirkt wie ein Heiliger und redet auch so, obwohl ihn alle "Ed" nennen, und obwohl er grinst, als sei ihm ein wenig peinlich, dass ihn alle zum Freund haben wollen. Anders als viele vor ihm dankt gerade er Obama für die vorzeitige Freilassung von Manning: "Auch mächtige Menschen machen Fehler."

Als Einziger erinnert er daran, dass Überwachung nicht die Mehrheit, sondern die Minderheit bedroht: "Wir müssen die Rechte aller verteidigen, auch derer, die wir nicht mögen. Rechte sind für die, die anders sind. Eines Tages könnten wir das sein." Und nicht ohne Pathos ruft er alle im Kampf gegen die Überwachung zu Opfern auf: "Du musst etwas geben, ob es deine Ideen sind oder dein Körper auf der Straße oder ein paar Euro. Du musst etwas geben, um etwas zu ändern."

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SZ vom 23.01.2017/csi/sih
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