Hacking vs. Journalismus:Digitale Schürfrechte vor Gericht

Hacking vs. Journalismus: Vor dem US-Supreme-Court wurde in dieser Woche über den Fall des Polizisten Nathan Van Buren verhandelt, der Auswirkungen für die Arbeit von Journalisten haben könnte.

Vor dem US-Supreme-Court wurde in dieser Woche über den Fall des Polizisten Nathan Van Buren verhandelt, der Auswirkungen für die Arbeit von Journalisten haben könnte.

(Foto: Alex Brandon/AP)

Vor dem US-Supreme-Court wird der Fall eines Polizisten in Geldnot verhandelt. Dabei soll auch die Frage geklärt werden, wann der Zugriff auf Computer illegal ist - und ob Journalisten noch Daten aus Webseiten herauskratzen dürfen.

Von Hannes Munzinger

Wenn das höchste Gericht der USA in einigen Wochen darüber entscheidet, ob ein Gesetz gegen Hacker auch gegen Journalisten anwendbar sein könnte, hängt das mit der Geldnot eines Polizisten aus Georgia zusammen. Nathan Van Buren war knapp bei Kasse und bat deshalb einen Bekannten aus der Halbwelt um Hilfe.

Der Bekannte versprach einen kleinen Kredit, wenn Van Buren seinen Zugang zu einer Polizeidatenbank nutze und ihm den Fahrzeughalter zu einem Autokennzeichen verrate. Van Buren ging auf den Deal ein und flog umgehend auf. Der hilfsbereite Bekannte hatte vorab das FBI informiert. Es war eine Falle.

Van Buren wurde verhaftet und wegen schweren "Computerbetrugs" zu 18 Monaten Haft verurteilt. Grundlage dafür war das "Gesetz gegen Computerbetrug und -missbrauch" aus dem Jahr 1986. Das Gesetz war damals verabschiedet worden, um die sich erstmals häufenden Hackerangriffe auf IT-Systeme ahnden zu können.

Weil die Computersysteme der Achtziger mit der heute allgegenwärtigen Vernetzung aber nicht annähernd vergleichbar sind, halten Kritiker das Gesetz für nicht mehr zeitgemäß. Die Tatsache, dass der Fall des Polizisten Van Buren nun vor dem Supreme Court verhandelt wird, deutet Beobachtern zufolge darauf hin, dass auch die obersten Richter der USA Klärungsbedarf sehen.

Auch unwahre Angaben auf Datingportalen könnten strafbar sein

Laut dem "Computer Fraud and Abuse Act", kurz CFAA, macht sich strafbar, wer sich unberechtigt Zugriff zu einem Computer verschafft oder "berechtigten Zugriff überschreitet". Um diese Formulierung dreht sich nun die Auseinandersetzung, denn Van Buren hatte in seinem Berufungsverfahren argumentiert, er habe berechtigten Zugriff auf die Datenbank der Autokennzeichen gehabt und dürfe deshalb nicht nach dem CFAA verurteilt werden.

Und tatsächlich wurde diese Formulierung auch in anderen Zusammenhängen gegen Beklagte vorgebracht. Zum Beispiel gegen Arbeitnehmer, die ihre Arbeitscomputer für Dinge genutzt haben, die Unternehmensrichtlinien widersprechen. Oder gegen Nutzer von Websites, die gegen Allgemeine Geschäftsbedingungen verstießen. So wurden aus diesen Verstößen strafrechtliche Verfahren.

In dieser Woche wurden die Argumente der Parteien vor dem Supreme Court gehört. Van Burens Anwalt, Jeffrey Fisher, sparte nicht mit Superlativen. "Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass 'die Auslegung der Regierung die meisten Amerikaner jeden Tag als Kriminelle brandmarken würde'".

Wer auf einer Dating-Plattform unwahre Angaben über sich selbst mache, obwohl die Nutzungsbedingungen dies verböten, wer über einen geschäftlichen Zoom-Account mit Verwandten telefoniere, könne sich nach dem CFAA strafbar machen, argumentierte Fisher. In der Vergangenheit hatten manche Gerichte das Gesetz lediglich für die Verurteilung von Hackern angewandt. Andere Gerichte hatten dagegen auf seiner Basis gegen Personen geurteilt, die zwar rechtmäßig Zugang zu Systemen hatten, aber diesen Zugang für unerlaubte Zwecke nutzten.

Journalisten befürchten Einschränkungen ihrer Recherchefreiheit

Dass die Frage, wo Hacking beginnt und wo es endet, auch die Pressefreiheit betrifft, zeigte schon die Verfolgung von Julian Assange durch die USA. Er hatte Informationen aus internen Netzwerken der US-Armee veröffentlicht. Das aktuelle Verfahren vor dem Supreme Court betrifft auch Datenjournalisten, die mit spezieller Software recherchieren.

Sollte das oberste Gericht gegen den Polizisten Van Buren entscheiden, fürchten auch sie Einschränkungen für ihre Arbeit. Seit einigen Jahren nutzen Medien, auch die Süddeutsche Zeitung, die Techniken des sogenannten "Web-Scraping". Das kann man als Schürfen im Netz übersetzen. Dabei werden im Internet öffentliche Informationen mithilfe von Programmiercode systematisch erfasst und gespeichert. Dann lassen sie sich journalistisch auswerten und für Berichterstattung nutzen. In Einzelfällen müssen die Programme sich dafür anmelden und simulieren, ein menschlicher Nutzer zu sein. So können beispielsweise Missstände in sozialen Netzwerken analysiert werden. Die verbieten Scraping aber oft in ihren allgemeinen Nutzungsbedingungen. Das erschwert es Journalisten, Technologiekonzerne wie Facebook oder Amazon zu durchleuchten und unabhängig zu verfizieren, ob ihre Apps und Webseiten wirklich so funktionieren wie beworben. Recherchen in dieser Grauzone sind aber oft von großem öffentlichen Interesse.

Das junge US-Medium The Markup hat sich auf die Methodik des Scrapings und die Berichterstattung über die mächtigen Technologie-Konzerne spezialisiert. The Markup wurde 2018 von der Tech-Journalistin und Pulitzer-Preisträgerin Julia Angwin gegründet, um Recherchen voranzutreiben, die den Einfluss von Informationstechnologie auf gesellschaftliche Entwicklungen beschreiben und kritisch hinterfragen. Angwin und ihre Kollegen argumentieren, dass prägende Entwicklungen der Gegenwart wie Algorithmen ohne Web-Scraping nicht zu kontrollieren seien. Ihr Slogan: "Scraping is not a crime."

Deshalb hat The Markup im Fall des Polizisten Van Buren eine offizielle Stellungnahme vor Gericht eingebracht. Wenn die von der Regierung geforderte, breite Auslegung des CFAA vom obersten Gericht bestätigt werde, würden "die Techniken der Informationserfassung, die Datenjournalismus ermöglichen, ausgehebelt", heißt es in dem Schreiben. Die Betreiber von Webseiten könnten durch ihre Geschäftsbedingungen festlegen, was strafbar sei, heißt es in dem Schreiben weiter. Dies bedeute "dass Journalisten für die Verletzung selbst der trivialsten Nutzungsbedingungen jeder Website, die sie untersuchen, eine strafrechtliche Haftung - und eine Gefängnisstrafe - riskieren".

Neben Journalisten dürften auch Unternehmen wie Google oder etwa Vergleichsportale ein Interesse an dem Verfahren haben. Ihre Dienste, beispielsweise Vergleiche von Flugpreisen, basieren in der Regel auf Web-Scraping.

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