Sozialexepriment:Die Schwarmintelligenz sagt: "Bohr' in der Nase!"

Sozialexepriment: Hieß am Ende doch nicht Boaty McBoatface: das Forschungsschiff des britischen National Environment Research Council, über dessen Namen Menschen online abstimmen konnten. (im Bild eine Computeranimation)

Hieß am Ende doch nicht Boaty McBoatface: das Forschungsschiff des britischen National Environment Research Council, über dessen Namen Menschen online abstimmen konnten. (im Bild eine Computeranimation)

(Foto: AFP)

Forscher wollten herausfinden, ob die viel gepriesene Weisheit der Massen Teenagerniveau überschreitet. Das Ergebnis ist umstritten.

Von Michael Moorstedt

Gibt man einer Million Affen eine Million Schreibmaschinen, so lautet ein beliebtes Kneipen-Theorem, würden sie über kurz oder lang alle Bücher schreiben, die im Britischen Museum lagern. Mittels reichlich komplizierter Wahrscheinlichkeitsformeln lässt sich das sogar beweisen, sagen Mathematiker. Ob das gleiche, also dass man nur unendlich viel Aufwand und Zeit braucht, um etwas sinnvolles zu schaffen, auch für Internetnutzer gilt, dafür steht der Beweis allerdings noch aus.

Den wollten Forscher des Massachusetts Institute of Technology in der vergangenen Woche erbringen. Dazu hatte ein Mensch "seinen freien Willen aufgegeben und sämtliche seiner Handlungen durch das Internet kontrollieren lassen". Diverse Onlinemedien schrieben in ihrer gewohnten Unaufgeregtheit wahlweise über einen "ferngesteuerten Menschen" oder das "unheimlichste Massenexperiment". Beides ist Quatsch.

Das Ganze erinnerte eher an sozialpsychologische Versuchsreihen wie das Milgram- oder das Stanford-Prison-Experiment. Es stellt die Frage, was Autorität mit Menschen macht. Man wolle wissen, schrieben die Forscher, "ob Hunderte oder Tausende von Nutzern sich in Echtzeit koordinieren können, um spezifische Ziele zu erreichen".

Die Killer-Intelligenz wurde unschädlich gemacht

Man fragt also, was es auf sich hat mit der viel gepriesenen Weisheit der Massen, der Schwarmintelligenz. Über ein Webformular konnten die Teilnehmer Kommandos an einen Schauspieler ausgeben. Etwa: Türe öffnen, oder Computer einschalten. Mittels Webcam wurde die Umgebung als Livestream ins Internet übertragen. Dann stimmten die Nutzer gemeinsam darüber ab, welche Befehle ausgeführt wurden und welche nicht.

Damit das Ganze auch ein Ziel hat, war das Experiment in ein Liverollenspiel eingebettet. In dieser Geschichte hat sich eine bösartige Künstliche Intelligenz im Internet selbständig gemacht und bedroht nun die gesamte Menschheit. So geht moderner Horror.

Das Experiment war ein Erfolg. Dank koordinierter Befehle gelang es, die Killer-KI unschädlich zu machen. Na gut, ein paar Kalauer konnten sich die User dann doch nicht verkneifen. So gab es etwa Anweisungen, eine Kaffeetasse zu zerdeppern, in der Nase zu bohren oder den Thronfolger von Österreich-Ungarn zu ermorden. Bis auf letzteres führte der ferngesteuerte Mensch auch alles aus. Anweisungen allerdings, die die Würde, die Privatsphäre oder das leibliche Wohl des Schauspielers gefährdet hätten, waren nicht zugelassen. Zudem mussten sich die Teilnehmer mit ihrer E-Mail-Adresse registrieren, das senkt die Bereitschaft notorischer Trolle.

Ob das Experiment aussagekräftig ist, wird im Netz aufgrund dieser starren Versuchsanordnung bezweifelt. Erfahrungsgemäß denkt die Schwarmintelligenz ja eher auf Teenagerniveau. Unvergessen ist die Episode, in der das britische National Environment Research Council vor einiger Zeit ihr stolzes neues Polarforschungsschiff durch eine Online-Abstimmung taufen lassen wollte. Wäre es nach dem Willen der Nutzer gegangen, hieße das Boot heute Boaty McBoatface. Man entschied sich dann für Sir David Attenborough als Namenspatron.

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