Schutz der Privatsphäre:Deutsche misstrauen Datensammlern

Vorratsdatenspeicherung

Ein automatisches Lager für Magnet-Datenbänder in einem Rechenzentrum in Hamburg: Immer mehr Menschen schreckt die Datensammelwut von Behörden und Konzernen ab.

(Foto: dpa)

Konzerne sammeln Millionen Daten über Kunden und werten sie aus, um damit Geld zu verdienen. Immer mehr Menschen geht der Einblick in ihre Privatsphäre deshalb zu weit - sie löschen ihre Spuren im Netz. Das macht es aber auch sinnvollen Projekten schwer.

Von Varinia Bernau

Man muss sich die Tochter von Reinhard Clemens wohl als einen sorglosen Teenager vorstellen, 14 Jahre ist sie alt. Und sie hat sich, erzählt der Vater, bei so ziemlich jedem angesagten Internetdienst angemeldet. Aber neulich, als ein Kinderfoto von ihr plötzlich bei den Treffern der Suchmaschine Google auftauchte, war sie trotzdem empört. Clemens hat das genutzt, um sich gemeinsam mit ihr die neun Seiten allgemeiner Geschäftsbedingungen des Kurznachrichtendienstes Twitter durchzulesen, bei dem sie das Foto selbst eingestellt hatte. Und er ist ins Grübeln gekommen. "Der sorgsame Umgang mit Daten ist kein Generationenphänomen", sagt er nun. "Auch jungen Menschen ist es wichtig, selbst zu bestimmen, was sie preisgeben und was dann mit diesen Informationen passiert."

Reinhard Clemens ist Vater. Aber er ist auch Vorstand bei der Deutschen Telekom. Er verantwortet T-Systems, jene Sparte, die Technologien wie Speicherdienste in der digitalen Wolke, vernetzte Autos, aber auch intelligente Stromzähler entwickelt. Dieses Geschäft beruht auf Vertrauen. Und darauf, dass Menschen Daten preisgeben.

Nicht nur die Telekom, sondern eine Vielzahl von Technologieunternehmen setzen dabei große Hoffnung auf das Durchforsten riesiger Datenmengen. Denn dies ermöglicht vielfältige Szenarien und vielfältige Möglichkeiten, Geld zu verdienen: Die amerikanische Supermarktkette Wal-Mart wertet beispielsweise Wetterdaten aus - und verlagert ihre Waren dorthin, wo sie gefragt sind. Und Grippewellen lassen sich heute schon schneller aus den via Twitter abgesetzten Meldungen verorten als aus jenen von Gesundheitsbehörden, ein möglicher Vorteil für die Anbieter von Arzneimitteln.

Teenager achten auf Privatsphäre

Aber was, wenn die Menschen ihre Daten nicht mehr rausgeben? Die Tochter von Reinhard Clemens ist kein Einzelfall. Eine Studie des Pew-Research-Centers kommt nun zu dem Ergebnis, dass amerikanische Teenager die Einstellungen auf ihren Smartphones so wählen, dass ihre Privatsphäre geschützt bleibt. Ausgerechnet unter jenen, die in einer Zeit und in einem Land groß geworden sind, in denen Smartphones eine Selbstverständlichkeit sind, gibt es also auch Zweifel.

Jeder zweite gab in der Befragung an, Apps zu meiden, deren Privatsphäreneinstellungen ihnen nicht behagen. Jeder vierte hat bereits eine App deinstalliert, weil diese zu viele Informationen gesammelt habe, die die Jugendlichen nicht herausgeben wollen. Und fast die Hälfte der Befragten hat in den Einstellungen darauf geachtet, dass sich nicht nachvollziehen lässt, wann er mit seinem Smartphone wo unterwegs ist. Vor allem Mädchen achten darauf. Die Meinungsforscher nehmen zwar an, dass dies vor allem der Versuch ist, der Aufsicht der Eltern zu entkommen. Denn es gibt auch Apps, mit denen sich per GPS bestimmen lässt, wo sich gerade die eigenen Kinder tummeln.

Doch der Befund der Untersuchung ist ein ganz ähnlicher wie der, zu dem auch Reinhard Clemens gekommen ist. Nicht nur, nachdem er sich in der eigenen Familie umgesehen hat. Sondern auch nach einer Befragung, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag von T-Systems durchgeführt hat. Ob sich jemand für oder gegen das Sammeln und Auswerten von Daten ausspricht, hängt demnach vor allem an einer Frage: Welchen Nutzen hat man davon?

Willige Gehilfen der Geheimdienste?

Allensbach wollte von Deutschen ab 16 Jahren wissen, zu welchem Zweck sie Informationen preisgeben würden. Ein Teil dieser Befragung wurde durchgeführt, kurz bevor die Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden der Welt zeigten, wie umfassend digitale Dienste genutzt werden, um Menschen auszuspionieren.

Das hat, so zeigt die Studie, in der Bevölkerung die Bereitschaft verringert, Daten preiszugeben. Und das hat auch das Misstrauen gegenüber Unternehmen erhöht. Schließlich ist noch immer unklar, inwieweit Internetkonzerne wie Facebook, Google oder Microsoft als willige Gehilfen des amerikanischen Geheimdienstes dienten. Am Wochenende enthüllte der britische Guardian, dass einige Unternehmen Millionen Dollar für ihre Kooperation bekommen.

Dennoch befürwortete in der Befragung durch Allensbach eine deutliche Mehrheit der Deutschen, dass der Staat Daten auswertet, wenn er dadurch etwa den Bedarf an Kindergärten besser planen kann. Das bloße Versprechen von Unternehmen, das automatische Speichern von Kundendaten werde den Einkauf mit Empfehlungen erleichtern, überzeugte jedoch nicht. "Natürlich wüsste der Supermarkt schon ganz gern, wer was kauft", sagt Clemens. "Und ich bin mir sicher, dass Dienste entstehen werden, für die der Kunde solche Daten preisgibt. Aber er muss dazu eben einen Nutzen erkennen."

Der Telekom-Manager denkt dabei nicht an Rabatte. Er denkt an die U-Bahn-Stationen im südkoreanischen Seoul, wo man sein Smartphone an diverse Codes auf Wänden halten kann, die Einkaufsregalen nachempfunden sind - und so nebenbei Milch oder Tiefkühlpizza bestellen kann, die die britische Supermarktkette Tesco dann nach Hause liefert.

Unternehmen müssen Kunden ernst nehmen

Clemens betont, dass Unternehmen den Kunden ernst nehmen und von sich aus darlegen müssen, was sie mit den gesammelten Daten machen. Nicht einmal jeder fünfte Deutsche, auch das hat die Befragung gezeigt, liest die AGBs, ehe er eine App aufs Smartphone lädt. Trotzdem sind viele der Meinung, die Unternehmen informierten sie nicht gut genug darüber, was mit den Daten passiert. Gerade in den vergangenen Jahren ist auch viel Vertrauen dadurch verloren gegangen, dass sich US-Unternehmen nur wenig um die hohen Datenschutzstandards in Deutschland scherten.

Eine Suchmaschine wird umso besser, je mehr sie über die Gewohnheiten derer weiß, die sie nutzen. Deshalb ist Google einerseits so nützlich. Und deshalb haben es andererseits kleine Anbieter so schwer, Leute auf ihre Seite zu locken. "In Zeiten des Internets erwarten die Kunden zu Recht, dass Unternehmen sich an die Gesetze des Landes gelten, in dem sie ihre Dienste anbieten - und nicht an die Regelung in dem Land, in dem die Server stehen", sagt Clemens.

Den Unternehmen hierzulande das Sammeln von Daten von vorn herein zu verbieten, wie es einige Parteien in den Wahlprogrammen fordern, hält er für den falschen Weg. "In einer globalisierten Welt würde die deutsche Wirtschaft das nicht lange durchhalten", sagt Clemens. Er fürchtet, dass US-Unternehmen dann mit ihren Diensten vorpreschen. Die millionenfach anfallenden Daten seien ein enormes Potenzial. "Ausschöpfen können wir das aber nur, wenn wir damit verantwortungsvoll umgehen."

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