Schriftart:Schluss mit dem Hass auf Comic Sans

Comic Sans

Jeder will geliebt werden - auch Comic Sans. Die Schriftart hätte ein bisschen Zuneigung durchaus verdient.

(Foto: sih)
  • Wer die Schriftart Comic Sans verwendet, gilt im Netz als "doof und naiv".
  • Dabei kann sie Legasthenikern helfen.
  • Sie können Texte in Comic Sans viel leichter lesen, weil der Abstand zwischen den Zeichen groß ist und die Buchstaben sich gut unterscheiden lassen.

Von Christian Simon

Das Internet verstärkt große Emotionen. Selbst Schriftarten können zum Ziel einer digitalen Hasskampagne werden: Wer es wagt, Comic Sans zu benutzen, kann sich auf Spott und Häme einstellen.

Im Netz kursieren zahlreiche Anti-Comic-Sans-Petitionen: "Ban Comic Sans", "Ban Comic Sans from Gmail" oder "Pour l'abolition du Comic Sans", die Abneigung ist international. Die Betreiber der Website bancomicsans.com sind überzeugt, gegen die "Pest unserer Zeit" vorzugehen. "Eine Schriftart hat genauso viel Ausdruck wie eine Stimme - und Comic Sans ist eine Stimme, die Doofheit und Naivität transportiert", schreiben sie in ihrem Manifest. "Comic Sans zu benutzen ist, als würde man zu einem formalen Empfang in einem Clownskostüm erscheinen".

All das ist natürlich ironisch gemeint. Doch trotz Augenzwinkern bleibt der Subtext: Finger weg von Comic Sans, wenn du ernst genommen werden willst.

Comic Sans hilft Legasthenikern beim Lesen

Dabei kann Comic Sans vielen Menschen mit Leseschwäche helfen, Texte zu erkennen. "Für manche Betroffene spielen Schriftart und Farbe eine große Rolle", sagt Michaela Mayer, diplomierte Legasthenietrainerin und Vorstandsmitglied des Dachverbands Legasthenie Deutschland (DVL). Zwar sei jede Legasthenie anders, ihre Tochter, selbst Legasthenikerin, bevorzuge aber etwa die Schriftart Comic Sans in blauer Kontrastfarbe.

Comic Sans

So könnte die Tocher von Michaela Mayer den Text am besten lesen.

(Foto: sih)

Ähnlich geht es Jessica Hudgins, der es aufgrund ihrer Legasthenie schwerfällt, Texte in Schriftarten wie der weitverbreiteten Times New Roman zu lesen. In einem wütenden Blogeintrag fordert ihre Schwester Lauren dazu auf, sich den "elitären und herablassenden" Spott doch bitteschön sonst wohin zu stecken. Ihre Verteidigungsrede für Comic Sans wurde in sozialen Medien mehr als 50 000 Mal geteilt, gelikt und kommentiert.

"An dem Tag, als meine Schwester Comic Sans entdeckt hat, hat sich ihre ganze Welt geändert", schreibt Hudgins. Früher sei sie selbst an einfachen Schulaufgaben verzweifelt, weil die Lehrer oft zu Times New Roman in kleiner Schriftgröße gegriffen hätten. Als Hudgins sich die Arbeitsblätter herunterladen konnte, um die Schrift zu vergrößern und Comic Sans als Schriftart zu wählen, seien die Aufgaben für sie so leicht wie für ihre Klassenkameraden gewesen.

Wichtig sind große Abstände zwischen den Buchstaben

Generell gilt bei Schriftarten: Je kleiner die Abstände zwischen Zeichen und Wörtern sind, desto schwerer tun sich Legastheniker damit. Serifen stören ebenfalls - die kleinen Haken an den Buchstaben gibt es in vielen Schriftarten. Wichtig ist für Betroffene auch, einzelne Buchstaben gut unterscheiden zu können. In vielen Schriftarten ist das kleine "d" zum Beispiel eine Spiegelung des kleinen "b". Manchmal ähnelt das große "A" der "4", oder ein kleines "g" sieht aus wie ein umgedrehtes "k". Den Unterschied zwischen einem kleinen "l" und einem großen "I" können selbst Menschen ohne Leseschwäche oft nicht erkennen.

Diese Probleme gibt es bei Comic Sans nicht, hier sind Buchstaben und Zahlen unverwechselbar. Die Schriftart wurde 1994 von Microsoft-Designer Vincent Connare entwickelt. In "Microsoft Bob", einer gefloppten und längst vergessenen Hilfsoberfläche für Windows 3.1, sollte Comic Sans die Sprechblasen der Cartoon-Charaktere füllen. Deshalb ist die Schrift verspielt, ein bisschen schrullig und erinnert an eine kindliche Handschrift. Allerdings kam sie nie zum Einsatz, denn für die Sprechblasen war sie zu groß. Seit Windows 95 gehört sie trotzdem zu den Standardschriftarten und ist damit auf allen Windows-Rechnern vorinstalliert.

Amtliche Dokumente sind für Menschen mit Legasthenie oft schwierig

Auch Stephan Scherle ist Legastheniker. Der Gymnasiallehrer schätzt Arial. In Schriftgröße zwölf und mit anderthalbfachem Zeilenabstand könne er damit gut lesen, sagt er. Gegen Comic Sans hat er aber auch nichts: "Die hat schon etwas Handschriftliches, aber das ist nicht schlimm. Ehrlich gesagt, meine Handschrift sieht so ähnlich aus", sagt er und lacht.

Für Scherle sind vor allem amtliche Dokumente und Formulare problematisch. Eine moderne, serifenlose Schrift, geringer Zeilenabstand, geringe Schriftgröße - das sehe vielleicht sachlich und seriös aus, sei aber anstrengend und frustrierend. Der gleiche Text in großen Comic-Sans-Lettern wäre für viele Menschen mit Leseschwäche besser zu verstehen.

Michaela Mayer nutzt Comic Sans in ihrer der Arbeit häufig. "Die Buchstaben "a" und "g" gleichen den Buchstabensymbolen, die Kinder in der Schule lernen", sagt sie. Sie erlebe viel Verwunderung, dass das Lesen mit dieser Schriftart und verschiedenen Kontrastmöglichkeiten tatsächlich angenehmer sei. Es gibt Schriftarten wie "Dyslexie", die speziell für Legastheniker entwickelt wurden, aber teilweise kostenpflichtig sind und in jedem Fall extra installiert werden müssen. Comic Sans ist gratis und lässt sich ohne Zusatzaufwand nutzen.

Ästheten und Menschen mit einem Faible für Typografie werden Comic Sans niemals lieben. Das müssen sie auch nicht. Für viele Legastheniker wäre es schon eine große Hilfe, Hausarbeiten, Dokumente oder Briefe in Comic Sans abgeben zu können - ohne, dass direkt eine Petition gestartet wird.

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