Süddeutsche Zeitung

Schalke 04:League of Legends statt Champions League

Der FC Schalke 04 kauft sich für acht Millionen Euro einen Startplatz in einer europäischen Computerspiel-Liga. Der Fußballklub sieht seine Zukunft auch im E-Sport.

Von Caspar von Au, Berlin

Sportlich läuft es gerade denkbar schlecht beim Fußballverein Schalke 04. Nur Rang 14 in der Bundesliga, vor der Länderspielpause kassierten die "Königsblauen" ein 0:3 gegen Eintracht Frankfurt. Es hapert vor allem in der Offensive: Nur acht Tore aus elf Spielen. Dass sich das schnell ändert, scheint aktuell unwahrscheinlich: Ausgerechnet zwei Stürmer (Embolo, Uth) fallen verletzungsbedingt wochenlang aus.

In diese Schwächephase hinein gibt der Klub jetzt bekannt: Für acht Millionen Euro wird der FC Schalke 04 eines von zehn Teams in der neuen europäischen Liga für das Computerspiel "League of Legends" (LoL). Es geht wohlgemerkt nicht um eine Fußballsimulation wie "Fifa" oder "Pro Evolution Soccer" (PES): In LoL kämpfen die Spieler mit Magierinnen, Ungeheuern und Ninjas gegeneinander. Spielziel ist, als Team von fünf Spielern ein anderes Team zu besiegen und deren Festung zu zerstören. Schalke ist der erste Bundesligaklub, ja der erste europäische Fußballklub, der in diesem Ausmaß in einen Nicht-Fußball-E-Sport investiert. In der neuen Liga wirkt der Club zunächst wie ein Fremdkörper, für die anderen neun Teilnehmer ist E-Sport das Kerngeschäft.

Wäre es in der aktuellen Situation für den Club nicht sinnvoller, das Geld in einen weiteren Stürmer zu investieren? "Nein", sagt Alexander Jobst, Marketing-Vorstand bei Schalke. Man habe die Entscheidung bewusst und unabhängig vom Fußball getroffen. "Der E-Sport muss auf eigenen, profitablen Füßen stehen." Das sei bei dem 2016 gegründeten LoL-Team bereits jetzt der Fall, betont Jobst. Wirtschaftlich haben Profifußball und E-Sport auf Schalke nichts miteinander zu tun: die E-Sport-Abteilung ist als GmbH, der Fußball in einem eingetragenen Verein organisiert.

Eigentlich vermarktet sich Schalke als Traditionsverein

Im Mai vor zwei Jahren übernahm der Klub das LoL-Team "Elements", die meisten Spieler und deren Startplatz in der europäischen "League of Legends Championship Series" (LCS). Zu Schalkes E-Sport-Abteilung gehören auch sieben Fußball-Simulations-Profis, das Wichtigste ist aber das LoL-Team. Die E-Sport-Szene beäugte die neue Konkurrenz zunächst sehr misstrauisch. Meinen die das ernst oder geht es nur um Marketing? Sie meinen es ernst. Die Königsblauen sind mittlerweile zur festen Größe im europäischen E-Sport geworden. Dieses Jahr wäre das LoL-Team im Sommer beinahe Meister geworden und scheiterte nur knapp an der Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Südkorea.

Doch 2019 steht für die Liga ein großer Umbruch bevor. League of Legends-Entwickler Riot Games stellt das System komplett um: auf ein Franchisemodell nach dem Vorbild der US-amerikanischen Sportligen NFL oder NBA. Die Teams sind künftig Teilhaber der Liga, sie können weder ab- noch aufsteigen, dürfen mitreden, wohin sich die Liga entwickelt - und sie werden an den Gewinnen beteiligt: "Wir hoffen, dass sich durch die Zusammenarbeit mit bestimmten Teams längerfristige Bindungen zwischen Teams und Fans entwickeln", erklärt Liga-Chef Marc Schnell von Riot Games den Schritt. Bisher änderte sich jedes halbe Jahr die Zusammensetzung der Liga und der Teams. Zunächst müssen sich alle an einen neuen Namen gewöhnen, aus LCS wird LEC: League of Legends European Championship.

Auf Schalke will man diesen Schritt mitgehen. Bemerkenswert, denn eigentlich vermarktet sich der FC Schalke 04 in vielen anderen Bereichen als Traditionsverein: "Wir leben dich", lautet das Motto des Ruhrpottklubs. Aber Marketing-Chef Jobst sagt: "Mit Tradition alleine kann man wirtschaftlich nicht erfolgreich sein." Bei der Neuausrichtung auf eine digitale Zielgruppe ist wenig Bolzplatzromantik zu spüren: Man habe sich vor zwei Jahren bewusst für League of Legends entschieden, weil es eins der populärsten Spiele weltweit ist, dessen Fan-Gemeinde dazu noch stetig wächst.

Auch die andere Seite spricht unverhohlen über die wirtschaftlichen Aspekte in Entscheidung für einzelne Teams. Man habe sich Besitzer und Investoren genau angeschaut, sagt Liga-Chef Schnell. Schließlich werden die zehn Teams künftig ein Mitspracherecht haben: "Wir wollen sichergehen, dass wir dieselbe Vision haben." Schalke ist das einzige Team mit traditionell-sportlichem Hintergrund im Feld der zehn Liga-Teilnehmer, die Riot Games am Dienstag bekannt gegeben hat. Teil der neuen LEC wird auch das E-Sport-Urgestein "SK Gaming" aus Köln sein, Partner ist die Telekom. Hinter dem Team "Rogue" stehen der international bekannte DJ Steve Aoki und die Band Imagine Dragons. Musik und Computerspiele - "das verbindet für uns zwei Bereiche", sagt Schnell. Das zeigt, wohin es gehen könnte: E-Sport soll noch weiter weg aus der Nerd-Ecke, alle Lebensbereiche durchdringen, wachsen. Die Liga selbst gehört letztlich dem chinesischen Internetriesen Tencent, Besitzer von Riot Games und Anteilseigner bei weiteren Spielefirmen mit E-Sport-Titeln. Es ist völlig klar: In der boomenden Branche geht es vorrangig ums Geld.

Lässt sich das den Schalker Ultras verkaufen, den Malochern, die bei den Heimspielen jede zweite Woche in der Nordkurve stehen? Kein Problem, glaubt Jobst, mittlerweile seien selbst hartgesottene Fußballfans zum Teil "mit Begeisterung" dabei. Er spricht von Synergien in beide Richtungen, Fußball und E-Sport sollen künftig noch enger verknüpft werden. Vor allem geht es natürlich darum, die Generation Internet über das Gaming für den FC Schalke 04 zu gewinnen. Bei den PR-Terminen der Fußballmannschaft durch China waren in den vergangenen drei Jahren auch die E-Sport-Stars mit dabei. "Die chinesischen Fans erkennen die Gamer eher als die Fußballprofis", sagt Jobst.

Auch in Zukunft keine Ego-Shooter

In der Gelsenkirchener Fußgängerzone werden die Schalker Fans den Profi-Gamern allerdings kaum über den Weg laufen. Denn das LoL-Team, Spieler, Trainer und der restliche Stab, wohnt und trainiert genau wie alle übrigen Teams der europäischen Liga in Berlin. Dort tragen sie alle regulären Spieltage in einem Studio in Berlin-Adlershof aus, zwei pro Woche. Anders wäre der Aufwand schlicht zu groß. Aber das muss nicht ewig so bleiben: In der chinesischen Liga des Computerspiels bauen gerade einige Teams eigene E-Sport-Arenen. "Wir haben noch keinen konkreten Plan dafür in Europa", sagt Schnell, "aber wir finden das sehr spannend." Auch Jobst hätte sein Team irgendwann gerne in Gelsenkirchen.

So aber befindet sich das Trainingszentrum der Schalker in einem mehrstöckigen Wohnhaus in Berlin-Charlottenburg. An der Tür hängt ein Schild "In diesem Haus wohnen Familien mit Kindern", auf einer Klingel steht "S04". Innen eine geräumige Altbauwohnung mit Parkett: Hier gibt es eine Küche, ein Büro, ein Zimmer für Fitness und Yoga (auch E-Sport ist anstrengend). Das Herzstück des Trainingszentrums ist bisher noch etwas schmucklos: nur fünf PCs stehen an der Wand aufgereiht. "Bis zum Saisonbeginn soll das hier noch umgebaut werden", sagt Tim Reichert, Chef der Schalker Gaming-Abteilung. "Außerdem wollen wir die Tagesabläufe der Spieler optimieren." Feste Essenszeiten, Atemübungen zwischen den Spielen, regelmäßige gemeinsame sportliche Aktivitäten erhöhen die Fitness und den Zusammenhalt im Team. E-Sport ist längst nicht mehr nur Zocken, es geht schließlich um jede Menge Geld.

In Zukunft soll Schalkes E-Sport-Abteilung noch weiter wachsen. Als nächstes planen sie in Schalke, Spieler für ein noch unbekanntes Mobile-Game anzuwerben. Aber es gibt auch Grenzen: "Wir planen nicht, in einen Ego-Shooter zu investieren", sagt Jobst. Man distanziere sich von "Ballerspielen und Kriegsspielen". Denn: "Wichtig ist, dass ein Titel zu den Werten passt, die wir seit Jahrzehnten auf Schalke leben."

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