Roboterbau:Im Stechschritt zu Berge

Göttinger Informatiker versuchen Robotern die Geheimnisse des Gehens beizubringen. Von Christopher Schrader

Christopher Schrader

Wer Florentin Wörgötters Labor in der Göttinger Bunsenstraße verlässt, der achtet auf seine Schritte. Plötzlich beschäftigt einen die Frage, ob die Füße auf den Linoleum-Quadraten im Flur den gleichen Halt finden wie auf dem Fußboden des Labors.

Die Schwelle zum Treppenhaus betrachtet der Verstand als mögliches Hindernis, die Terrazzo-Fliesen dort erscheinen tückisch glatt. Und das alles nur, weil der Besucher vorher mit Wörgötter darüber gesprochen hat, wie dessen Roboter Runbot über eine Gummimatte stapft und wie er lernt, auf einer Steigung nicht umzufallen.

Im Labor hatte der Informatiker von der Universität Göttingen das menschliche Gangmuster mit übertriebenen Bewegungen und quasi in Zeitlupe vorgeführt. Er wirkte dabei selbst ein wenig wie eine lebensgroße Version seines Roboters und hatte - trotz des ernsten Gesichts - erkennbar Freude an der Situation.

Auf dem Weg nach draußen fällt es dem Besucher plötzlich schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen, wie es die kleine Maschine macht. Er beobachtet, wie das eigene linke Bein nach vorne schwingt und sich das linke Knie streckt, während der rechte Fuß auf dem Boden abrollt.

Plötzlich fällt der ganze Körper nach vorn, bis ihn das gestreckte linke Bein abfängt. Das wiederum löst die Beugung des rechten Knies und das Nach-Vorne-Schwingen des rechten Beins aus. Wer so auf seine Bewegungen achtet, kann eigentlich nicht mehr gehen, jedenfalls nicht mehr selbstverständlich.

Rückschlüsse auf den Menschen

Das Gehen, sagt Wörgötter, führen Beine und Rückenmark normalerweise autonom aus. Das Gehirn kann die Bewegung kaum so rund steuern wie es untergeordnete Nervenzentren tun. Es greift nur ein, wenn sich etwas ändert - eine Steigung oder ein rutschiger Fleck.

Zwar registrieren die Nerven im Kopf Veränderungen im Untergrund, aber ins Bewusstsein dringen ihre spärlichen Anweisungen ans Rückenmark kaum. Erst als dem Besucher diese Abläufe bewusst werden, fragt sich sein Gehirn ständig, ob es irgendwo eingreifen muss.

Um diese verschiedenen Ebenen der Kontrolle geht es Wörgötter in seinem Experiment. Und wie so oft beim Roboterbau interessieren sich die Forscher ebenso für die technische Umsetzung wie für die Rückschlüsse, die sie auf den Menschen erlauben.

Drei Ebenen der Kontrolle haben Wörgötter und seine Mitarbeiter Tao Geng aus China und Poramate Manoonpong aus Thailand in die Maschine eingebaut: Auf der untersten überwachen die Gelenke sich selbst, um nicht durch übermäßige Beugung Schaden zu nehmen; auf der mittleren geben sich die Beine gegenseitig Kommandos und erzeugen so das Gangmuster; auf der obersten versucht ein lernfähiges Netz künstlicher Nervenzellen, das Muster an Untergrund und angestrebtes Tempo anzupassen.

Übertragen auf den Menschen wäre diese höchste Ebene immer noch kaum mehr als ein Reflex - von Bewusstsein ist Runbots Nervensystem weit entfernt.

Im Stechschritt zu Berge

Dennoch hat die höchste Ebene eine schwierige Aufgabe. Verändert sich nämlich der Untergrund, müssen die Schaltkreise die "Schwingung" verändern, mit der der Göttinger Informatiker das zweibeinige Gehen vergleicht.

Welche der vielen Stellgrößen der Körper abhängig vom Terrain ändert, lernt der Mensch gewöhnlich als Kind. Es dauert Monate und Jahre, und kommt später Walzertanzen dazu oder Rollschuhlaufen, beginnt der Prozess zum Teil von vorn.

Wörgötters Roboter Runbot lernt es in einer Minute - jedenfalls das Gehen auf einer schiefen Ebene. In zügigen Schritten eilt er auf die um acht Grad geneigte Spanplatte zu, die von einer Gummimatte bedeckt ist. Er schafft drei, vier Schritte, dann reicht sein Schwung nicht mehr, nach vorn auf das ausgestreckte Bein zu fallen - wie eine Figur in einem Slapstickfilm fällt er nach hinten.

Beim nächsten Anlauf schafft er noch weniger Schritte. Offenbar hat er schon gemerkt, dass es mit dem alten Schema nicht weiter geht, hat aber in die falsche Richtung korrigiert. Beim dritten Mal schafft er die Steigung fast ganz, fällt aber doch. Erst beim vierten Mal überwindet er sie flüssig und stapft oben weiter. Wer genau hinschaut, sieht wie Runbot kürzere Schritte macht und seinen "Oberkörper" nach vorn legt.

"Oberkörper" ist übertrieben. Das 30 Zentimeter hohe Maschinchen besteht im Wesentlichen aus zwei kantigen Beinen. An den Knien und im Hüftgürtel sitzen vier Motoren, die die Muskeln des Runbot darstellen. Vorn am Gürtel trägt der Roboter sein Auge, einen Infrarot-Sensor; hinten ist ein Beschleunigungssensor angebracht, der Stürze registriert.

Oberhalb des Gürtels gibt es nur noch ein Gewicht, das die Steuersoftware nach vorn oder hinten klappen kann, um die Lage des Schwerpunkts zu verändern. Geführt wird Runbot von einem mit Kabeln umgebenen Metallstab wie ein Pferd an der Longe, denn gegen seitliche Stürze kann er nichts machen. Wenn er schnell lernt, vermag er aber Stürze nach vorn oder hinten zu vermeiden.

Extremer Energieverbrauch

Runbots Aufgabe klingt einfach: Er muss lernen, das Signal des Beschleunigungssensors mit der Reaktion des Infrarot-Auges auf die Steigung kurz vorher zu verknüpfen, und den drohenden Sturz vorausahnen. Das Verlagern des Gewichts nach vorn haben ihm seine Erbauer als mögliche Reaktion vorgegeben, aber bei den vergeblichen Versuchen, die Steigung zu überwinden, schaltet Runbot zu spät.

Hat er die Lektion gelernt, behält er sie aber nur, bis Wörgötters Mitarbeiter den Roboter kräftig nach vorn kippt; da genügt, um das Wissen über das Verhalten auf Steigungen zu löschen.

Runbot ist mehr als ein Spielzeug. Wenn Wörgötter nach praktischen Anwendungen gefragt wird, spricht er von lernfähigen Beinprothesen, die entwickelt werden könnten. Zunächst aber geht es im Experiment darum, zu verstehen, wie sich dynamisches Gehen auf eine Maschine übertragen lässt.

"Dynamisches Gehen" ist das Rezept, nach dem Menschen bummeln, schreiten, eilen oder marschieren: das Schwingen der Beine und das Fallen auf das neue Standbein. Bei Runbot äußert es sich darin, dass alle Motoren ungefähr ein Viertel der Zeit komplett abgeschaltet sind.

Im Stechschritt zu Berge

Ganz anders verhalten sich Roboter wie "Qrio" von Sony oder "Asimo" von Honda. Dessen erster Vorfahr brauchte 30 Sekunden für jeden Schritt, und auch Asimo geht und tanzt unter voller Kontrolle der Muskeln und Prozessoren. Dabei verbraucht der Roboter etwa 16-mal so viel Energie pro Kilogramm und Meter wie Menschen.

Dynamischen Läufern genügt das menschliche Energiebudget. Neben Wörgötters Runbot haben Kollegen an vielen Universitäten bereits ähnliche Roboter konstruiert, die zum Teil frei gehen. Dazu benötigen sie mitschwingende Arme, um das Gleichgewicht zu halten. Und sie müssen entweder als Ganzes quer zur Bewegungsrichtung hin- und herpendeln. Oder sie kippen ihre Hüften zur Seite, wie Menschen. Keines von beidem beherrscht Runbot zurzeit.

Wörgötters Team nimmt aber für sich in Anspruch, den schnellsten dynamischen Läufer gebaut zu haben - gemessen an der Beinlänge. In jeder Sekunde schafft Runbot dreieinhalbmal die 23 Zentimeter, die seine metallischen Extremitäten messen.

Umgerechnet auf den Menschen mit Beinen von etwa 90 Zentimetern Länge ist das ein Tempo von mehr als elf Kilometern pro Stunde, was höchstens professionelle Geher schaffen: Den Weltrekord hält der Ecuadorianer Jefferson Pérez, der 2003 für 20 Kilometer 1:17:21 Stunden benötigte - gut viereinhalb Beinlängen pro Sekunde.

Einfach mal losschlendern

Auch das Tempo musste Runbot erst erlernen. Damals hatte der Roboter noch kein Gewicht über den Hüften, darum fällt es Manoonpong gerade schwer, dem Maschinchen die Rahmendaten zu übermitteln, mit denen es losschlendern könnte: Nun stolpert Runbot nach ein paar Schritten regelmäßig nach vorn, weil er zu forsch für sein Tempo ausschreitet.

Wörgötter führt die verschiedenen Geschwindigkeiten daher in seinem Büro vor und zeigt dort einen Videofilm. Hier hatte der Roboter die Aufgabe bekommen, möglichst schnell zu gehen. Sein Lernalgorithmus probiert verschiedene Gangmuster aus, lässt anfangs auch die Unterschenkel fliegen, sodass der Gang eher an das affektierte Hüpfen einer Ballerina erinnert als an die Fortbewegung eines Passanten.

Doch dann erkennt der Schaltkreis, dass es mit kurzen, schnellen Schritten und relativ steifen Knien am besten geht. Auch dieses Gangmuster führt der Professor selbst vor, und ist schon aus dem Raum geeilt, bevor er den erklärenden Satz beendet hat.

Später sagt er, Runbot gehe so stabil, dass die Forscher ihn von langsam auf schnell umschalten könnten - nur eben nicht mit Gewicht auf den Hüften. "Versuch mal, das wieder hinzubekommen", bittet er seinen Mitarbeiter. Anders als dem Besucher auf dem Weg zum Bahnhof genügt es dem Roboter nämlich nicht, sich auf etwas ganz anderes zu konzentrieren und sein Rückenmark machen zu lassen, damit er wieder rund läuft.

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