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RFID-Aufkleber als "Schnüffelchips":Warum Funketiketten eine Gefahr für Verbraucher sind

Funketiketten sollen einmal den Strichcode ersetzen - in einigen Läden ist das bereits Realität. Was den Händlern Inventuren in Rekordzeit erlaubt, birgt für Kunden einige Risiken.

Helmut Martin-Jung

Die Passantin in der Bielefelder Innenstadt war sichtlich erstaunt: Dass in ihre Jacke, ein italienisches Markenfabrikat, ein winziger Chip eingenäht ist, dessen Informationen über mehrere Meter hinweg per Funk ausgelesen werden können - davon hatte sie noch nie gehört. Reporter des Westdeutschen Rundfunks hatten Aktivisten des Bielefelder Vereins Foebud begleitet, der seit Jahren gegen solche von ihm als "Schnüffelchips" bezeichneten Funketiketten kämpft.

Noch sind Aufkleber zur Radio-Frequenz-Identifikation (RFID) in der Herstellung zu teuer, als dass sie bereits auf jeden Joghurt-Becher geklebt würden. In vielen Branchen mit höheren Gewinnspannen aber sind RFID-Chips gerade dabei, die bisher verwendeten Strichcodes zu verdrängen.

"Internet der Dinge"

Der Modehersteller Gerry Weber etwa stattet sämtliche Kleidungsstücke damit aus und schafft es so, die Inventur eines kompletten Geschäftes in einer halben Stunde zu erledigen. Das Ziel, das Industrie, aber auch Forschungseinrichtungen anpeilen, geht noch viel weiter, es ist ein "Internet der Dinge" - die Vernetzung von Gegenständen also, die irgendwann nicht mehr von zentralen Computern gesteuert werden, sondern sich selbst organisieren sollen.

Beim Pilotprojekt Smart Reusable Transport Items (SmarTI) ist das bereits Wirklichkeit. Dabei arbeitet die Handelskette Rewe mit dem Palettenverleiher Chep sowie mit Lufthansa Cargo, Infineon, DHL und dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik zusammen.

Die blauen Paletten von Chep sind nicht mehr bloß aus grobem Holz gezimmerte Ladungsträger. Auf ihren Chips ist gespeichert, wie der geplante Transportweg ist, sie wissen, wo sie sind, und was sie befördern. Sie verständigen sich auch untereinander, um auf diese Weise ständig die optimalen Transportwege zu ermitteln.

Projekte wie SmarTI treiben die längst praktizierte Produktion mit Just-in-time-Lieferung weiter. Rohstoffe und Zubehörteile werden nicht aufwendig und teuer gelagert, sondern so bestellt, dass sie geliefert werden, wenn sie etwa am Fließband gebraucht werden. Die Funketiketten aber können noch mehr. Versehen mit einem Temperatursensor sind sie in der Lage zu protokollieren, ob etwa Kühlgut auf dem Transportweg angetaut ist.

Immer mehr digitale Spuren der Verbraucher

Im Supermarkt finden sich RFID-Aufkleber noch kaum, zum einen wegen Datenschutzbedenken, zum anderen, weil es die geringen Margen der Händler noch nicht erlauben, sie flächendeckend einzusetzen. Auch das könnte sich schon bald ändern, wenn die Verfahren serienreif werden, auf billige Kunststofffolien elektronische Schaltkreise zu drucken.

Dann könnte das Einkaufen so ähnlich vonstatten gehen wie in dem Modellsupermarkt, den das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) zusammen mit der Handelskette Globus im saarländischen St. Wendel betreibt: Der heimische Kühlschrank führt eine Liste, der Einkaufswagen im Supermarkt zeigt sie auf seinem Bildschirm an und führt zu den entsprechenden Regalen. Die Kasse erfasst in einem Rutsch die Waren und bucht den fälligen Betrag vom Konto ab.

Ob sich solche Systeme aber jemals durchsetzen werden, steht dahin. Denn hinter all den verheißungsvollen Vorteilen lauert stets auch eine reale Gefahr: die Erfassung von immer mehr digitalen Spuren der Verbraucher. Hat der zum Beispiel einmal mit seiner Bankkarte bezahlt, ließe sich eine Verbindung zwischen dem Chip im Pulli und der realen Person herstellen und diese über Lesegeräte verfolgen.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2012/kiha
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