Revolutionäre Memristor-Technik:Der Nano-Superspeicher

Ein neues elektronisches Bauteil soll die Speichertechnik revolutionieren: Es ist schneller, kleiner, braucht weniger Energie - und soll schon bald Flash-Laufwerke ablösen.

Helmut Martin-Jung

Es könnte eine jener Geschichten werden, die sich in Ehren ergraute Männer einmal hinter dem Vorhang erzählen, während sie darauf warten, dass sie für eine Auszeichnung auf die Bühne gebeten werden. "Dieser Aufsatz hatte was", würde Stan Williams dann raunen und Leon Chua bedächtig dazu nicken, "aber ich habe ganze vier Jahre gebraucht, um ihn wirklich zu verstehen."

Hewlett Packard Company, Stan Williams, Duncan Stewart

Stan Williams (links) und der Physiker Duncan Stewart bei Hewlett Packard: Die Zukunft des digitalen Gedächtnisses liegt in der Nanotechnologie.

(Foto: ag.ap)

Diejenigen, die über die Veranstaltung berichten, hätten unfassbar flache Laptops, die unmittelbar nach dem Einschalten betriebsbereit sind und Speicherplatz für ganze Filmbibliotheken bieten. Und es wäre das Verdienst der beiden alten Männer, das elektronische Bauteil entwickelt zu haben, das dies alles und vielleicht noch viel mehr ermöglicht.

Schon in drei Jahren könnte ihre Entdeckung in den neuesten Handys oder Laptops stecken. Es geht um ein Bauteil im Nano-Maßstab, das 36 Jahre lang nur als Theorie existierte. In den 1960er-Jahren arbeitete der Mathematiker Leon Chua von der University of California in Berkeley an einer Theorie der passiven, elektronischen Bauelemente - Widerstand, Spule und Kondensator. Doch die Theorie ging nicht auf.

Speicher für ein ganzes Jahr HD-Filme

1971 veröffentlichte Chua schließlich ein wissenschaftliches Paper, in dem er die Existenz eines vierten passiven Elements vorhersagte: des Memristors. Doch niemand wusste, wie man einen bauen sollte, und so verschwand die Theorie bald in der Versenkung.

Da wäre sie noch lange geblieben, hätte nicht ein Mitarbeiter des Computerkonzerns Hewlett Packard (HP) Chuas Aufsatz zufällig gefunden. Obwohl er ihn nicht verstand, reichte er ihn weiter an seinen Chef, Stan Williams. Der verstand ihn zunächst auch nicht, "aber irgendwas war dran an ihm", erzählt er bei einem Treffen im Deutschen Museum, "ich habe ihn immer wieder hervorgeholt und versucht dahinterzukommen".

Es dauerte vier Jahre, bis der Groschen fiel, aber dann erkannte Williams, Physiker und hochrangiger Forscher bei HP, dass er auf eine Goldmine gestoßen war. "Was wäre, wenn Sie eine Videokamera hätten, die in HD aufzeichnet und Sie könnten sie einfach ein Jahr lang laufen lassen?", fragt Williams. "Wir können uns viele kreative Designs vorstellen, die man damit verwirklichen könnte."

Das Geheimnis des Memristors

Doch worin besteht nun eigentlich das Geheimnis des Memristors, wieso haben Forscher, die seit Jahren an ähnlichen Projekten arbeiten, keine vergleichbaren Ergebnisse erzielt? Ein Memristor ist ein elektronisches Bauteil, das Informationen speichern kann, "doch er tut das weder in Form von Ladung noch von Energie", sagt Williams.

Es würden vielmehr Atome verschoben, wenn eine Spannung angelegt wird. Diese Verschiebung bleibt anders als beispielsweise bei Transistoren erhalten, wenn der Strom wieder aus ist. Und sie lässt sich messen, weil sich durch die Verschiebung der Widerstand des Bauteils ändert.

Das erklärt auch den Namen, er ist eine Zusammenziehung aus Memory (Speicher) und Resistor (Widerstand). Mit dem Wissen aus Chuas Theorie und seinen Kenntnissen der Eigenschaften verschiedener Materialien gelang es Williams 2007, einen Prototypen zu bauen, der sich genauso verhielt wie von Chua vorhergesagt.

So funktioniert der neue Super-Speicher

Der Theorie folgend, baute er in das Halbleitermaterial Titandioxid Sauerstoff-Fehlstellen ein. Legt man eine Spannung an, bewegen sich diese Fehlstellen im Material und verändern seinen Widerstand. Da Atome eine größere Masse als die sonst verschobenen Elektronen haben, kann man Speicherzellen viel kleiner bauen als bisher, und sie brauchen viel weniger Energie. "

Anderen Forschern fehlte einfach das Wissen von Chua", sagt Williams, "mir ist, als ob ich unter lauter Höhlenmenschen als einziger wüsste, wie man Feuer macht."

Dass Memristoren einmal die Welt der Speichertechnik beherrschen, in vielen Fällen sogar die heute verwendeten Transistoren ablösen werden, darf trotzdem nicht als ausgemacht gelten.

Noch lassen sich die Bauteile aus Titandioxid und Platin zwar bereits eine Milliarde mal ein- und ausschalten, das ist mehr als bei Speicherkarten, aber weniger als bei magnetischen Speichern wie etwa Festplatten. Und oft hätten sich schon schlechtere Technologien durchgesetzt, weil sie schneller da waren, sagt Williams.

2013 als Ersatz für Flash-Speicher

Memristoren sieht Williams zunächst als Ersatz für Flash-Speicher, wie er beispielsweise in MP3-Spielern steckt, auf USB-Sticks oder auf Speicherkarten für Digitalkameras. Im Herbst 2013, hofft er, würden die ersten dieser Geräte zu kaufen sein.

Nach weiteren zwei Jahren könnte die neue Technik anfangen, Festplatten mit ihren rotierenden Datenscheiben zu ersetzen. Einige Jahre danach wäre dann der schnelle SRAM-Speicher an der Reihe, der direkt auf den Chips sitzt, mit denen Computer rechnen.

Leon Chua, der demnächst eine Gastprofessur in München antritt, verweist auf einen Punkt, den er bereits in seinem Paper von 1971 ansprach. Das einzige Element, das ähnliche Eigenschaften aufweise wie ein Memristor, seien die Synapsen des menschlichen Gehirns. "Der Memristor ist genau das, was wir brauchen, um wirklich menschenähnliche Maschinen zu bauen."

In Stan Williams' Labor in Palo Alto, Kalifornien, gibt es bereits eine Arbeitsgruppe, die an einem Synapsen-Chip arbeitet. "Es ist nur ein Forschungsprojekt", sagt Williams, "wir wissen nicht, wohin das führt, aber was wäre, wenn wir etwas entdecken, das besser funktioniert als das menschliche Gehirn?"

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