Süddeutsche Zeitung

Retro-Games fürs iPhone:Das zweite Leben

Computerspiele, die früher begeisterten und dann verschwanden, feiern auf dem iPhone ihre Wiederauferstehung. Vier Titel im Porträt.

Ben Schwan

Dies ist eine Reise in eine eigentlich vergangene Welt. Da aber Mobiltelefone längst zu kleinen Computern geworden sind, eignen sie sich mittlerweile auch gut für Spiele. Neben neuen Titeln besonders beliebt sind dabei sogenannte Retro-Games, also Spiele, die aus ganz alten Zeiten und von längst eingestellten Plattformen stammen.

Besonders auf dem iPhone feiern solche Spieleklassiker im Wochentakt ihre Wiederauferstehung. Zu ihnen gehören vier besonders gelungene Titel, denen der Zahn der Zeit nichts anhaben konnte - im Gegenteil.

Die Giana Sisters gehören zu den besten Games, die in Deutschland jemals entstanden sind. 1987 vom populären mittelständischen Spieleverleger Rainbow Arts auf den Markt gebracht, war es die C64-Antwort auf den Super-Mario-Brothers-Hype, den es damals nur für das seinerzeit relativ teure Nintendo-Entertainment-System gab.

Die Schwestern aus Gütersloh hatten aber durchaus ihre Eigenständigkeit, grafisch genauso wie spielerisch. Giana und Maria wurden durch eine Jump-&- Run-Welt gejagt, die sich technisch gewaschen hatte. Dazu kam auch noch der perfekte Soundtrack des C64-Musikmagiers Chris Hülsbeck, dessen Tunes jedem Jungen, der in den Achtzigern groß wurde, auch heute noch wohlige Gefühle schenken.

Zweites Leben auf dem Handy

Die Reanimation der Giana Sisters für das iPhone ist mehr als eine einfache Portierung. Die ganze Spielewelt wurde modernisiert und grafisch deutlich aufgemotzt, was anfangs ungewohnt, später aber doch sehr schön ist; der Hersteller Bad Monkee bemühte sich redlich.

Im Endeffekt herausgekommen ist dabei ein erstaunlich zeitgemäßes Spiel, das sich gut steuern lässt und dank 80 neuer Level langen Spielspaß bietet. Man kann auch die alten Spielewelten, Retro Level genannt, erreichen; dazu muss man aber alle Stufen mindestens einmal durchgespielt haben.

Neben dem Chris-Hülsbeck-inspirierten Soundtrack erlauben die iPhone-Gianas auch das Abhören von auf dem Handy gespeicherter Musik - eine Funktion, die es bei viel zu wenigen Spielen für die Plattform gibt.

Anfang der Neunziger begann der PC zur Spieleplattform zu werden; besonders sogenannte Adventures von Herstellern wie Sierra oder LucasArts entwickelten sich zu Verkaufsschlagern. Dabei musste man keine Textwüsten mehr lesen oder eingeben, sondern konnte sich bequem durch interessante Storys klicken.

Zu den schönsten Titeln jener Jahre gehörte auch die Monkey-Island-Saga rund um den Möchtegern-Piraten Guybrush Threepwood, den man durch zahllose spannende Rätsel führen musste, bei denen man Objekte oder auch Sätze geschickt kombinierte. Optisch gesehen waren die Spiele für damalige Verhältnisse eine Augenweide, falls man einen Rechner mit der richtigen Grafikkarte besaß.

LucasArts hat die beiden ersten Teile der Monkey-Island-Reihe mittlerweile auf das iPhone portiert. Als Special Edition kann man im laufenden Spiel zwischen dem Classic-Modus, also der Originalgrafik, und einer aufgemotzten, hochauflösenden Version hin und her wechseln.

Das Spiel ist zudem komplett sprachsynchronisiert und bietet einen wundervoll stimmigen Soundtrack. Die Bedienung ist trotz des verhältnismäßig kleinen Bildschirms auf dem iPhone noch zu handhaben; sie wurde für die Plattform komplett überarbeitet, auch gibt es ein gelungenes Hilfesystem.

Der Witz und Charme des Originals wurde dagegen nicht angetastet. Und so erwischt man sich dabei, dass man über ein mittlerweile fast zwanzig Jahre altes Spiel herzlich lachen muss, weil man so gut unterhalten wird.

Prügeln mit Capcom

Man kann darüber streiten, ob Street Fighter IV wirklich ein Retro-Spiel ist; da das Original erst 2008 erschien, handelt es sich fast noch um ein neuzeitliches Game-Erlebnis. Trotzdem bringt die iPhone-Version ein Spielgenre auf das Smartphone, das bislang fehlte: das klassische Zweikampf-Prügelspiel.

Die Street-Fighter-Reihe des japanischen Herstellers Capcom existiert bereits seit 1987 und gilt als sehr erfolgreich. Und sie versammelt viele klassische Charaktere des Genres - etwa E. Honda, den Profi- Sumokämpfer, oder Ryu, den hippen Kung-Fu-Meister. All das wurde nun auf das iPhone exportiert, und das durchaus grafisch und spielerisch perfekt.

"Das ist ein echtes Streetfighter-Spiel in der Hosentasche, und es fühlt sich auch so an", heißt es in einem Review. So glaubt man gar nicht, dass sich ein Touchscreen ohne wirkliches physisches Feedback für ein Prügelspiel, bei dem man normalerweise ständig die richtigen Knöpfchen drücken muss, eignet.

Doch der berührungsempfindliche Multitouch-Bildschirm des iPhones tut es: Capcom hat einen virtuellen Stick erfunden, mit dem man seine Angriffskombinationen problemlos ausführen kann. Unschön an Street Fighter IV ist allerdings der standardmäßige geringe Umfang, den das mit acht Euro doch recht teure Game mitbringt; es könnte deutlich mehr Levels und Fights enthalten, da sind sich die Kritiker einig.

Aber offensichtlich will Capcom demnächst mit kostenpflichtigen In-App-Angeboten noch mehr Geld verdienen; dann kann man sich neue Charaktere und Szenerien gegen Aufpreis herunterladen.

Wem einzelne Spiele nicht ausreichen, der kann sich mit der vier Euro teuren Anwendung Commodore 64-Emulator seine Jugend (oder Kindheit) noch umfänglicher zurückholen: Dieser Emulator des legendären Brotkasten-Heimcomputers kommt mit offizieller Commodore-Lizenz und zeigt sich in liebevoller Umsetzung inklusive Datasette, On-Knopf und Röhrenfernseher-Optik.

Rund 30 verschiedene Original-C64-Titel kann man direkt innerhalb der App nachladen, einige (allerdings nur wenige bekannte) sind bereits ab Werk integriert. Das Angebot wächst regelmäßig: Zu Preisen zwischen 80 Cent und 1,60 Euro werden mittlerweile auch diverse alte Hits wie Paradroid, Wizball, Uridium oder Boulder Dash II verkauft; einige Titel sind auch für den kostenfreien Download zu finden.

Lizenzaufwand

Da der Hersteller des Emulators ganz legal vorgehen will und sich deshalb die Rechte jedes einzelnen alten Spieletitels sichern muss, bevor er ihn verkaufen kann, fehlt allerdings noch viel - etwa die Ware des populären Spielelabels Ocean (California Games) und auch ein Commando oder Vermeer würden der App sicher guttun.

Die Commodore-64-Emulator-Macher versprechen aber, weiter hart an mehr Stoff zu arbeiten. Ganz kritikfrei bleibt die ansonsten sehr schöne Software allerdings nicht: An die Touchscreen-Steuerung muss sich der C64-Freund anfangs gewöhnen.

Dafür gibt es einen praktischen automatischen Speichermodus, sodass der Spielfortschritt nicht verlorengeht. Auch der Sound stimmt, und ruckeln tut hier nichts - das iPhone erweist sich als prima Plattform.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2010/rp
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