Es beginnt harmlos. Ein Freundinnenstreit, wer hat wen eingeladen, man kennt das ja. Doch plötzlich schließen sich die Mitschüler gegen Sylvia Hamacher, damals 14 Jahre alt, zusammen, beleidigen und beschimpfen sie. In der Schule - und bald auch im Internet. Der Ton dort ist aggressiver, schließlich bleibt der Verfasser anonym.
Der schlechte Ruf im Netz ist nicht immer einfach zu korrigieren - nun will eine Versicherung die Kosten dafür decken.
(Foto: NLshop)Die Situation eskaliert. "Die Schlampe machen wir fertig, so lange bis sie freiwillig von der Schule geht", schreibt einer ihrer Peiniger per Nachrichtendienst Twitter. Täglich ist sie einer Flut solcher Kommentare ausgesetzt. Egal wo sie hingeht, nirgends ist sie sicher, jeder scheint zu wissen, was im Netz über sie verbreitet wird. Es genügt ja, ihren Namen zu googeln. So erzählt es Hamacher in der Fernseh-Talkshow Hart aber fair.
Heute ist sie 18, eine hübsche Frau mit schneewittchenhaft-blassem Teint und langem braunen Haar, sie steht kurz vor dem Abitur. Aber sie weiß noch genau, wie sie sich damals fühlte: "Es war, als ob ich innerlich zerbreche. Ich wurde psychisch so an meine Grenzen getrieben, dass ich nicht mehr wusste, wer ich war und wie ich war."
Mobbing, also das Ausgrenzen und Anprangern von Menschen, hat durch das Netz eine neue Dimension gewonnen. "Heute ist es sehr einfach, mit einem Blog oder Twitteraccount den Ruf einer Person nachhaltig zu schädigen - unabhängig davon, ob die Inhalte der Wahrheit entsprechen oder nicht", sagt Christian Scherg, Autor des Buches "Rufmord im Internet. So können sich Firmen, Institutionen und Privatpersonen wehren" und Chef der Revolvermänner, einer Agentur für Online-Reputation.
Jeder hat Angst vor dem Shitstorm
"Heute hat jeder Angst vor dem Shitstorm", sagt auch Holger Jung, Mitbegründer der renommierten Werbeagentur Jung von Matt. Tatsächlich münden die Attacken schlimmstenfalls in sogenannte Shitstorms, eine Art Tsunami massenhafter Online-Kritik, für Opfer unkontrollierbar. In den USA kämpft Sängerin Lady Gaga für ein Gesetz gegen Internet-Mobbing, nachdem sich einer ihrer Fans deshalb das Leben nahm.
Betroffene wie Sylvia Hamacher fühlen sich ausgeliefert. Merkt sich das Netz solche Einträge nicht ewig, fragte sie sich als junges Mädchen. Und: Hat all das nicht schwere Folgen für später, für das richtige, das analoge Leben? Nicht nur das private Umfeld könnte irritiert auf die digital verbreiteten Gerüchte reagieren, sondern auch ein Personalchef, der die Bewerbung aussortiert - aus Sorge, die Bösartigkeiten im Netz enthielten doch ein wenig Wahrheit.
Es ist diese wachsende Angst vor dem beschädigten Online-Image, die Versicherer ein lohnendes Geschäft wittern lässt. So hat die französische Axa Ende Januar ein Produkt auf den Markt gebracht, das Privatpersonen vor einem schlechten Ruf im Netz schützen soll. "Protection Familiale Intégrale" heißt es, die Zielgruppe ist zunächst begrenzt - Familien und Privatleute in Frankreich -, soll aber ausgeweitet werden, wenn das Geschäft sich lohnt. Danach sieht es bisher aus: Nach eigenen Angaben hat der Konzern in den wenigen Wochen seit Verkaufsstart bereits 10.000 Policen verkauft.
Aufpolierter Online-Ruf
Versichert werden können Fälle wie der Hamachers, soweit die Police vor Eintritt des Schadens abgeschlossen wurde. Aber etwa auch ein Sohn, der als Jugendlicher selbst kompromittierende Fotos bei Facebook veröffentlicht hat: Schließt er eine Police ab und ihm wird Jahre später eine Stelle wegen ebendieses Bildes verwehrt, springt die Axa für ihn ein, so das Versprechen.
Sie übernimmt die Kosten für eine Art Säuberung des Internets, die Partneragenturen wie Reputation Squad durchführen: Sie fordern Betreiber der Seite dazu auf, unerwünschte Einträge zu löschen. Sie überwachen Informationen über die Versicherten, die im Netz zu finden sind, und sie polieren deren Online-Ruf auf, indem sie existierende positive Internetseiten so gestalten, dass Google sie höher rankt als bisher.