Republica:Wie Twitter und Facebook gegen Depressionen helfen können - oder sie verstärken

Zwei Depressionskranke erzählen, wie sich soziale Netzwerke auf ihre Krankheit ausgewirkt haben. Und welche Rolle Hashtags wie #NotJustSad oder #ausderklapse dabei spielen.

Von Sara Weber, Berlin

Die Hauptsymptome einer Depression sind bei allen Betroffenen ähnlich: Konzentrationsschwierigkeiten, Antriebslosigkeit, das Gefühl, in einer grauen Wolke gefangen zu sein. Doch wie Depressionskranke damit umgehen, wie sie wieder gesundwerden, das variiert. So wie bei Uwe Hauck und Kati Krause.

Sie sprechen auf der Republica in Berlin über Depression und ihren Umgang mit Social Media. Beide waren depressiv, beide wollten ihre Krankheit aber nicht verheimlichen. Doch abgesehen davon gehen ihre Erfahrungen auseinander: Krause zog sich ins Private zurück und verbannte soziale Netzwerke fast komplett aus ihrem Leben. Hauck hingegen öffnete sich der ganzen Welt - auf Twitter.

Doch bevor sich Uwe Hauck derart öffnen konnte, musste er erst an seinen persönlichen Tiefpunkt kommen: Er versuchte, sich umzubringen, lieferte sich daraufhin selbst in eine Klinik ein und verbrachte die ersten fünf Tage im geschlossenen Bereich, ohne Kontakt zur Außenwelt. "Meine Twitter-Follower fragten sich, wo ich bin", erzählt er am Telefon. "Da hatte ich die Wahl: Entweder ich lüge die nächsten acht bis zehn Wochen oder ich bin ehrlich." Die Entscheidung sei schnell gefallen, sagt er: "Ich wollte kommunizieren und offen darüber sprechen."

#ausderklapse: Klinik, Maltherapie und der echte Alltag

Unter dem Hashtag #ausderklapse berichtete Hauck von seinem neuen Alltag, postete Bilder von seiner Maltherapie und dem Gebäude, in dem er untergebracht war. "Ich wollte, dass andere einen Einblick bekommen, wie die Realität in der Klinik aussieht", sagt er. Es sei dort nicht wie im Film "Einer flog über das Kuckucksnest", und Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, seien auch weder verrückt noch gefährlich. Diesem Stigma etwas entgegenzusetzen war Hauck wichtig, sagt er.

Dass andere seine Ehrlichkeit und Offenheit als mutig empfinden könnten, war ihm nicht bewusst. "Ich dachte am Anfang, mit vielen Trollen konfrontiert zu werden", sagt Hauck. Doch letztlich gab es nur zwei Personen, die ihn "ein bisschen getrollt" haben, wie er es formuliert. Abgesehen davon gab es keine negativen Reaktionen. "Viele haben mir geschrieben, dass sie toll finden, was ich da mache, dass sie jetzt einen Freund mit Depressionen besser verstehen oder sich trauen, selbst zum Arzt zu gehen."

Mit seinen Ärzten hat Hauck nicht direkt über Twitter gesprochen - aber über die Frage, wie er mit seiner Krankheit am besten umgehen sollte. "Wenn sie sich trauen, dann reden sie darüber", hätten die Ärzte zu ihm gesagt. "Ich brauchte die Kommunikation, aber auf eine Art, die mir wirklich hilft", sagt er. Was seine Freunde auf Facebook posteten, sah er sich nicht an, weil er sich nicht nach außen orientieren und mit anderen vergleichen wollte, sagt er. Auf Twitter hingegen bildete sich schnell eine enge Gemeinde, die mit ihm über seine Krankheit sprechen wollte. "Da musste ich mir überlegen, was ich sage, wie ich meine Gefühle beschreibe. Auch das hat mir weitergeholfen", sagt Hauck.

Depressiongrams und #NotJustSad

Hauck selbst schreibt jetzt ein Buch über seine Depression. "Was ich in der Klinik gelernt habe? Therapeuten können dich nicht heilen, sie können dir nur helfen. Machen musst du immer selbst. Deshalb habe ich auch für mich entschieden, dass Twitter mir guttut." Er habe sich endlich nicht mehr verstellen müssen, und so andere Leute kennengelernt, denen es ähnlich geht. "Rückblickend war Twitter für mich Teil des Heilungsprozesses", sagt Hauck.

Mit dieser Erfahrung ist Hauck nicht allein: Auch andere Depressionskranke nutzen soziale Netzwerke, um über ihre Krankheit zu sprechen. Mittlerweile haben auf Twitter einige andere Nutzer den Hashtag #ausderklapse aufgegriffen, um von ihren Erfahrungen aus psychiatrischen Kliniken zu berichten. Bloggerin Jana Seelig startete im Herbst 2014 den Hashtag #NotJustSad, unter dem sich Betroffene austauschen und über ihre Gefühle sprechen können.

Autorin Jamie Lauren Keiles teilte auf Instagram sogenannte "Depressiongrams": Selfies im Verlauf der Krankheit, Bilder von Medikamentendosen, Einträgen in ihr Stimmungstagebuch, Armbänder aus der Psychiatrie. "Mit Instagram habe ich eine Ecke des Internets gefunden, in der ich sicher war und die Bilder meines schrecklichen Lebens in Echtzeit auskotzen konnte, ohne gezwungen zu sein, zu sagen, was ich brauchte oder zu interpretieren, was all das bedeutete", schreibt sie in einem Blogpost.

Kati Krause verbannte Social Media aus ihrem Leben

Bei Kati Krause hingegen war das anders: Sie konnte erst richtig heilen, nachdem sie soziale Netzwerke aus ihrem Leben verbannte. Seit mehr als einem Jahr hat sie keine Social-Media-Apps mehr auf ihrem Telefon, im Browser hat sie sich mit Hilfe einer App eine zeitliche Begrenzung gesetzt: zehn Minuten Instagram und Facebook am Tag sind erlaubt, mehr nicht, erzählt sie am Telefon. Und selbst posten? Tut Krause gar nicht mehr.

"Die Zeit meiner Depression war geprägt von einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne und wenig Antrieb. Für mich war es schwer, nicht bei Facebook reinzuschauen", sagt sie". Jedes Mal, wenn eine neue Mitteilung aufploppte, stieß ihr Körper Dopamin aus. "Das war so schön, sich nochmal kurz gut zu fühlen", sagt Krause. "Ich dachte immer: Vielleicht ist ja doch noch was passiert, ich schau lieber nochmal. Aus diesem Teufelskreis herauszukommen war sehr schwer."

Das Problem: Interfaces von Webseiten und Apps sind häufig so gestaltet, dass es den Nutzern möglichst schwer gemacht wird, sich davon fernzuhalten: Jede neue Benachrichtigung verspricht schließlich Befriedigung. "Dessen sollte man sich in einer Depression bewusst sein", sagt Krause. Es liege nicht an der eigenen Willenskraft, wenn man auf Facebook hängenbleibe. "Schließlich ist es schon für gesunde Menschen schwer, aus bestimmten Diensten auszusteigen."

Facebook-Abstinenz war nicht das Ende der Depression

Aber als sie es einmal geschafft hatte, war es nicht mehr allzu schwer, wegzubleiben, sagt sie, schließlich hatte sie Facebook und andere Netzwerke nicht einfach so verlassen. "Bei mir hatte es einen Grund, der alle anderen übertroffen hat: nämlich meine Gesundheit." Und in dem Moment, in dem sie all diese Seiten aus ihrem Leben verbannt hatte, ging es ihr besser, "weil dieser Teufelskreis, der sich extrem schädlich angefühlt hat, weg war".

Dieser Schritt war natürlich nicht das Ende ihrer Depression, das betont Krause, aber er war "ein Faktor, der mir täglich akut Schaden zugefügt hat", und den habe sie eliminiert. Dass es ihr helfen könnte, soziale Netzwerke zu meiden, hatte kein Arzt jemals zu ihr gesagt. Doch als sie nachfragte, antwortete ihre Psychologin ihr, dass sie schon häufig beobachtet habe, dass Social Media ein Stressfaktor sei. "Wer depressiv ist, ist wahnsinnig stressanfällig", erklärt Krause, "und ständige Erreichbarkeit ist ein Stressfaktor - genau wie das tolle Leben anderer Leute zu sehen, während du dich selbst wie ein Loser fühlst".

Offen mit der Krankheit umgehen, ganz ohne soziale Netzwerke

Was Krause mit Hauck gemeinsam hat: Auch sie hat sich entschlossen, sehr offen mit ihrer Krankheit umzugehen. In einem Post auf der Blog-Plattform Medium (der später auch ins Deutsche übersetzt wurde), machte sie publik, warum sie sich aus allen sozialen Netzwerken zurückgezogen hatte. Über ihre Krankheit twittern, das wollte sie nicht. "Mir war von Anfang an sehr wichtig, offen damit umzugehen, aber mein Mitteilungsbedürfnis beschränkte sich auf Menschen, die mir nahestehen." Auf Facebook an hunderte Verbindungen zu posten, das hätte ihr nichts gebracht, sagt sie. "Aber auch das musste ich selbst lernen."

Ob sie sich jetzt, nach mehr als einem Jahr Funkstille, vorstellen kann, doch wieder mal bei Facebook oder Twitter zu posten? Sie ist sich nicht sicher, sagt Krause: "Vor kurzem hatte ich großes Mitteilungsbedürfnis und habe überlegt, ob ich wieder twittern sollte. Aber dann habe ich überlegt, ob ich das wirklich will, schließlich verpflichte ich mich damit wieder." Sie besprach sich mit ihrer besten Freundin. Die meinte: "Ja, du solltest wieder anfangen." Doch als Krause sie nach einem Grund fragte, sei ihnen beiden keiner eingefallen, sagt sie. Deshalb hat sie nichts gepostet. Und Twitter einfach wieder zugemacht.

Wenn Sie sich selbst in einer Krise befinden, finden Sie hier Hilfsangebote. Unter der kostenlosen Hotline 0800 33 44 533 der Deutschen Depressionshilfe geben Psychologen Informationen zur Krankheit. Die Telefon-Seelsorge Deutschlands ist rund um die Uhr unter der kostenlosen Hotline 0800 111 0111 und 0800 111 0222 zu erreichen.

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