Süddeutsche Zeitung

Reparatur von alten Fernsehern und Handys:Da geht noch was

Der Fernsehbildschirm bleibt schwarz, da muss ein neuer her, oder? I wo! In mehr und mehr sogenannten Repair Cafés hauchen ehrenamtliche Bastler alten Geräten neues Leben ein.

Von Anja Perkuhn

Am Anfang war die Katze. Dem Jack-Russell-Terrier der Familie war das ewige Miauen zu viel geworden und er hatte dem Spielzeugtier kurzerhand einige Verbindungen zum Kopf durchtrennt. Weshalb die Kinder nun sehr traurig waren. Eines Nachts setzte sich Thomas Lührsen, Elektriker von Beruf, also hin mit der ramponierten motorisierten Katze. Machte sie "dann mal so von hinten-unten auf", um die Kabel wieder mit den Sensoren am Kopf zu verbinden.

Seitdem ist Lührsen der Elektro-Spielzeugdoktor. So nennt er sich im Internet, der Notarzt für alle, die ein ähnliches Schicksal erleiden und sich eine Reparatur in einer Werkstatt nicht leisten können. Sie sollen das Spielzeug einfach zu ihm nach Niedersachsen schicken in seine kleine Hobbywerkstatt. Er bringt es wieder in Ordnung - kostenlos.

Die Ersten, die holpernde Carrera-Bahnen, klatschfaule Klatschaffen und flugunfähige Mini-Helikopter einschickten, waren Apotheker, Anwälte, Ärzte. Sicher nicht, weil sie die Dinge nicht hätten neu kaufen können oder weil sie tatsächlich wertvoll gewesen wären. Sondern weil sie es durch die Augen ihrer Kinder betrachtet wert waren, gerettet zu werden. Was weiß ein Kind da, was wir nicht wissen?

Um das vielleicht ansatzweise begreifen zu können, muss man sich ansehen, in welchem Verhältnis der Mensch eigentlich zu seinen Geräten steht.

Die Renaissance des Reparierens, sie wurde schon oft ausgerufen. Genau wie die aufziehende Sorglosigkeits-Apokalypse im Umgang mit materiellen Gütern. Der Trend zum Wegwerfen statt Reparieren geht zum Reparieren statt Wegwerfen - und wieder zurück. Die Sehnsucht nach der Nachhaltigkeit ist in den vergangenen Jahren spürbar größer geworden, oder zumindest die nach dem Gefühl von Nachhaltigkeit. Gleichzeitig wird es einem aber auch oft schwergemacht, das Prinzip ohne größere Anstrengungen zu leben.

Durchschnittlich 1,7 Millionen Tonnen Elektro- und Elektronikgeräte sind in den vergangenen Jahren in Deutschland jährlich neu in Umlauf gekommen, hat das Bundesministerium für Umwelt ermittelt. Nach EU-Normen verwertet, behandelt, wiederverwendet werden jährlich etwa 700 000 Tonnen Altgeräte. Das sind unter anderem Haushaltsgeräte, strombetriebene Werkzeuge, Spielzeug, sowie Unterhaltungselektronik, IT- und Kommunikationsgeräte - also Fernseher, Handys, Computer. Letztere machen in der Masse der Neuanschaffungen fast ein Drittel aus. In den Neunzigern war die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Computers noch etwa dreimal so lange wie heute, bei Fernsehern ist es ähnlich.

Alt oder neu, wegwerfen oder reparieren - die Rechnung ist eigentlich ganz einfach. Wenn beispielsweise ein Fernseher nicht mehr brillante Farben zeigt, sondern nur noch LCD-Düsternis: Was hat er gekostet? Wie viel ist er noch wert, wenn der allgemeine Wertverlust von Elektrogeräten etwa zehn bis fünfzehn Prozent pro Jahr der Nutzung beträgt? Was kostet die Reparatur? Was kostet ein neuer Fernseher? Ein paar Bleistiftkritzeleien später steht die Entscheidung fest - und sie tendiert eben immer häufiger zum Neukauf.

Auch, weil eine Reparatur aus vielen Gründen nicht mehr zwingend die einfachste Möglichkeit ist und schon gar nicht die günstigste. Muharrem Batman, 47, arbeitet seit seiner Jugend im Reparaturgeschäft, mit seiner Werkstatt "Batman Elektronik" zieht er gerade um, in einen größeren Laden in Berlin-Neukölln, denn er hat den Absprung geschafft: Er repariert auch Computer, dadurch hat er noch genügend Aufträge.

"Die ganzen Werkstätten hier in der Gegend, die sich auf Kühlschränke und Fernseher beschränkt haben, sind in den letzen Jahren ausgestorben", sagt er. "Vor ein paar Jahren haben Flachbildfernseher noch eine Menge Geld gekostet, heute kriege ich schon einen für 150 Euro. Wie soll sich da eine professionelle Reparatur lohnen, die vielleicht einen oder zwei Tage dauert?"

So lange dauert sie unter anderem auch, weil sich die Bedingungen verändert haben: In der Fertigung werden zunehmend Kompaktbauteile verwendet, oft sind die Geräte nicht mehr verschraubt und damit relativ leicht zu öffnen, sondern fest verklebt. "Früher haben Firmen, die Elektronik herstellen, immer die dazugehörigen Schaltpläne mitgeliefert, manchmal auch Reparatur-Kits. Das tun sie heute nicht mehr und wir müssen hier bei null anfangen und erst einmal nach den möglichen Schwachstellen forschen", sagt Batman. Hobbybastler sitzen da natürlich ähnlich ratlos vor den Geräten.

Wenn Batman davon spricht, was sich alles nicht mehr zu reparieren lohnt, klingt er resigniert, seufzt oft erst einmal, bevor er antwortet. Er hat seinen eigenen Weg gefunden, mit diesem Gefühl der Hilflosigkeit umzugehen: Aus Elektronikschrott baut er Kunstwerke, darunter ist auch ein Kleid aus ausrangierten grünen Leiterplatten mit goldenem Aufdruck. Wer es tragen könnte, weiß Batman auch schon: Das Popmusikerinnen-Gesamtkunstwerk Lady Gaga - es wäre sein Protest dagegen, dass man die Bauteile einfach zu Schrott erklärt. "Ich glaube, die Menschen würden Dinge lieber reparieren lassen oder weiterverwenden, als sie wegzuschmeißen", sagt Muharrem Batman. "Wenn sie könnten."

Aber ist der Verbraucher überhaupt ein williger Weiterverwerter, der nur vom System daran gehindert wird?

Stefan Schridde sagt: nein. Der Diplom-Betriebswirt aus Berlin beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der geplanten Obsoleszenz, also dem, was man früher entweder naserümpfend oder schulterzuckend "Sollbruchstelle" nannte und was in den Zwanzigern sogar einmal als möglicher Weg aus der Weltwirtschaftskrise diskutiert worden ist. Gemeint ist damit die Taktik der Hersteller, den Verschleiß von Produkten gezielt zu beschleunigen, um den Verbraucher zu einem baldigen Neukauf zu bewegen. Mit dem Internetportal "Murks? Nein danke!" kämpft Schridde gegen geplante Obsoleszenz in technischen Geräten.

Zuallererst, sagt er, müsse man in der Öffentlichkeit eine andere Wahrnehmung zum Thema Nachhaltigkeit erzeugen. "Es geht dabei nicht um das Problem Wegwerfgesellschaft, sondern um Wegwerfprodukte. Wenn wir es uns gefallen lassen, dass es sie gibt, sind wir selber schuld." Denn, so sieht das Schridde, in einem Kreislauf - und nichts anderes ist ja das Prinzip der Nachhaltigkeit - könne sich keiner aus der Verantwortung stehlen.

"Die kaufende Gesellschaft muss dem Hersteller deutlich mitteilen, was sie vom Hersteller erwartet. Entweder politisch über Gesetze oder beim Einkauf." Und dort entweder über Kaufentscheidungen: gegen den zusammengeklebten Föhn für 6,99 Euro und für das Gerät, für das der Hersteller garantiert, noch mindestens fünf Jahre nach Ende der Produktion Ersatzteile bereitzuhalten - eines der Kriterien für das Umweltzeichen "Blauer Engel". Oder mit konkreten Forderungen, wie der nach einer solchen Fünf-Jahres-Garantie. Das praktisch umzusetzen versucht Schridde gerade.

Doch was helfen solche praktischen Projekte gegen eine andere Art von Obsoleszenz, eine psychische: das - auch vom Hersteller erzeugte - Gefühl, dass Produkte an Wert verlieren, sobald das Design älter, das Lifestyle-Gefühl ein anderes geworden ist. "Früher fragte man sich beim Kauf eines Produktes: Wie ist das Verhältnis von Kosten und Nutzen?", sagt der Betriebswirtschaftler Schridde. "Heute vermittelt uns die Werbung: ,Hauptsache, das Leben macht Spaß! Neukaufen ist nicht schlimm, das gehört zum guten Ton!'"

Gefühligkeitsgeräte dieser Art stellt zum Beispiel Apple im großen Maßstab her, das iPhone setzt in dieser Hinsicht Standards. Und lässt aber gleichzeitig auch lukrative Nischen entstehen aus Problemen, die die Hersteller nicht oder nicht zufriedenstellend lösen: Während universelle Reparaturwerkstätten nicht mehr genügend Aufträge bekommen, gibt es immer mehr spezialisierte Smartphone-Rettungsstellen, zum Beispiel für das spontane Auswechseln von gesplitterten Displays.

Oder wenn das Handy sein nasses Grab in einer Toilettenschüssel gefunden hat und man es mit beherztem Griff ins Klo gerade noch retten konnte. Der Hersteller hat allerdings Indikatoren ins Gehäuse eingebaut, die sich von Weiß nach Rot verfärben, wenn sie nass werden - das war's mit der Garantie. Nun gibt es aber Reparaturshops, die nicht das Telefon reparieren, sondern die verfärbten Indikatoren austauschen gegen unschuldig-blütenweiße. Austauschen lassen, an den Hersteller schicken, bangen, hoffen. Und dann: endlich wieder spielen.

Unser Handy ist unser Klatschaffe. Ein Kühlschrank wird das nie sein. Weil wir selten unsere intimsten Geheimnisse ins Gemüsefach flüstern. Weil er einfach funktionieren soll, und gern noch nicht allzu plump aussehen dabei. Obsoleszenz, ob geplant oder psychisch, ist also nur der neuralgische Punkt, an dem sich das Thema Nachhaltigkeit gerade reibt, nicht der Kern der Sache. Der liegt beim mündigen, verantwortungsvollen Bürger selbst. Auch wenn zum Beispiel die vielen verschiedenen Biolabels und überhaupt die Fülle an Informationen verwirren und kaum einer die Zeit aufbringen will, sich mit all dem zu befassen.

Allein in München, einer Stadt, in der an einem windigen Tag schon mal drei wertvolle Regenschirme kopfüber in einem einzigen Mülleimer stecken, listet der Verbund Offener Werkstätten elf Einrichtungen, in denen sich Menschen in Repair Cafés und Bastelräumen treffen, ehrenamtliche Elektriker, Rentner mit kaputten Leselampen, Metaller, Studenten mit verbogenen Fahrrädern, Mechaniker. Vielleicht sind das nur winzige Pünktchen im Gesamtbild. Aber da stehen sie dann, die großen Kinder, und retten, was ihnen rettenswert erscheint.

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Quelle:
SZ vom 02.02.2013/mri
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