Süddeutsche Zeitung

Online-Hetze:Künast siegt vor Gericht in Hate-Speech-Verfahren

  • Das Berliner Kammergericht hat mehrere üble Online-Beschimpfungen gegen die Grünen-Politikerin als Beleidigung gewertet.
  • Damit widersprechen die Richter einer umstrittenen Entscheidung des Berliner Landgerichts, in der die Facebook-Posts noch als hinnehmbar bezeichnet wurden.
  • Die Nutzer hinter den Posts könnten dennoch straffrei bleiben.

Von Max Hoppenstedt

Renate Künast hat nun doch noch einen Sieg errungen. Im September hatte das Berliner Landgericht entschieden, dass Online-Kommentare wie "Drecks Schwein", "Schlampe" und noch drastischere sexistische Ausdrücke keine Beleidigungen seien. Geklagt hatte die Grünen-Politikerin Renate Künast, gegen die sich die Kommentare richteten. Das Berliner Landgericht fand, dass die Kommentare Meinungsäußerungen seien und das Künast die Beschimpfungen hinnehmen müsste. Der Beschluss sorgte deutschlandweit für Kritik. Nun hat die nächsthöhere Instanz, das Berliner Kammergericht, die ursprüngliche Entscheidung des Landgerichts weitgehend revidiert. Das geht aus einem Beschluss hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

"Die Äußerungen weisen einen so massiven diffamierenden Gehalt auf, dass sie sich als Schmähkritik einordnen lassen", heißt es in dem Beschluss vom 11. März. Künast hatte gegen insgesamt 22 Beiträge von Nutzern geklagt. Bereits im Januar hatte das Landgericht in einem sogenannten Abhilfebeschluss zumindest sechs der Beiträge als Beleidigungen eingestuft. Die Richter am Kammergericht bestätigten diesen Beschluss nun und bewerteten noch sechs weitere Kommentare als strafbare Beleidigungen. Darunter sind besonders sexistische Beschimpfungen, wie ein Beitrag, in dem ein Facebook-Nutzer geschrieben hatte: "Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird."

"Natürlich freue ich mich über diesen Erfolg und wahrscheinlich viele andere Betroffene auch", sagt Renate Künast. "Solange aber Beleidigungen und Androhungen im Netz gezielt stattfinden, werden ich und andere weiter klagen. Ziel muss es doch sein, dass auch das Recht im digitalen Zeitalter ankommt." Ein Sprecher des Kammergericht bestätigte den Beschluss auf Anfrage.

Warum die Nutzer trotzdem straffrei bleiben dürften

Das Landgericht hatte seine kontroverse Entscheidung im Herbst auch damit begründet, dass Politiker aufgrund ihrer öffentlichen Rolle sehr viel massivere Kritik akzeptieren müssten als normale Bürger. In ihrer Begründung hinterfragten die Richter des Kammergerichts nun, ob die aktuelle Rechtslage noch zeitgemäß sei. Das sieht auch Anwalt Severin Riemenschneider so, der Renate Künast vor Gericht vertrat: "In Zeiten zunehmender Hetze und Gewalt gegen Politiker stellt sich die Frage, ob nicht die Rechtsordnung und die Justiz sich stärker schützend vor politische Entscheidungsträger stellen müssen." Der tödliche Anschlag auf den CDU-Politiker Walter Lübcke habe bewiesen, dass Hetze in Gewalt münden könne. "Dieser Beschluss des Kammergerichtes ist auch deshalb bedeutsam, weil es ja Kritik ausdrückt an der derzeitigen Rechtslage und der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes", sagt Künast.

Da das Gericht insgesamt zehn Beiträge nicht als Beleidigung bewertete, kündigte Riemenschneider an, prüfen zu wollen, ob jetzt in einem nächsten Schritt eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben könnte.

"Wir sind froh, dass das Kammergericht erkannt hat, mit welch grob frauenverachtenden und entwürdigenden Beleidigungen wir es hier zu tun haben", erklärte Anna-Lena von Hodenberg von der Organisation Hate Aid, die Opfer von Online-Hetze unterstützt. "Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist im Netz an der Tagesordnung", sagt von Hodenberg. Der aktuelle Beschluss sei aber nur ein Teilerfolg. Hate Aid hatte im aktuellen Verfahren die Prozesskosten finanziert.

Ob die Nutzer hinter den beleidigenden Facebook-Posts bestraft werden, ist allerdings auch nach der aktuellen Entscheidung unklar. Künast hatte darauf geklagt, dass es Facebook nach dem Telemediengesetz erlaubt wird, unter anderem die IP-Adresse der Nutzer herauszugeben. Mit dieser IP-Adresse kann durch eine Abfrage bei Internet-Anbietern wie der Telekom eine Wohnadresse und der bürgerliche Name eines Nutzers ermittelt werden. Nun kommt es also darauf an, ob Facebook und die Internet-Anbieter die entsprechenden Nutzerdaten weitergeben. Nach der Einführung des Maßnahmenpakets gegen Hasskriminalität, das in den nächsten Monaten beschlossen werden soll, wäre dieser komplizierte Weg in vielen Fällen nicht mehr notwendig - das Bundeskriminalamt (BKA) hätte die IP-Adresse dann bereits gespeichert. Denn die Bundesregierung will Social-Media-Unternehmen wie Facebook verpflichten, Daten von Nutzern an das BKA weiterzuleiten, wenn sie möglicherweise Strafbares gepostet haben

Im Kampf gegen strafbare Online-Hetze kommt Richtern deshalb bald eine noch wichtigere Rolle als bisher zu. Ob Nutzer am Ende wirklich verurteilt werden, werden dann Richter vor Ort entscheiden. Denn das BKA wird die Fälle nach einer Prüfung an lokale Staatsanwaltschaften weitergeben. Angesichts der Masse an Posts, die soziale Medien jedes Jahr löschen, könnten deutschlandweit mehrere Hunderttausend Fälle auf Richter zukommen. Wo Gerichte im Einzelfall die Grenze zwischen strafbaren Inhalten und freier Meinungsäußerung ziehen, wird eine der wichtigsten Fragen werden im Kampf gegen sogenannte Hassrede sein.

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