Regierung kippt Internetsperren:Die Union wacht auf

Lange verschloss die CDU die Augen. Ihre Einsicht, dass Stoppschilder gegen Kinderporno-Seiten im Internet nichts bringen, darf nur der Anfang sein.

Johannes Boie

Kleine Kinder halten sich gerne die Hand vor die Augen, wenn sie nicht ertragen, was sie sehen. Als Erwachsener sollte man begriffen haben, dass diese Strategie auf Dauer wenig hilft. Doch nicht jeder hat die Lektion verstanden - die Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) bis heute nicht.

Regierung kippt Internetsperren: Ein Gesetz hätte mehr Probleme geschafft als beseitigt

Ein Gesetz hätte mehr Probleme geschafft als beseitigt

(Foto: Foto: dpa)

Wie sonst hätte sie auf die Idee kommen können, Kinderpornographie im Internet hinter digitalen Stoppschildern verbergen zu wollen, anstatt die Seiten löschen zu lassen? Ein entsprechendes Gesetz wurde in der vergangenen Legislaturperiode von CDU und SPD gemeinsam beschlossen. Derzeit liegt es beim Bundespräsidenten zur Unterzeichnung. Immerhin: Jetzt fiel endlich auch der Union auf, dass das Gesetz mehr Probleme schafft als es jemals beseitigen könnte.

In einem Brief an den Bundespräsidenten distanziert sich die Bundesregierung von dem Gesetz. Besser spät als nie. Nach der SPD ist die CDU die zweite Partei, die beim Thema Kinderpornographie im Netz einen Richtungswechsel bei voller Fahrt riskiert. Leider ist zu vermuten, dass dies weniger aus Einsicht in die klugen und starken Argumente der Gesetzesgegner geschieht, als aus Angst vor der Abkehr junger Wähler, die mit dem Netz aufgewachsen sind.

Dabei ist die Erkenntnis, dass Kinderpornographie im Netz gelöscht statt gesperrt gehört, banal. Hunderttausende Bürger, die gegen das geplante Gesetz auf Listen unterschrieben, auf den Straßen und im Netz demonstrierten, kennen die Argumente: Kinderpornographie wird im Netz kaum über Webseiten verbreitet, Pädophile nutzen stattdessen zum Beispiel Chatsysteme.

Missbrauch für Zensurmaßnahmen

Aber nur Internetseiten wären von dem Gesetz betroffen gewesen - das kriminelle Treiben der Pädophilen-Szene wäre also kaum gestört worden. Kinderpornographie auf Webseiten wird außerdem bereits heute weltweit schnell gelöscht.

Die geplanten Sperren wären zudem nicht nur für Pädophile mit minimalem Aufwand innerhalb weniger Sekunden zu umgehen gewesen. Und die teure Technik, die für die Sperren bei Internetprovidern - zum Beispiel der Telekom - installiert werden müsste, könnten leicht für Zensurmaßnahmen missbraucht werden.

Dabei hätte das Bundeskriminalamt allein die Befugnis bekommen, über die Sperrung einzelner Seiten zu entscheiden - ohne Richtervorbehalt, ohne Kontrollinstanz. So wäre die Gewaltenteilung bedroht gewesen. Und schlussendlich hätte das Gesetz kein einziges missbrauchtes Kind vor seinen Peinigern geschützt. Statt den Opfern wäre den Tätern geholfen worden: Das digitale Stoppschild hätte Pädophilen allenfalls signalisiert, Vorsicht walten zu lassen.

Tritt das Gesetz nicht in Kraft, dann ist das ein Sieg für die Demokratie und die Informationsfreiheit im Internet. Und jetzt? Jetzt wird hoffentlich dort gegen Kinderpornographie gekämpft, wo sie entsteht: Nur in der realen Welt kann ein Kind missbraucht werden. Es bedarf allerdings mehr als eines Mausklicks, um den Missbrauch zu bekämpfen.

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