Re:publica:Achter Kontinent

Nach eigenen Regeln im Netz leben: Die Bloggerkonferenz Re:Publica suchte Lösungswege aus der Stagnation im Internet - die waren jedoch meist politischer Art.

J. Boie

Vieles hat sich in den letzten Jahren in der digitalen Welt verändert. Das Netz hat sich professionalisiert und zunehmend kommerzialisiert. Die digitale Anarchie der Neunziger Jahre ist in weite Ferne gerückt. Nach und nach etablieren sich sogar funktionierende Bezahlmodelle. Und doch bleibt das Netz eine Herausforderung für Politik, Kultur und Gesellschaft. Beides, Entwicklung wie Stagnation des Netzes, spiegelte sich in der Konferenz "Re:Publica" wider, die von Mittwoch bis Freitag in Berlin stattfand.

Rund 2700 Besucher waren gekommen um im Friedrichstadtpalast und dem Veranstaltungszentrum Kalkscheune Experten und Beteiligten des digitalen Lebens zuzuhören. Die Veranstalter, das Berliner Bloggerpaar Tanja und Johnny Haeusler und der Internetlobbyist Markus Beckedahl, setzten mit der Konferenz nach eigenen Angaben rund 270000 Euro um. 60 unbezahlte Helfer, rekrutiert aus der in Berlin stets greifbaren Schar enthusiastischer Aktivisten, arbeiteten wochenlang für die Konferenz, die dann tatsächlich gut organisiert war und reibungslos ablief. Dies sind beeindruckende Zahlen, für eine Szene, die vor allem dafür bekannt ist, dass sie um sich selber kreist.

Interesse fachlicher Natur

Doch auf der "Re:Publica" wurde deutlich, dass der kleine hartgesottene Kern bekannter Blogger nach und nach aufbricht und an Bedeutung verliert. Jene selbstreferentiellen Blogger, die die Szene noch vergangenes Jahr dominierten, tauchten auf der "Re:Publica" zwar auf, waren aber im Großen und Ganzen damit zufrieden, im Innenhof der Kalkscheune kleine Gruppen ihrer Fans um sich zu versammeln. Auf den wichtigen und großen Podien saßen dagegen vor allem Profis, deren Interesse am Netz fachlicher Natur ist. Längst haben sich an den Rändern der Netz-Bewegung Spezialisten aus verschiedenen Fachrichtungen, mit unterschiedlichen Interessen und Handlungsweisen, etabliert. Dabei bedient sich die deutsche Szene, die trotz aller Entwicklung im Vergleich mit den USA oder Großbritannien einen provinziellen Charakter aufweist, klugerweise auch ausländischer Experten.

Der Blick über den nationalen Tellerrand gehörte auf der "Re:Publica" mit zu den herausragenden Erlebnissen, etwa die Vorträge des amerikanischen Rechtsexperten Marvin Ammori und des niederländischen Medientheoretikers Geert Lovnik, der die deutsche Szene sehr deutlich von außen beurteilte. Für seine klaren Ansagen wäre er auf der gleichen Konferenz vor einem Jahr noch angegriffen worden: Viel zu viele deutsche Blogger schrieben über Medienthemen, sagte Lovnik: "Eine vollkommen überschätzte, eine nervige Debatte, ist die in Deutschland stets diskutierte Frage, ob Blogger Journalisten sind."

Doch die von Lovnik kritisierten Drehung um die eigene Achse verliert zum Glück an Schwung. Die Teilnehmer der "Re:Publica" im Jahr 2010, Sprecher wie Zuhörer konnten sich letztlich nur noch auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen: Man möchte im Netz leben, und zwar nach eigenen Regeln. Folgerichtig bekämpfen die Teilnehmer der "Re:Publica" jede Art von Restriktion und Zensur, oft genug aber auch die Weiterentwicklung und konstruktive Ideen.

Vielfältige Themenfelder

Diese Konflikte können technischer, kultureller, gesellschaftlicher, rechtlicher oder politischer Natur sein. Dementsprechend werden sie von Hackern, Professoren und Kuratoren, Juristen, Politikern und Lobbyisten bearbeitet. Die vorgestellten Lösungsstrategien für einzelne Probleme der auf der "Re:Publica" versammelten Netzgemeinde hätten unterschiedlicher nicht sein können.

Auch die Themenfelder waren vielfältig: Wie so oft wurden die geplanten Netzsperren diskutiert, von Repressalien gegen Blogger im Ausland wurde berichtet, über EU-Gesetzesinitiativen wurde ebenso gestritten, wie über rechtliche Probleme, denen sich Blogger stellen müssen. Thema war auch die Veränderung des Netzes durch die App-Kultur von Apple, durch die der Surfer von der Produzenten- in die Konsumentenrolle gedrängt werde, sowie die Bedeutung von Anonymität im Netz.

Privatsphäre überschätzt

Privatsphäre sei ein überschätzter Wert, sagte zum Beispiel der amerikanische Blogger Jeff Jarvis zur Debatte um den Datenschutz im Internet. Er zeigte eine Grafik eines männlichen Unterleibes, während er darüber sprach, wie er seine Hodenkrebs-Erkrankung samt Inkontinenz und Impotenz in seinem eigenen Blog thematisiert habe. Nur dadurch habe er andere Kranke kennen gelernt, er habe seine Informationen für Interessierte und andere Patienten zur Verfügung gestellt, die wiederum davon profitiert hätten. Und außerdem sei ja auch "keiner nackt, wenn alle nackt sind." Jarvis ist bekannt für seine radikalen, nicht immer durchdachten Forderungen. Ein paar Meter weiter, im großen Saal der Kalkscheune, wurde zum selben Zeitpunkt über Googles Allmacht und die Datensammlung des Internetkonzerns diskutiert - und zwar nicht mit Begeisterung, sondern Ablehnung.

Einheitlich waren die diskutierten Lösungsstrategien nur im politischen Sinn. Die "Re:Publica" ist eine dezidiert linke Konferenz geworden. Die Debatte über die wachsende Macht von Internetprovidern wie Alice oder Telekom, endete mit Enteignungsfantasien. Götz Werner reiste an, um wie stets für das bedingungslose Grundeinkommen zu werben, und gleich mehrere Podien beschäftigten sich mit feministischer Theorie im digitalen Raum - da sackte das Niveau stark ab.

Medienfluss als Umweltbedingung

Hörenswert waren dagegen die grundsätzlichen Gedanken des Journalisten Peter Glaser, der in seinem unaufgeregten Eröffnungsvortrag auf die gewaltigen Errungenschaften des digitalen Zeitalters hinwies und mit der Metapher von der Eroberung eines "achten Kontinentes" die Verhältnisse des Wandels skizzierte: "Der digitale Medienfluss verwandelt sich in eine Umweltbedingung - etwas, das überall und immer da ist."

Auch für den bemerkenswerten Vortrag des Selfmade-Mannes Sascha Pallenberg, der von der Community absurderweise als genuiner Blogger begriffen und gefeiert wird, lohnte der Besuch. Pallenberg gelingt das Kunststück mit Blogs Geld zu verdienen. Er macht monatlich 5000 Euro Gewinn und setzt Summen im fünf- oder auch mal sechsstelligen Bereich um. Er betreibt von Taiwan aus mehrere Seiten, auf denen er deutsche Käufer von Notebooks berät.

In einem amüsanten Vortrag schilderte Pallenberg, wie er rund um die Uhr arbeitet, sich mitten in der Nacht von Lesern anrufen lässt: "Da nehm' ich ab, Alter, da helf' ich denen, die merken sich das doch und kommen wieder!" Seine Arbeit begreift Pallenberg als "Lifestyle". Dass ihm dasselbe Publikum, das einen Tag später brav die Götz Werner'sche Vision des bedingungslosen Grundeinkommen beklatschte, applaudierte, zeigt, wie wenig Pallenberg verstanden wurde. Die Anwesenden waren schon begeistert genug, dass überhaupt irgendjemand als Blogger Geld verdient. Pallenbergs Vision vom Blogger als 24 Stunden verfügbarer Hotline-Mitarbeiter schreckte kaum jemanden.

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