Süddeutsche Zeitung

QAnon:Wenn Eltern in Verschwörungsideologien abdriften

Während QAnon-Gläubige bei Anti-Corona-Demonstrationen mitmischen oder das US-Kapitol stürmen, suchen ihre Kinder Rat im Netz. Sie finden ihn bei Reddit.

Von Michael Moorstedt

Es erscheint nur logisch, dass ein im Netz geborenes Problem über Umwege in der echten Welt wieder im Netz landet. Ein Beispiel für diesen Lebenszyklus ist die Verschwörungsbewegung QAnon. Genau wie bei anderen apokalyptischen Sekten lässt man sich von den Vorgängen der Realität kaum in seiner Weltanschauung stören. Auch als nach der Amtseinführung von Joe Biden der erwartete "Sturm" ausblieb, bei dem angeblich alle korrupten Eliten des "Deep State" live im Fernsehen verhaftet werden sollten, finden die Anhänger der Erzählung Gründe dafür, dass die Dinge, an die sie glauben, wahr sind.

Während QAnon-Gläubige inzwischen auf die Straßen gehen, bei Anti-Corona-Demonstrationen mitmischen oder beim Sturm auf das US-Kapitol mitmachten, suchen viele ihrer Angehörigen Rat im Netz. Man organisiert sich in Online-Selbsthilfegruppen und erzählt, wie Eltern, Geschwister oder Freunde an die Verschwörung verloren gehen, wie geliebte Menschen, entweder auf eigene Initiative oder angetrieben von den Empfehlungsalgorithmen sozialer Medien, immer tiefer in die Untiefen eines rassistischen und hasserfüllten Weltbildes abgleiten.

Das größte dieser Foren findet man auf Reddit. Es heißt "QAnoncasualties", also etwa Opfer von QAnon, und hat mehr als 130 000 Mitglieder. Viele Berichte ähneln sich. Mal geschieht die Radikalisierung schleichend, mal rasend, es geht um ruinierte Familienfeste, zugeknallte Türen, plötzliche Redeverbote oder fundamentale Verständnislosigkeit. Wie kompliziert die Gemengelage ist, zeigt sich darin, dass nur ein paar Klicks weiter schließlich noch immer ungestört die derbsten Inhalte geteilt werden. Foren mit Namen wie "The Red Pill", "Great Awakening" oder "The Donald" waren bis zu ihrer Sperrung notorisch bekannt dafür, dass in ihnen die die QAnon-Bewegung ihren Anfang nahm. Die Zensurversuche der Plattform führen nur zu Ausweichbewegungen der Sektierer.

Hier kämpft eine Generation um den gesunden Menschenverstand der Eltern

In den Kommentarsträngen von QAnoncasualties wird viel getrauert und getröstet. Aber es sind nicht nur Geschichten des Verlusts und der Verzweiflung. Auffallend oft erzählen jüngere Mitglieder davon, wie sie versuchen, ihre Eltern aus dem Klammergriff der Ideologie zu befreien. Weil der Einzelne das Mediensystem nicht ändern kann, versuchen manche, in ihren eigenen vier Wänden für ein angenehmeres Netz sorgen. Etwa, indem sie den hauseigenen Router so konfigurieren, dass er zweifelhafte Internetseiten oder Rechtsaußen-Nachrichten automatisch sperrt. Es werden Listen mit blockierenswerten Seiten geteilt und Deprogrammierungs-Strategien vorgestellt. Dabei geht es oft um Selbstverständlichkeiten: Nachrichten von Meinungen zu trennen, Quellen zu hinterfragen. Elternsicherung statt Kindersicherung.

Die Ironie des Ganzen ist offensichtlich. Hier kämpft eine Generation um den gesunden Menschenverstand derjenigen, die sie immer vor den Gefahren der digitalen Medien gewarnt haben. Während Eltern und Großeltern damit beschäftigt waren, vor Internetsucht, Computerspielen oder Pornographie zu warnen, haben sie es verpasst, eine eigene Medienkompetenz zu entwickeln.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5213041
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/rjb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.