Süddeutsche Zeitung

Prozess um BND-Ausspähpraxis:Wer kontrolliert die Harpunierer von Pullach?

Im Kleinen macht der Bundesnachrichtendienst nichts anderes als die NSA: Er fischt nach Daten. Angeblich tut er das mit "Harpunen" - und nicht mit "Schleppnetzen" wie die Amerikaner. Ein Berliner Jurist zweifelt daran und klagt gegen die Bundesregierung und ihren Geheimdienstapparat. Heute beginnt das Verfahren.

Von Frederik Obermaier

Wenn der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) vom Ausspähen von Mails und Telefonaten redet, wird er zum Fischer. Gerhard Schindler spricht dann von Schleppnetzen und Harpunen. Mit Schleppnetzen, so erklärt er, gingen NSA, GCHQ & Co auf die Jagd nach Informationen. Massenhaft werde gespeichert, gelesen und analysiert.

Seine Behörde hingegen fische mit der Harpune: Aus dem Strom an Mails, Chats und Telefonaten picke der deutsche Auslandsdienst Nachrichten heraus. Ein gezielter Schuss, und schon ist die Sache erledigt - so die Theorie. Die Praxis steht an diesem Mittwoch in Leipzig vor Gericht.

Niko Härting, ein Rechtsanwalt aus Berlin, hat die Bundesregierung vor dem Bundesverwaltungsgericht verklagt, weil er die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung des BND für unverhältnismäßig hält. 2010 habe der BND beispielsweise allein zum Thema Massenvernichtungswaffen 27 Millionen Telefonate, E-Mails und Faxe abgefangen, um zwölf "nachrichtendienstlich relevante" E-Mails zu finden.

Deutsche und ausländische Fische

"Das steht für mich in keiner Relation", sagt Härting. Und damit nicht genug: Eigentlich darf der BND nur ausländische Mails mitlesen. Die Harpune von BND-Chef Schindler muss also zwischen deutschen und nicht-deutschen Fischen unterscheiden. "Und das halte ich für technisch unmöglich", sagt Härting. Es könne gut sein, dass der BND verbotenerweise Korrespondenz zwischen ihm als Anwalt und seinem Mandanten mitgelesen habe - und dies noch immer tue.

Erst vergangene Woche hatten drei Verfassungsrechtler im NSA-Untersuchungsausschuss das Treiben des BND als teilweise grundgesetzwidrig kritisiert. Die Geheimdienstler zuckten. Und nun das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Plötzlich steht ihr Kerngeschäft zur Debatte.

Der BND forscht nach eigenen Angaben auch Amerikaner aus

Mehr als die Hälfte der Informationen, die der BND an die Bundesregierung weitergibt, soll nämlich aus dem Ausspähen von Mails und Telefonaten stammen. Von den 6000 Nachrichtendienstlern arbeitet etwa in Viertel in diesem Bereich. Weltweit hat der deutsche Dienst mehrere Glasfaserkabel angezapft.

Wo genau die Geheimdienstler die Daten abgreifen, ist ein Betriebsgeheimnis. So viel allerdings ist bekannt: Vom Netzknoten De-Cix in Frankfurt, über den ein großer Teil der weltweiten Kommunikation abgewickelt wird, führt eine Leitung direkt in die BND-Zentrale. Im Kleinen macht der deutsche Dienst also das Gleiche wie NSA und GCHQ auch: Er zapft Kabel an, zweigt Daten ab. Die Liste der Gebiete, über die der BND Informationen sammeln soll, ist lang, wie aus Unterlagen für den Prozess in Leipzig hervorgeht: 196 Länder stehen darauf, übrigens auch die USA und Großbritannien.

Harpune - einfach, weil der Speicher nicht reichte

Früher, als beim Surfen im Internet noch das Modem fiepte, versuchte es auch der BND mit der Schleppnetz-Methode. Sämtliche Daten, etwa der Leitung zwischen Deutschland und Iran, wurden abgegriffen und gesichtet. Mit steigenden Bandbreiten konnte der deutsche Dienst allerdings nicht mehr mithalten. Die Speicher waren zu klein - und für einen Datenspeicher, wie ihn sich die NSA für mehr als eine Milliarde Dollar in Utah gebaut hat, fehlte das Geld.

Blieb nur die vom BND viel zitierte Harpune. Sie dient als Argument, wenn es darum geht, was eigentlich die Tätigkeit des BND vom Treiben der NSA unterscheide. Die Snowden-Dokumente haben allerdings gezeigt, dass der BND allein in einem Monat 500 Millionen Verbindungsdaten an die NSA weitergegeben hat. Das klingt nach Schleppnetz, nicht nach Harpune. Der BND verweist aber gerne darauf, dass er die Daten im Gegensatz zu den Amerikanern nicht speichere und dann analysiere. Vielmehr würden die Daten "aus dem fließenden Verkehr" gezogen.

Nach eigenen Angaben weiß nicht einmal die Bundesregierung, wie viele Gespräche täglich ins Erfassungssystem des BND gelangen. Eine statistische Erfassung finde nicht statt, heißt es lapidar in der Antwort auf eine Bundestagsanfrage der Linken. Das ist eine erstaunliche Aussage.

Denn laut Gesetz darf der BND im Ausland zwar so viel Daten abgreifen, wie er will. Fließen die Daten aber zwischen Deutschland und dem Ausland oder umgekehrt, gibt es eine Obergrenze: maximal 20 Prozent der Übertragungskapazität. Wie aber sollen die Geheimdienstkontrolleure überprüfen, ob sich der BND an die Regel hält, wenn sie nicht wissen, wie viel er sammelt?

Faktisch, so eine Studie der Stiftung "Neue Verantwortung", sei die strategische Aufklärung des BND damit "einer effektiven parlamentarischen Kontrolle entzogen". Viele Vorwürfe, die dem US-Geheimdienst NSA gemacht würden, beträfen auch den BND. Der Dienst könne nicht ausschließen, dass bei seiner Auslandsüberwachung auch Deutsche erfasst würden.

Dokumente der Bundesregierung nähren die Zweifel an den BND-Aussagen

"Was deutsch ist, fliegt raus", beharrte der BND bisher. Deutsche seien vor dem Zugriff des eigenen Dienstes geschützt. Das war eine klare Ansage. Dokumente, die die Bundesregierung auf Fragen der Bundesverwaltungsrichter nach Leipzig geschickt hat, nähren indes Zweifel an der Aussage.

Denn wie will der BND ausschließen, dass in den Millionen Daten keine Mails von Deutschen sind? Ganz einfach, heißt es beim BND: Zunächst würden spezielle Programme prüfen, wer Absender und Empfänger sind und in welcher Sprache sie sich unterhalten, Mails mit der Endung ".de" würden aussortiert. Spezielle Suchbegriffe kämen ins Spiel. Mails, die den Namen von Terrororganisationen enthalten, werden herausgefischt. So weit, so klar.

Dann folgt ein Schritt, der für die Leipziger Richter besonders interessant sein dürfte: die "manuelle Bearbeitung". Die Mails werden also gelesen. Nur so könne man feststellen, heißt es in einem Schreiben der Bundesregierung, ob nicht doch "rein nationale Kommunikation" abgefischt worden sei. Aus Versehen, natürlich.

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SZ vom 28.05.2014/ipfa
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