Prozess gegen Streamingportal:Chefprogrammierer von kino.to muss ins Gefängnis

Er galt als "Maschinist" und "Gehirn" des illegalen Streamingportals kino.to - jetzt wurde der Chefprogrammierer zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Mit diesem Fall wurde über eine Grundsatzfrage verhandelt: Wie viel ist eine kreative Idee in Zeiten des Internets wert?

Sophie Crocoll

Als der Richter das Urteil verkündet, blickt Bastian P. auf die Tischplatte vor sich. Er knetet seine Hände. Er hat das während des ganzen Prozesses getan. Der Mann, der ein Großverdiener des Internets war, wird zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Fast vier Jahre wegen des massenhaften Verstoßes gegen das Urheberrecht. Und das in einem Land, in dem eine Partei namens "Piraten" mit dem Versprechen auf ein freies Internet Stimmung und Stimmen macht.

Chef-Programmierer von Kino.to

Der Verurteilte Bastian P. (vorn r) sitzt neben seinem Anwalt Rubert Schmid am 20.03.2012 im Gerichtssaal im Landgericht in Leipzig. Der Chef-Programmierer des illegalen Filmportals Kino.to wurde jetzt wegen massenhafter Verletzung des Urheberrechts zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

(Foto: dpa)

P. hat die Internetseite kino.to programmiert, über die sich bis zum Juni 2011 Spielfilme, Dokumentationen und Serien kostenlos anschauen ließen; die Seite bot ein riesiges Angebot an Links, die zu den Filmen führten. Die Dateien selbst lagen meist auf Rechnern anderer Anbieter. Die Erlaubnis, die urheberrechtlich geschützten Filme zu verbreiten, besaßen die Betreiber von kino.to nicht. Vier Mitglieder der Gruppe wurden bereits im Dezember verurteilt. Mit Bastian P. stand nun der Mann vor Gericht, der dafür sorgte, dass die Seite lief und dem Ansturm von immer mehr Nutzern standhielt.

Mehr als eine Million Urheberrechtsverletzungen

Es ist der erste große Prozess wegen Internetkriminalität in Deutschland. Verhandelt werden Straftaten, die für die Justiz bis vor wenigen Jahren unvorstellbar waren, wie Staatsanwalt Dietmar Bluhm sagt. Er legte Bastian P. Urheberrechtsverletzungen in 1.110.543 Fällen zur Last. Durch den Prozess bekommt Internetkriminalität in Deutschland erstmals ein Gesicht - das des verurteilten einstigen Chefprogrammierers.

Bastian P. ist blass, während der Verhandlung zittern seine Hände. Der 29-Jährige spricht leise, so leise, dass er kaum zu verstehen ist. An einem früheren Verhandlungstag hat der Mann dem Richter gesagt, er nehme Psychopharmaka, es falle ihm nicht leicht, sich zu konzentrieren. Sein Verteidiger sagt, die Untersuchungshaft habe ihm schwer zugesetzt. Was für ein Abstieg nach einer Karriere in einem besonderen Milieu.

Der Verurteilte kommt aus Hamburg, er entwickelt seit mehr als zehn Jahren Software-Produkte und Internetseiten; sein Philosophie- und Informatikstudium in Tübingen gab P. aus persönlichen und finanziellen Gründen auf. Er begreift sich als Techniker, das wird während des Prozesses deutlich, auf Fragen des Richters antwortet er vor allem mit technischen Details.

Das Gehirn von kino.to

Er ist das Gehirn von kino.to gewesen, der "Maschinist", wie sein Anwalt sagte. Noch am Tag seiner Verhaftung hat er ausgepackt und den Behörden geholfen, kino.to abzuschalten. Auch vor Gericht sagt er aus. Er habe sich nicht vorstellen können, dass seine Programmierleistung strafbar war. Das Gericht entschied am Mittwoch: Sie war es.

Die Richter am Leipziger Landgericht verhandelten auch eine Grundsatzfrage: Wie viel ist eine kreative Idee in Zeiten des Internets wert? In einer Zeit, in der 7,3 Millionen Menschen Medieninhalte illegal per Download oder Streaming nutzen - so viele waren es zwischen Januar und Juni 2011. Das sind 16 Prozent der deutschen Internetnutzer. Es gibt zahlreiche Internetseiten, die kostenlos - und meist illegal - Filme anbieten. Kino.to kam dabei eine besondere Rolle zu: Die Seite war eine der ersten, hinter deren Links auch wirklich die angekündigten Filme lagen; sie war leicht zu bedienen und bot schnell eine große Liste aktueller Serien wie "Mad Men". So wurde kino.to zum Synonym, im Internet gratis Filme zu sehen.

"Es war wie Fernsehen"

Hunderttausende nutzten das, abends und am Wochenende wurden bis zu vier Millionen Dateien aufgerufen. Fast alle zehn- bis 30-Jährigen hätten die Seite gekannt, kino.to sei für sie gewesen wie Fernsehen, sagt Matthias Leonardy, der für die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) als Nebenkläger auftritt. Als Raubkopien noch aus gebrannten CDs und DVDs bestanden, die Straßenhändler zum Verkauf boten, waren solche Dimensionen kaum denkbar. "Sie haben die Besucher an Urheberrechtsverletzungen gewöhnt", sagte Staatsanwalt Bluhm zum Angeklagten.

Die Richter haben nun entschieden: Wer eine kreative Idee missbraucht, weil er die Rechte daran nicht besitzt, wird bestraft. Der Fall zeigt aber auch, wie viel sich in der Justiz geändert hat.

Solche Verfahren waren früher oft anders ausgegangen - damals, als es die ersten Internetseiten ermöglichten, große Dateien zu tauschen, auch illegale. Bastian P. hatte den mutmaßlichen Chef von kino.to, Dirk B., schon zu Schulzeiten kennengelernt - über ein anderes Portal, auf dem Software, Fotos, aber auch Filme getauscht wurden und für die der Betreiber B. die Rechte nicht besaß. B. wurde angeklagt und kam mit einer kleinen Geldstrafe davon. Programmierer P. war für die Behörden uninteressant.

Später führte das "Superhirn" (Bild) für B. einen Großteil der Geschäfte. Dafür bekam er ein Drittel der Werbeeinnahmen auf kino.to, eine Zeit lang kassierte er 50.000 Euro monatlich. Er wollte ein Haus für sich und die Freundin kaufen. Staatsanwalt Bluhm sprach von einer Chefhose, die P. angezogen habe und die er sich zurechnen lassen müsse. Das aus Bluhms Sicht milde Urteil sei "ein klares Signal an Straftäter" - es lohne sich, mit den Behörden zu kooperieren.

Dass die Ermittler darauf angewiesen sind, zeigt der Fall kino.to. Die Betreiber konnten erst ausgemacht werden, als ein Ex-Mitarbeiter einen Tipp gab.

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